Selbstbestimmungsgesetz scheitert im Bundestag
Am Mittwoch wurden Anträge der Grünen und der FDP für ein Selbstbestimmungsgesetz abgelehnt
Mehr Selbstbestimmung für trans* und inter* Personen – dieses Anliegen ist in Deutschland erstmal gescheitert, und zwar auch mit den Stimmen der SPD.
Am Mittwochabend wurden im Bundestag zwei von der Grünen- und von der FDP-Fraktion eingebrachte Anträge für ein Selbstbestimmungsgesetz abgelehnt. Bei der namentlichen Abstimmung gaben dem Grünen-Entwurf nur 118 Abgeordnete ihr Ja, 461 stimmten mit Nein. Für den Entwurf der FDP gab es 181 Stimmen, 456 dagegen.
Transsexuellengesetz in Teilen verfassungswidrig
Die Entwürfe hätten neu geregelt, wie trans* und inter* Personen ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern lassen können. Sie hätten das derzeit noch geltende „Transsexuellengesetz“ (TSG) von 1980 abgelöst, das als völlig veraltet gilt und das in Teilen vom Bundesverfassungsgericht mehrfach für verfassungswidrig erklärt wurde. Unter anderem verlangt das TSG den Gang vor Gericht, um den Personenstand zu ändern, außerdem zwei teure psychologische Gutachten, deren Erstellung oft mit entwürdigenden Fragen einhergeht. Noch bis 2011 mussten sich trans* Personen dafür sogar zwangsweise operieren und sterilisieren lassen.
Ein Selbstbestimmungsgesetz hätte dagegen ab einem Alter von 14 Jahren ermöglicht, den eigenen Geschlechtseintrag einfach auf Grundlage von Selbstauskunft am Standesamt zu ändern. Eine analoge Regelung gibt es in mehreren anderen europäischen Ländern schon länger, unter anderem im Schweden, Dänemark, Irland oder Norwegen.
Darüber hinaus wollten Grüne und FDP auch einen Rechtsanspruch auf Gesundheitsleistungen und ein wirksames Offenbarungsverbot via Gesetz festschreiben – das heißt, dass Personen, die ihren Geschlechtseintrag haben ändern lassen, nicht „zwangsgeoutet“ werden dürfen.
Grüne, Linke und FDP: Diskriminierung muss beendet werden
„Bis heute kenne ich das Gefühl der Angst, wenn ich meinen Mann in der Öffentlichkeit küsse“, sagte Sven Lehmann (Grüne) bei der Debatte am Mittwoch. „So ähnlich geht es vielen LSBTI.“ Die Bundesregierung stehe in der Pflicht, gegen Diskriminierung zu arbeiten. „Wenn ein transgeschlechtlicher Mensch einfach nur in seinem Geschlecht anerkannt werden will, sich dafür aber jahrelang teuren Zwangsgutachten unterziehen muss, mit intimsten und entwürdigenden Fragen, dann ist das Diskriminierung“. Das „Transsexuellengesetz“ verletze seit 40 Jahren die Würde des Menschen.
Jens Brandenburg von der FDP kritisierte die Koalition: diese habe „jetzt vier Jahre Zeit gehabt, einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen“, um die Diskriminierung von trans* und inter* Personen zu beenden, habe dies aber nicht zuwege gebracht. Wenige Gesetze beeinflussten das Leben von trans* und inter* so stark wie die Regelung zum Personenstand.
Auch Doris Achelwilm von der Linken-Partei übte Kritik an der Koalition, die an alten Geschlechtervorstellungen festhalte und damit LGBTIQ* weiterhin das Leben schwer mache.
AfD spricht von „genderpolitischem Wahnsinn“
Bettina Wiesmann von der Union betonte, man bekenne sich ausdrücklich zu „Vielfalt“. Allerdings bestehe die CDU/CSU auf eine „Beratung“, der sich trans* und inter* Personen weiterhin verpflichtend unterziehen sollten, wenn sie ihren Personenstand ändern lassen wollen. Die Gesetzesentwürfe von Grünen und FDP gingen „weit über das Ziel hinaus“.
Marc Henrichmann von der Union ergänzte, man bedauere, dass noch kein Reformvorschlag der Koalition zustande gekommen sei. Ein Selbstbestimmungsgesetz lehne man dennoch ab, da auf „Beratung und Begleitung“ nicht verzichtet werden dürfe.
Beatrix von Storch von der AfD wetterte erwartungsgemäß gegen die Anträge, die sie als „Overkill des genderpolitischen Wahnsinns“ bezeichnete. Das „biologische Geschlecht“ bilde die einzig realistische Grundlage. Ein Selbstbestimmungsgesetz zu fordern sei „moralisch desorientiert“, wer ein solches fordere gehöre nicht in die Regierung, sondern „in Behandlung“. Transitionen bei Jugendlichen stellte sie auf eine Stufe mit Schönheitsoperationen.
SPD gibt Union die Schuld
Susann Rüthrich von der SPD sagte, alle bisherigen Versuche, mit dem Koalitionspartner in Bezug auf das Transsexuellengesetz zu „einer für die Betroffenen guten Lösung zu kommen“, seien gescheitert. Dies heiße aber nicht, dass die SPD die Entwürfe von Grünen und FDP „vollumfänglich mittragen“ könne. Karl-Heinz Brunner von der SPD wies darauf hin, wie dringend eine Ablösung des TSG sei. Die Grünen und FDP wollten aber, über die Regelung zum Personenstand hinaus, „durch die Hintertür“ noch andere Regelungen mit einführen, weswegen die SPD den Entwürfen nicht zustimmen könne.
Bereits im April hatte die SPD angekündigt, dass es in dieser Legislaturperiode keine Reform des „Transsexuellengesetzes“ geben werde. Die Verantwortung schob sie der Union zu, die einen „tragbaren Kompromiss“ verhindert habe. CDU/CSU hatten erst im Februar einen Gesetzesentwurf vorgelegt, mit dem das „Transsexuellengesetz“ abgelöst werden sollte. Unter anderem mittels einer Beratungspflicht hielt der Entwurf jedoch an Fremdbestimmung fest.
Auch andere queerpolitische Anträge abgelehnt
Beraten wurde am Mittwoch auch noch über andere LGBTIQ*-relevante Anträge: ebenfalls abgelehnt wurden Anträge der Linken-Fraktion für Entschädigungen nach Zwangsoperationen und für mehr Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der EU. Außerdem scheiterten Anträge der Grünen für einen Entschädigungsfonds und für einen Aktionsplan sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, für eine Stärkung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und für bundesweite Studie zum Sorgerechtsentzug lesbischer Mütter.
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