Selbsthilfe im Wandel: Großes Interesse an der ersten Chemkon

Chemsex ist besonders in den schwulen Szenen sehr präsent. Das Angebot an Substanzen ist groß, der Bedarf an Information sowie an Hilfsangeboten ebenso. Ende März fand nun die erste bundesweite Konferenz zu sexualisiertem Substanzkonsum statt
Das Interesse war groß und die Fachkonferenz „Chemkon“, zu der die Bundesinitiative sexualisierter Substanzkonsum (BISS) am 28. und 29. März auf dem Gelände der Charité in Berlin geladen hatte, schnell ausverkauft. In mehreren Vorträgen und unterschiedlichen Workshops ging es um neuste Forschungsergebnisse zu Substanzkonsum sowie Herausforderungen für NGOs, der Vor-Ort-Arbeit und Therapie- und Reha-Angebote.
„Selbsthilfe ist im Wandel“, resümiert Dr. Martin Viehweger gegenüber SIEGESSÄULE, Vorstandsmitglied bei BISS, Facharzt für Allgemeinmedizin und Aktivist für sexuelle Gesundheit. Das Thema Chemsex werde mehr und mehr Thema in Aidshilfen, Drogennotdiensten, der Medizin und Selbsthilfeangeboten. Daher brauche es finanzielle Unterstützung zum Ausbau von Weiterbildung und Möglichkeiten zum Austausch, um auch neue Wege im Bereich der Harm-Reduction (also der Reduzierung von Risiken) zu gehen. Dazu solle auch der Zugang über Krankenkassen zu Rehabilitation und Sexualtherapie erweitert werden. Wege aus dem problematischen Gebrauch müssten „nachhaltig und körperorientiert“ sein, so Viehweger.
Sexualität ohne Substanzen neu erlernen
Wie das aussehen könnte, wurde im Wokshop „Nach der Party...“ von Jan Großer (Facharzt für Psychiatrie) und Kai Ehrhardt (somatischer Pädagoge) veranschaulicht. Hier ging es darum, wie eine erfüllte Sexualität, Intimität und Nähe ohne Substanzgebrauch neu erlernt werden können.
Viele Teilnehmende der Workshopreihe „Wege aus dem Chemsex“, die im Village Berlin angeboten wurde, hätten noch nie nüchtern Sex erlebt, berichtet Großer. Oftmals dominierten in den Köpfen schwuler Männer Bilder vom Sex wie aus Pornos: „Sex ist Action. Da muss was passieren. Ficken, fisten, kommen.“
Wenn Erwartungen nicht erfüllt werden oder negative Gefühle auftreten, käme oftmals die Sorge auf, etwas falsch gemacht zu haben. Denn schließlich gilt ja das Gebot: „Sex muss Spaß machen.“ Der Substanzkonsum helfe dann, eigene Gefühle gar nicht erst zuzulassen und das Bedürfnis nach Nähe und Intimität zu überdecken.
Über sexuelle Wünsche zu sprechen und vor allem zu erspüren, was man wirklich will und was vielleicht nicht, das wird in diesen Workshops geübt. Die Rückmeldungen seien laut Großer sehr positiv. Ziel sei es nun, solche Workshops auch in Hilfsangeboten vor Ort, wie Selbsthilfen oder Aidshilfen zu implementieren.
Steigender Konsum von GHB und Monkey Dust
Auf großes Interesse stieß auch ein Workshop zu den Drogen GHB und Monkey Dust. Das Spektrum der G-User*innen ist breit gefächert: Von gelegentlichen Konsument*innen bis zu häufigem und regelmäßigem Gebrauch, wie eine Studie der Charité zeigt. Ausschlaggebend dafür sind offenbar der günstige Preis und die Verfügbarkeit über das Internet.
Über die Hälfte der regelmäßigen User*innen berichtete zudem, dass sie G schon überdosiert hätten, was oft an zeitlich zu kurzen Abständen der Einnahmen liege. Eine Überdosierung im Club würde außerdem aus Angst vor einem Hausverbot manchmal versteckt, da die Einnahme von G in manchen Clubs explizit untersagt ist, berichtet Christopher Clay vom Präventionsprojekt sidekicks.berlin gegenüber SIEGESSÄULE.
Monkey Dust sei vor allem seit 2023 ein stetig wachsendes Thema, berichtet Clay: „Wenn Menschen wegen Chemsex Kontakt zu Hilfseinrichtungen suchen, hat das aktuell auffallend häufig mit Monkey Dust zu tun, und die Probleme sind auffallend schwerwiegend.“ Psychotische Zustände nach dem Konsum würden oft berichtet. Dennoch sagen viele User*innen, dass sie trotz negativer Folgen weiterhin Lust auf Monkey Dust hätten. Ein Grund dafür ist, dass die Substanz eine große Menge an Dopamin ausschüttet und somit direkt auf das Belohnungssystem im Hirn abzielt.
„Ich wünsche mir, dass wir in der Szene mehr Verantwortung füreinander übernehmen, statt zu hoffen, dass Verbote, Drohungen und Stigma hier einen positiven Effekt haben könnten.“
Wichtig im Umgang mit diesen Substanzen sei es, vorurteilsfrei zu informieren und aufzuklären. „Ich wünsche mir, dass wir in der Szene mehr Verantwortung füreinander übernehmen, statt zu hoffen, dass Verbote, Drohungen und Stigma hier einen positiven Effekt haben könnten.“ Das habe auch schon bei allen anderen Drogen nicht funktioniert, so Clay.
Die erste Chemkon zeigt, wie groß das Interesse am Thema sexualisierter Substanzkonsum ist. Auch wenn es noch keine konkreten Planungen für Folgeveranstaltungen gibt, ist zu hoffen, dass es zukünftig weitere Plattformen zum Austausch dieser Art geben wird. Andere Städte haben bereits Interesse bekundet, dieses Format weiterzuführen und somit die Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen und es ggf. der individuellen Situation vor Ort anzupassen.
Bundesinitiative sexualisierter Substanzkonsum (BISS)
biss-chemsex.com
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