Kommentar

Shitstorm gegen Berlins Queerbeauftragten: Solidarität mit Alfonso Pantisano!

9. Okt. 2024 Paula Balov
Bild: privat

Berlins Queerbeauftragter Alfonso Pantisano (SPD) steht im Zentrum eines massiven Shitstorms, nachdem er in einem Social-Media-Beitrag auf antimuslimische Stereotype innerhalb der LGBTIQ*-Community aufmerksam machte. SPD-Mitglieder fordern in einem offenen Brief nun seinen Rücktritt. SIEGESSÄULE-Redakteurin Paula Balov findet: Er hat der Community lediglich den Spiegel vorgehalten

Mit Alfonso Pantisano scheinen Teile der Berliner Queer-Community nun endgültig ihren perfekten Sündenbock gefunden zu haben. Seine Parteikolleg*innen in der SPD üben nun mit einem offenen Brief Druck auf den Queerbeauftragen aus und fordern seinen Rücktritt. Die Kommentarspalten auf Social Media schäumen über vor Empörung und auch die Boulevardpresse hat den Shitstorm längst gerochen.

Was ist passiert? Alfonso Pantisano hat das „Verbrechen“ begangen, auf potenziell islamfeindliche und rassistische Vorannahmen – einen antimuslimischen Relfex – innerhalb der LGBTIQ*-Community aufmerksam zu machen. Genauer gesagt reagierte er auf ein Spiegel-Interview mit dem inzwischen aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretenen SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert.

Kühnert sagte, dass seiner Erfahrung nach homophobe Anfeindungen häufig von „muslimisch gelesenen Männergruppen“ ausgingen. Er schwächte die Aussage noch etwas ab, indem er ergänzte, in seinem Wahlkreis sei ein Großteil der Muslime jedoch nicht homophob.

Wahrnehmung existiert nicht im luftleeren Raum

Pantisano störte sich vor allem an einer Formulierung: „muslimisch gelesen.“ Da ist es interessant sich zu fragen, woher diese Formulierung überhaupt kommt. Sie scheint von der häufigeren Ausdrucksweise „weiblich/männlich gelesen“ entlehnt zu sein, die auf queerfeministische Kreise zurückgeht. Damit soll eigentlich deutlich gemacht werden, dass Geschlecht keine objektive Kategorie ist, sondern von Menschen durch Codes und gesellschaftliche Zuschreibungen interpretiert, sprich „gelesen“ wird. Eine Schwäche dieser Formulierung war schon immer, dass sie nicht sichtbar macht, wer aus welchem Grund – und aus welcher sozialen Prägung heraus, einen Menschen auf die eine oder andere Weise liest. Genau das wird auch in Kühnerts Aussage zum Problem: Er geht nicht darauf ein, aus welchem Grund gerade er die Männergruppen als „muslimisch“ liest und wie er auf diese Vorannahmen kommt.

Um Kühnert – aber auch anderen mehrheitsdeutschen Menschen, die Problematik zu verdeutlichen, veröffentlichte Pantisano am Samstag einen Social-Media-Beitrag mit alten Bildern von sich. In den Fotos trägt er ein rotes Kopftuch und weißes Gewand. Sie stammen aus einer Zeit als er im arabischen Raum als Model in Fernsehspots und Werbekampagnen sein Geld verdiente und „selbstverständlich als muslimisch gelesen und/oder arabisch-gelesen“ durchging, wie er in dem Post erklärt. Provokativ fragte er noch: „Wenn ICH heute in Berlin Schöneberg jemanden beleidige oder gar körperlich angreife und dann wegrenne, sodass die Opfer meines Angriffs nur eine Täterbeschreibung angeben können, wie werden sie mich beschreiben?“

Bild: @alfonsopantisano/Instagram
Screenshot des Instagram-Posts von Alfonso Pantisano vom 5. Oktober 2024

Letztlich illustrierte er damit, dass viele Mehrheitsdeutsche beispielsweise den Bulgaren nicht vom Syrer unterscheiden können – und wahrscheinlich auch nicht in Betracht ziehen, dass der Bulgare ein Moslem und der Syrer ein Katholik sein könnte. Die offensichtliche Botschaft dieses Beitrags: Wahrnehmung existiert nicht im luftleeren Raum, sondern ist auch von rassistischen Stereotypen geprägt – ob das der spezifischen Person nun bewusst ist oder nicht.

Eigentlich hätte Pantisanos Beitrag der Beginn einer fruchtbaren Diskussion sein können, mit der zentralen Frage: In Zeiten des Rechtsrucks, in denen Rassismus salonfähig wird und die AfD immer wieder Minderheiten gegeneinander ausspielt, wie sollten wir da als LGBTIQ*-Community Queerfeindlichkeit in migrantischen und muslimischen Kontexten thematisieren? Wie können wir das Thema angehen ohne dabei rechtspopulistische Narrative zu bedienen – und doppelt diskriminierte LGBTIQ* of Color in der Debatte auszuklammern?

Auch die Aufbereitung des Posts von Pantisano wirft Fragen auf, die zu diskutieren es sich lohnen würde – beispielsweise, ob es wirklich die beste Idee war, seine eigenen Erlebnisse in der Werbebranche ins Zentrum des Posts zu stellen und sich quasi in einem „Araberkostüm“ zu präsentieren. Denn Pantisano hat zwar als Sohn italienischer Gastarbeiter*innen Ausgrenzung erlebt, doch die Rassismuserfahrungen von Muslim*innen in Deutschland sind von einer eigenen Qualität.

Vorwürfe der Verharmlosung

Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen werfen ihm nun Journalist*innen, Politiker*innen, Parteikolleg*innen und Menschen aus der LGBTIQ*-Community vor, Queerfeindlichkeit zu relativieren, eine „große Gefahr“ (BZ) oder „islamistische Positionen in Deutschland“ zu verharmlosen (Schwulissimo).

Was noch viel perfider ist: Einige Medien haben es tatsächlich geschafft, Pantisano Antisemitismus vorzuwerfen. Der Tagesspiegel schrieb, Pantisano würde in dem Bild eine Kufiya tragen, obwohl das rote Tuch in dem Foto eine Guthra ist – kein Protestsymbol, sondern eine in den arabischen Golfstaaten weitverbreitete Kopfbedeckung. Das rechtspopulistische Blatt Nius von Julian Reichelt bebildert seinen Artikel „Regiert in Berlin der Judenhass?“ mit dem gleichen Foto. Und die Bild-Zeitung findet es geschmacklos, dass er seinen Beitrag am 7. Oktober veröffentlicht hätte, obwohl der Post zwei Tage vorher kam.

Das alles, obwohl Pantisano in seinem Beitrag mit keinem Wort auf den Nahostkonflikt eingeht. Wer in seinem Post Antisemitismus sieht, möchte ihn dort sehen. Oder schlimmer: Im aktuellen gesellschaftlichen Klima kann jede positive oder auch nur neutrale Bezugnahme auf den Islam, muslimische Menschen oder auf arabische Länder und Kulturen als potenziell islamistisch, antisemitisch oder als Hamas-Sympathie ausgelegt werden – das lassen nicht nur die erwähnten Medienberichte, sondern auch die Kommentarspalten vermuten, in denen User*innen Begriffe wie „Islamist“, „Terrorist“, „Asylant“, „Migrant“, „Araber“ oder „Muslim“ ohne jede Differenzierung verwenden. Ein Schelm, wer da an antimuslimischen Rassismus denkt.

Es ist traurig zu beobachten, mit welcher Bereitschaft Teile der LGBTIQ*-Community auf diesen Zug aufspringen. Bedenklich ist auch, wie in dem Shitstorm nun Pantisanos SPD-Parteikollg*innen eine Chance wittern, ihn aus seinem Amt zu verdrängen – so als hätten sie genau auf so einen Skandal gewartet.

Ganz gleich, ob man ein Problem mit Pantisanos Auftreten hat, sich an dem spezifischen Social-Media-Post stört, an seiner Arbeit als „Ansprechperson Queeres Berlin“ – oder an der Art und Weise, wie er zu dem Amt kam, spätestens dann, wenn rechtspopulistische Medien eine so massive Diffamierungskampagne mittragen, sollte eine Reflexion über die eigenen Werte innerhalb der LGBTIQ*-Community einsetzen. Wollen wir wirklich einen Queerbeauftragen aus seinem Amt verdrängen, weil er sich getraut hat, rassistische Denkmuster zu thematisieren?

„Wollen wir wirklich einen Queerbeauftragen aus seinem Amt verdrängen, weil er sich getraut hat, rassistische Denkmuster zu thematisieren?“

Auf eine gewisse Weise ist Pantisano gelungen, was er wahrscheinlich mit seinem Post bezwecken wollte: Uns den Spiegel vorzuhalten. Er hat verdeutlicht, wie weit wir von einer tatsächlich rassismussensiblen LGBTIQ*-Community entfernt sind. Das ist bitter – und genau deshalb muss er bleiben.

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