„Soldier M.I.A.“ – Legende von Mulan aufgequeert
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Heute, am 23.11. findet die Premiere von „Soldier M.I.A.“ am English Theatre statt. Die chinesische Legende des Mädchens, das sich als Mann verkleidet in der Armee beweist, wird tänzerisch neu erzählt. Dabei werden Frauenbilder hinterfragt und eine nicht-weiße Perspektive auf Queersein präsentiert
Disney brachte sie in den Jahren 1998 und 2020 auf die Kinoleinwände der Welt – in China erzählen sich die Menschen die Legende von Mulan schon seit über einem Jahrtausend: Als die Armee ihren invaliden Vater zum Kriegsdienst einberuft, verkleidet sich die junge Heldin als Mann und verpflichtet sich anstelle des schwachen Familienoberhaupts dem Heer. Mulan verdient sich als Soldat zwölf Jahre lang den Respekt ihrer Kameraden und beweist am Ende, dass Frauen genauso gut kämpfen wie Männer.
„Mulan ist ein Spielball des Nationalismus und des Patriarchats, denn sie kämpft ausschließlich für Männer.“
Was nach weiblicher Ermächtigung klingt, sei eigentlich eine hochproblematische Geschichte, sagt der in Singapur geborene Choreograph Ming Poon. Er will die Mulan-Legende neu erzählen: „Mulan ist ein Spielball des Nationalismus und des Patriarchats, denn sie kämpft ausschließlich für Männer. Selbst begehrt sie nichts. Sie ist eine Maschine“, so Ming Poon im SIEGESSÄULE-Gespräch. Der Künstler will die Mulan-Legende neu erzählen und das Bild einer selbstbestimmten Heldin zeichnen, die mehr ist als eine Dienerin ihres Vaterlandes. Mit „Soldier M.I.A.“ inszeniert er ab dem 23. November im English Theatre Berlin eine interaktive Tanz-Performance. Ausgehend von der Idee, dass der Soldat Mulan als im Krieg vermisst („Missing In Action“) gilt, starten vier „Expert*innen“ – Tänzer*in, Dramaturg*in, Sound-Designer*in und Kostümbildner*in – eine Such- und Rettungsaktion. Unter Einsatz ihrer jeweiligen Kunstformen und im Dialog mit dem Publikum nehmen die Darsteller*innen die traditionelle Erzählung auseinander und setzen Mulan auf queerfeministische Weise neu zusammen.
Klassische Storyline vom Geschlechtertausch
Ming Poon wuchs als Chinese in der Diaspora auf und lebt seit 1992 in Deutschland. „Soldier M.I.A.“ ist ein Ergebnis seiner aktuellen wissenschaftlichen Forschung über chinesische Frauenbilder. In der Performance drückt er eine chinesische Queerness aus, die sich von amerikanischen und europäischen Auffassungen des Begriffs deutlich unterscheidet. „Ich will für die Queerness meiner eigenen Kultur eintreten!“, sagt Ming Poon. „Seit ich in Europa lebe, ist mir aufgefallen, dass hier die queeren Theorien seit den Stonewall-Aufständen auf sehr westlichen Vorstellungen beruhen. Ich fragte mich: Wie können wir Queerness für nicht-weiße Kulturen beanspruchen?“
„Wie können wir Queerness für nicht-weiße Kulturen beanspruchen?“
Chinesische Queerness, so Ming Poon, sei sehr komplex und für ein westliches weißes Publikum möglicherweise sogar verwirrend. Das sogenannte Nan Dan, eine spezielle Form des traditionellen chinesischen Theaters Xi Qu, „ist eine sehr queere Kunst. Männer treten als Frauen auf der Bühne auf, schon seit mehreren hundert Jahren.” Ming Poon erklärt, dass Interpretationen der Mulan-Legende schon immer sehr beliebt im Nan Dan waren. In den Performances unterstrichen Tanz, Klang und Kostüm klassischerweise die Storyline vom Geschlechtertausch – jene Künste, mithilfe derer er und seine Bühnentruppe Mulan nun dekonstruieren.
Die traditionelle Nan-Dan-Verkörperung der Mulan-Figur ist besonders bemerkenswert: Die Hauptrolle spielt ein Mann, der sich auf der Bühne als junge Frau Mulan verkleidet und dann durch Cross-Dressing wiederum als Mann (= Soldat), auftritt. „Hier geschieht ein doppeltes Cross-Dressing.” Allerdings: „Nan Dan ist queer, aber problematisch, weil hier das Frauenbild aus der Sicht der Männer entsteht. Dieses Phänomen beschreibe ich darum als ‚patriarchale Queerness‘.“
Solche Beobachtungen und kulturelle Eigenheiten setzt Mingapur in „Soldier M.I.A.“ ein, um vorherrschende westliche Vorstellungen von Queerness um chinesische Konzepte zu erweitern. „Wir müssen mehr Wissen generieren, indem wir viele Formen von Queerness in den Diskurs einbeziehen. Queerness sollte es uns ermöglichen, Räume zu öffnen für vielfältige queere Geschichten und Darstellungsformen, die sogar ein bisschen widersprüchlich sein dürfen.“
Soldier M.I.A.,
23.11., 20:00 (Premiere),
24. und 25.11., je 20:00
English Theatre Berlin
etberlin.de
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