Angriff auf trans Politikerin

„Solidarität mit Tessa!“

25. Jan. 2022 Felicia Ewert
Bild: Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Kaminski

Ein Artikel der Emma hat in den sozialen Medien einen Shitstorm gegen trans Frauen und die trans Politikerin Tessa Ganserer losgetreten. Politikwissenschaftlerin und Autorin Felicia Ewert („Trans. Frau. Sein.“) kommentiert für SIEGESSÄULE

Das Ausmaß an Transmisogynie, das sich gegenwärtig auf Twitter zeigt, ist nicht neu. Weder die transfeindlichen Organisationen und Argumentationen, noch die plumpe Frauenfeindlichkeit, die sich gegenwärtig zeigen, sind neu. Mehrfach marginalisierte Personen sind permanenten Angriffen ausgesetzt. Medial inszeniert gerade dann, wenn es sich um Personen des öffentlichen Lebens handelt. Wie bei der Bundestagesabgeordneten Tessa Ganserer (Grüne), die aktuell wieder von einer massiven frauenfeindlichen Kampagne betroffen ist.

Ihr, einer Frau, wird vorgeworfen, unrechtmäßig den Listenplatz für Frauen in ihrer Fraktion in Anspruch zu nehmen, weil sie „weder den Geschlechtseintrag korrigieren, noch operative Veränderung der Intimorgane vornehmen ließ“. Den exakten gewaltvollen Wortlaut möchte ich hier nicht weiter widergeben. Was geht mich der Intimbausatz einer anderen Frau an und welchen Zweck erfüllt dieser bei Ausübung ihres Bundestagsmandats? Ja, genau.

„Trans Personen werden in den Verfahren gezwungen, ihr gesamtes intimes Leben preiszugeben“

Zum Thema der Korrektur des Geschlechtseintrags – für diejenigen, für die dies neu ist: Eine Personenstandänderung nach dem sogenannten „Transsexuellengesetz“ kann ohne weiteres mehr als 2000 Euro kosten und üblicherweise mehr als ein Jahr in Anspruch nehmen. Davon abgesehen werden trans Personen in den Verfahren auch gezwungen, ihr gesamtes intimes Leben preiszugeben. Wir werden zum Beispiel gefragt, welche Unterwäsche wir tragen, zu Personen welcher Geschlechter wir romantische bzw. sexuelle Beziehungen haben oder wie unser Masturbationsverhalten ist. Es wird notiert, welches Makeup wir tragen und es wird geprüft, ob wir dies auch brav, entsprechend unserer geschlechtlichen Identität, im Alltag tun – und nicht ausschließlich jetzt vor Gericht oder in der Gutachtensitzung.

Gutachten? Genau: anhand stereotyper Geschlechtervorstellungen der Gutachter*innen sollen wir den Beweis erbringen, dass wir tatsächlich unser Geschlecht sind. Da können wir uns echt freuen, dass wir immerhin nicht mehr, wie früher, von Zwangsscheidung und Zwangssterilisation betroffen sind, wenn wir das Gesetz durchlaufen wollen. Trotz alledem stellen uns Leute immer wieder die Frage, „weshalb wir den Prozess nicht einfach durchlaufen und gut ist?“ Ja, genau.

Gemeint sind wir alle

Tessa, wie viele andere trans Personen auch, hat sich geweigert, diesen entwürdigenden Prozess zu durchlaufen. Eine Frau entzieht sich dieser legalen staatlichen Diskriminierung. Meine feministische und meine weibliche Sozialisation jubeln innerlich. Was mache ich falsch?

Explizit transfeindliche Feminist*innen, ob offen organisiert, hinterm anonymisierten Twitteraccount, ob in Redaktionen großer deutscher Zeitungen oder lässig beim Kolumne schreiben, attackieren Tessa. Sie sind überzeugt davon, dass sich Frauen den oben beschriebenen diskriminierenden Prozessen aussetzen und operativen Eingriffen unterziehen müssten, um „anerkannt“ zu werden. Und das soll dann Feminismus sein? Übrigens: es ist mitnichten so, dass trans Personen nach all diesen Maßnahmen plötzlich irgendwie respektiert werden würden. Da muss ich euch enttäuschen.

„Wir müssen uns selbst immer wieder die Frage stellen, wie weit unsere Solidarität mit transgeschlechtlichen Menschen reicht“

Neben all diesen offen transfeindlichen Feminist*innen reihen sich immer wieder Menschen in die Kampagnen ein, die im Alltag eher keine feministischen Ziele verfolgen. Antifeminist*innen, Erz-Konservative, Rechtsradikale, sogenannte besorgte Kinder- und Frauenschützer*innen. Wahlweise in Personalunion. Welch Verbündete!

Wir könnten dies nun einfach abtun, wie es cis Personen zu häufig machen, wenn es um gezielt transmisogyne Kampagnen geht. Einfach davon ausgehen, dass dies lediglich von offen feindlichen Einzelpersonen ausginge... und sich selbst einreden „zu den Guten“ zu gehören und die eigene Verantwortung wegwischen.

Das wäre zu einfach. Wir müssen uns selbst immer wieder die Frage stellen, wie weit unsere Solidarität mit transgeschlechtlichen Menschen reicht. Wie oft und weshalb wir Geschlecht immer wieder mit Körpern, Körperfunktionen, Hormonen, Chromosomen und Verhaltensweisen gleichsetzen.

Eine Frau wird gezielt attackiert. Aber gemeint sind wir alle.

Bild: Anne Koch
Felicia Ewert

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