Shitstorm gegen Instagram-Video: Zu schwul, um russlanddeutsch zu sein?
PostOst-Aktivist Daniel Heinz hat ein Video über seine russlanddeutsche und queere Identität auf Instagram veröffentlicht. Das Video ging viral und rief Trolle auf den Plan, die homophobe Kommentare posteten und Drohnachrichten verschickten. Die meisten Hassbotschaften kamen aus der russlanddeutschen Community. Für SIEGESSÄULE erläutert Daniel Heinz das Gefühl der Zerrissenheit zwischen seiner migrantischen und queeren Identität
Letzte Woche erzielte ein Instagram-Reel von mir fast eine halbe Million Views. Darin spielte ich mit Klischees und teilte meine Erfahrungen als Russlanddeutscher. Dass dieses Video viral gehen würde, hat mich überrascht. Umso weniger war ich vorbereitet auf die Flut an Hasskommentaren, die ich von allen Seiten erhielt.
Die ersten Reaktionen kamen von Freund*innen, die den humorvollen Umgang mit meiner Identität schätzten. Als linker Aktivist auf Social Media, mit einer überwiegend migrantischen und postsowjetischen Followerschaft, erhielt ich viel Zuspruch. Meine Follower*innen fanden das Video unterhaltsam und konnten sich damit identifizieren. Nach einem Tag sprang die Aufrufzahl auf 20.000. Viele kommentierten interessiert und fanden es erfrischend, einen Russlanddeutschen zu sehen, der nicht die AfD unterstützt und sich gegen Putin positioniert – ein Vorurteil, mit dem ich bewusst spielte, um es zu durchbrechen.
Zu queer und Putin-kritisch für die russlanddeutsche Community?
Nach zwei Tagen erreichte das Video 100.000 Menschen und verbreitete sich über die Grenzen meiner politischen Blase hinaus, auch innerhalb meiner eigenen migrantischen Community, die ein breites politisches Spektrum umfasst. Hier veränderte sich der Ton: Ein Großteil der Hasskommentare kam ausgerechnet von jenen, die meine russlanddeutsche Identität aufgrund meiner Homosexualität und meiner Ablehnung Putins infrage stellten.
Die Anschuldigungen, ich sei eine Schande und ehrenlos, meine Vorfahren würden sich im Grab umdrehen und ich solle mich am besten umbringen, belasteten mich schwer. Besonders schmerzhaft war, dass meine Zugehörigkeit zur russlanddeutschen Community infrage gestellt wurde – mit dem Vorwurf, es gäbe keine schwulen Russlanddeutschen und ich gehöre nicht dazu.
Diese Ablehnung traf mich tief, denn ich bin in dieser Community aufgewachsen. Viele Russlanddeutsche sind konservativ eingestellt – ich kenne etliche, die sich ihrer Familie gegenüber nicht outen können oder wollen, da ein Coming-out für sie nicht in Frage kommt.
„Die Anschuldigungen, ich sei eine Schande und ehrenlos, meine Vorfahren würden sich im Grab umdrehen und ich solle mich am besten umbringen, belasteten mich schwer.“
Lange Zeit habe ich mich von meiner russlanddeutschen Identität distanziert. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Deutschland, fand ich mich schnell in der Rolle des Migrantenkindes wieder, besuchte die Hauptschule. Unsere Eltern sahen sich mit der Nichtanerkennung ihrer Bildungsabschlüsse konfrontiert; ein Umstand, der uns in prekäre Lebensumstände zwang.
Die Erfahrung der Ausgrenzung teilen viele Migrant*innen, oft verstärkt durch rassistische Zuschreibungen. Deshalb ist die Zugehörigkeit zu einer migrantischen Community für viele so essentiell – sie bietet einen sicheren Raum. Doch was, wenn selbst diese Gemeinschaft keinen Schutz bietet, weil sie von Homophobie geprägt ist?
Queerfeministische PostOst-Community
Erst mit meinem Umzug nach Berlin im Jahr 2019 begann ich, mich intensiver mit migrantischem Aktivismus und der Selbstorganisation von Osteuropäer*innnen auseinanderzusetzen. In Berlin entstand eine PostOst-Migrantifa, die ein sicherer Ort für mich werden sollte. (PostOst beschreibt ein neues Selbstbild von Menschen mit postsowjetischer oder osteuropäischer Migrationsgeschichte, das nicht an nationale Grenzen gebunden ist, Anm. d. Red.)
Mein erstes Treffen mit Gleichgesinnten war beängstigend und zugleich befreiend. Es war unglaublich ermächtigend, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die sich als links, migrantisch und queerfeministisch versteht und in der ich mich nicht verstecken muss. Diese Erfahrung gab mir die Kraft, mich selbst zu finden und zu mir zu stehen.
„Die PostOst-Bewegung zeigte mir, dass es eine Gemeinschaft gibt, in der ich als links denkender, Russlanddeutscher und queerer Mensch akzeptiert werde.“
Aber auch queere Räume sind nicht immer sicher: Als Reaktion auf mein Video habe ich leider erleben müssen, wie ich von einigen Queers mit einem Russenfetisch sexualisiert und zur Projektionsfläche gemacht wurde. Doch die PostOst-Bewegung zeigte mir, dass es eine Gemeinschaft gibt, in der ich als links denkender, Russlanddeutscher und queerer Mensch akzeptiert werde.
Ich habe erkannt, dass es andere gibt, die wie ich sind. Deshalb teile ich meine Erfahrungen und habe das Video produziert. Menschen haben mir geschrieben, dass sie sich in mir wiederfinden, ihre Identität in mir sehen und es wertschätzen, dass ich öffentlich sichtbar bin. Sie befürchteten, allein zu sein – so wie ich es lange Zeit tat. Aber wir sind nicht allein und werden es auch nie sein!
Daniel Heinz arbeitet in der politischen Bildung und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Osnabrück. Er engagiert sich in migrantischen und antifaschistischen Selbstorganisationen.
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