Interview mit Replika-Chefredakteur

„Shame-free Zone“: Nacktkalender gegen Diskriminierung in Polen

4. Jan. 2022 Manu Abdo
Bild: Replika

Die polnische Regierung geht zunehmend gegen queere Menschen vor. Replika, das einzige LGBTIQ*-Magazin Polens, hält tapfer dagegen. Um sich zu finanzieren, vertreiben sie unter anderem auch Nacktkalender, die queere Persönlichkeiten des Landes zeigen. Im Kalender „Shame-free Zone“ für 2022 sind Männlichkeiten zu sehen, „My Queer Body“ präsentiert Weiblichkeiten und nicht binäre Personen. Wir sprachen mit Mariusz Kurc, Replika-Chefredakteur, über das Projekt und die aktuelle Situation

Mariusz, wie kam es dazu, dass ihr Nacktkalender herausgebt? Wir produzieren diese Kalender jetzt schon seit vier Jahren, um unser Magazin Replika zu unterstützen. Als wir 2018 damit anfingen, schien es zunächst unmöglich, Menschen davon zu begeistern, nackt für uns zu posieren. Das änderte sich, als ich Łukasz Sabat, Mr. Gay Poland 2018, interviewte. Er stellte uns 12 seiner Nacktfotos kostenlos zur Verfügung, damit hatten wir großen Erfolg. Im darauf folgenden Jahr baten wir verschiedene offen schwule Prominente und Menschen aus der Community, sich an dem Kalender zu beteiligen – zu unserer Überraschung bekamen wir mehr Zusagen als das Jahr Monate hat! Mit dem Kalender versuchen wir auch, zum Coming-Out zu ermutigen, indem wir unsere Models mit ihren echten Namen und der Nennung ihres Berufs abbilden.

Welche Bedeutung haben denn Coming-Outs in Polen heute? Wenn die Menschen LGBTIQ* persönlich kennen, werden sie toleranter. Also müssen wir uns outen und die Leute uns kennenlernen lassen. Wir fördern das mit unserem Magazin: wir bieten berühmten Menschen ein „Coming-Out Interview“ an. Wenn ich anrufe und darum bitte, lehnen die meisten ab, aber etwa alle zwanzig Mal bekommen wir eine Zusage, und das ist fantastisch.

„Ich denke, vermutlich sind wir die Ersten in Polen, die ein komplettes Nacktbild einer trans Person zeigen“

Euer Nacktkalender für Männlichkeiten heißt „Shame-free Zone“eine Anspielung auf die selbsternannten „LGBT-Ideologiefreien Zonen“ in Polen. Warum habt ihr diesen Titel gewählt? Der Kalender soll nicht nur als eine schöne erotische Sache wahrgenommen werden, sondern ebenso als ein politisches Statement. Deshalb habe ich auch einige Aktivisten als Models ausgewählt.

Wer sind die anderen Models in diesem Jahr? Für 2022 freuen wir uns, dass wir mit Jerzy Nasierowski die älteste offen schwule Berühmtheit Polens mit dabeihaben. Er ist 88 Jahre alt und Schauspieler. Von ihm erstellten wir ein Foto, das wie ein Marilyn Monroe-Porträt aus den 40er-Jahren aussieht. Ein weiteres erstaunliches Bild ist das von einem trans Mann – ich denke, vermutlich sind wir die Ersten in Polen, die ein komplettes Nacktbild einer trans Person zeigen. Das ist in gewisser Weise lehrreich; einige werden anfangen, Fragen zu stellen, wenn sie einen sexy Mann mit Vagina sehen. Ich bin auch stolz darauf, dass wir immer wieder geflüchtete Menschen abbilden können, dieses Jahr einen Vogue-Tänzer aus Kasachstan. Gerade gibt es ja leider eine starke Antimigrationsbewegung in Polen.

Wie war es für eure Models, sich auszuziehen? Für die meisten war es die erste Nackterfahrung. Zunächst schienen sie etwas gestresst, doch die Scham wich schnell, und einige wollten sich nach der Session gar nicht wieder anziehen! Die Shootings fanden größtenteils in Studios statt. Einige wollten aber lieber draußen posieren, zum Beispiel auf dem Warschauer Weichsel-Boulevard. Wir waren ein wenig besorgt, also gingen wir schon um fünf Uhr morgens auf den Platz; aber die wenigen Menschen, die sich zu dem Zeitpunkt dort aufhielten, schauten sich die Fotosession einfach an, ohne die Polizei zu rufen.

„Die wenigen Menschen, die sich auf dem Weichsel-Boulevard aufhielten, schauten sich die Fotosession einfach an, ohne die Polizei zu rufen“

Wie wird der Kalender in Polen aufgenommen? Die Tatsache, dass man überhaupt einen Kalender voller nackter schwuler Männer im katholischen Polen finden kann, ist für viele überraschend. Aber wir verkaufen uns gut. Die letzten drei Jahre waren erstaunlich: obwohl die Homophobie auf politischer Ebene zugenommen hat, hat sich zugleich die Community gefestigt.

Polens Regierungspartei PiS propagiert offen Homophobie, während sie über ein Gesetz zum Verbot sexueller und geschlechtlicher Vielfalt diskutiert. Wie verhaltet ihr euch als Medienmacher in solcher Atmosphäre? Es ist sehr traurig zu sehen, dass die Regierungspartei uns diskriminiert, ohne auch nur zu versuchen, dies zu verbergen. Ich versuche, meine Arbeit bei Replika einfach so gut wie möglich weiter zu machen.

Wie kann die Community in Deutschland helfen? Ich denke, der Kauf des Kalenders ist ein guter Beitrag, um das einzige LGBTIQ*-Magazin Polens und dadurch auch die Community hier zu supporten, die in einer ganz anderen Welt lebt als queere Menschen in Deutschland. Das ist konkrete Unterstützung.

Bild: Replika

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