Sex ist nicht gut
Asexualität wird oft pathologisiert oder nicht ernst genommen – auch in der queeren Szene. Zum Tag der Asexualität am 6. April wünschen sich die Aktivist*innen Annika Baumgart und Katharina Kroschel eine kritische Auseinandersetzung mit der (Über-)Bewertung von Sex
Nachdem jetzt erst mal einige aufgrund der Überschrift empört nach Luft geschnappt haben, geben wir Entwarnung: Dass Sex nicht gut ist, heißt nicht automatisch, dass Sex schlecht ist. Sex ist einfach nur bzw. er sollte einfach nur sein. Sex wird oft negativ bewertet, vor allem in frauen- und queerfeindlichen Kreisen – da ist es nicht verwunderlich, dass gerade in queerfeministischen Diskursen Sexhaben als gute Sache schlechthin stilisiert wird. Und klar, Sex kann empowernd und revolutionär sein.
„Sex sollte nicht bewertet werden – genauso wenig wie bewertet wird, ob Schwimmen oder Stricken gut oder schlecht ist.“
Trotzdem bleiben wir bei unserem Statement. Sex sollte nicht bewertet werden – genauso wenig wie bewertet wird, ob Schwimmen oder Stricken gut oder schlecht ist. Denn mit einer Bewertung von Sex als inhärent gut geht allerlei einher, nicht zuletzt die Diskriminierung von Personen, die keinen Sex haben, keinen Sex haben können, keinen Sex haben wollen. Versteht uns nicht falsch: Sex zu feiern, die Möglichkeit zu feiern, Sex haben zu können und zu dürfen, ist großartig und hat definitiv seine Berechtigung. Dabei darf allerdings nicht vergessen oder gar ignoriert werden, dass es auch ganz andere Zugänge zu Sex gibt.
Ein queeres Verhältnis zu Sex
Ein Beispiel dafür ist Asexualität. Asexualität bezeichnet eine sexuelle Orientierung und ein queeres Verhältnis zu Sex. Asexuell zu sein kann bedeuten, keine, wenig, zeitweise und/oder nur unter bestimmten Umständen sexuelle Anziehung zu empfinden. Asexuell zu sein kann auch bedeuten, keinen Sex haben zu wollen.
In einer Gesellschaft, in der Sex als inhärent gut bewertet wird, lebt es sich als asexuelle Person schwierig. Überall herrscht die Annahme, dass alle Leute Sex haben wollen und werden; fast alle gesellschaftlichen Strukturen reproduzieren Compulsory Sexuality (der gesellschaftliche Zwang, ein sexuell aktiver Mensch zu sein, Anm. d. Red.). Asexuellen Personen wird ihre physische und psychische Gesundheit abgesprochen oder direkt ihre Menschlichkeit.
„In einer Gesellschaft, in der Sex als inhärent gut bewertet wird, lebt es sich als asexuelle Person schwierig.“
In Forschung und Politik wird Asexualität kaum mitgedacht. So gibt es beispielsweise kaum Datenerhebungen über Diskriminierung und Diskriminierung aufgrund von Asexualität wird nicht als Fluchtgrund anerkannt.
Auch in der queeren Community wird Asexualität bestenfalls als nebensächliches Thema oder lästiges Anhängsel betrachtet, in den meisten Fällen jedoch ignoriert oder für nicht existent erklärt. Asexuelle Forderungen werden übergangen, Ansprüche kleingeredet und Kämpfe gegen strukturelle Diskriminierung verunmöglicht.
Normative Grenzen einreißen
Die queere Community muss solidarischer werden, nicht nur Asexualität gegenüber. Sie darf nicht in monolithisches Denken verfallen. Sie darf sich nicht dagegen wehren, selbst gequeert zu werden. Sie muss akzeptieren, dass sich „queer“ nicht nur auf schwule und lesbische Erfahrungen beschränkt, und interne Normen wie Compulsory Sexuality abbauen.
Queerer Aktivismus muss danach streben, normative Grenzen einzureißen, damit alle queeren Personen in ihrer Queerness existieren können und keine sexuelle oder romantische Orientierung, Geschlechtsidentität oder Disidentifikation mit Geschlecht, queere Lebens- und Beziehungsweise als zu queer gilt. Ein erster Schritt wäre, anzuerkennen, dass Sex nicht inhärent mit einer Wertung aufgeladen ist, auch nicht mit einer positiven.
Annika Baumgart & Katharina Kroschel veröffentlichten 2022 das Buch „(Un)sichtbar gemacht – Perspektiven auf Aromantik und Asexualität“
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