Ausstellung im Pop Kudamm

Schwuler Modevisionär: Die Seidenschals von Rudi Gernreich

9. Mai 2023 Carsten Bauhaus

Dem zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Mode-Pionier Rudi Gernreich wird im POP Kudamm die Ausstellung „Tutti Frutti...Oh Rudi!“ gewidmet. Seine Seidenschals feiern die Pop-Ästhetik der 60er und 70er Jahre  – und sind ein Augenschmaus für Mode-Aficionados

Der Modedesigner Rudi Gernreich (1922-1985 ) kann wohl mit Fug und Recht als Visionär bezeichnet werden: Der Tanga zum Beispiel war nicht nur seine Erfindung, sondern wurde von ihm 1974 sowohl für Frauen als auch für Männer entworfen. Die durch sein Design hervorgerufene Provokation war dabei nicht sein wirkliches Anliegen: Gerade mit der Normalisierung von Nacktheit wollte er die Sexualisierung nackter Körper überwinden.

Schon 1964 hatte der jüdische Österreicher, der 1938 vor den Nazis in die USA geflohen war, den „Monokini“ entworfen, einen klassischen Badeanzug, der aber die Brüste komplett freilässt. Überhaupt riet er seinen Kundinnen, seine Mode ohne BH zu tragen. Er verband das Freiheitsgefühl der Wiener Moderne mit der Lässigkeit amerikanischer Sportswear und schuf so Mode jenseits jeglicher sozialer Grenzen und Geschlechterklischees. 

„Gernreich war ein Pionier auf ganz vielen Gebieten“, schwärmt der Stylist, Aktivist und Gernreich-Sammler Frank Wilde. „Unter anderem war er eben wirklich einer der ersten, die Unisex-Mode entworfen hat. Außerdem war er eine Art Pop-Art Künstler aus der Warhol Ära.“

Stolz präsentiert er der SIEGESSÄULE beim Vorgespräch seine Gerneich-Seidenschal-Sammlung: Ausdrucksstarke Farben und prägnante grafische Muster lassen die Ästhetik der 60er- und frühen 70er-Jahre wiederaufleben. Gernreich experimentierte außerdem mit Buchstaben-Design und – als Statement zum Vietnamkrieg – dem Military Look. „Die Schals haben alle einen gewissen Witz,“ attestiert Frank Wilde.

Wildes Sammlerleidenschaft begann Mitte der 90er Jahre mit einem Geschenk von Musikclip-Regisseur und Fotograf Paul Graves, der Co-Curator der Ausstellung ist. „Paul überreichte mir damals ein Seidentuch, das er in einem Second Hand Laden in New York gefunden hatte. Ich begann mich intensiver mit Rudi Gernreich zu beschäftigen und entwickelte geradezu eine Besessenheit.“

„Er kreierte einen totalen Look"

Exzessiv graste der passionierte Sammler 20 Jahre lang Second-Hand-Läden und Online-Auktionen ab. Sein Fokus lag dabei fast ausschließlich auf den von Gernreich entworfenen Seidenschals, in denen er ein zentrales Schaffenselement erkennt: „Dabei sind die Tücher eigentlich nur ein Nebenprodukt seiner Kollektionen. Er hat ja einen ‚totalen Look‘ kreiert, lange bevor es andere ihm nachgedacht haben. So konnte man sich von Kopf bis Fuß vollständig in seine emanzipatorische Vision kleiden.“

Über die Jahre gab Frank Wilde ein kleines Vermögen aus. Heute zählt seine Sammlung 130 Stück, die größte Sammlung dieser Art „Ich habe alle Muster in wohl fast allen Farbvariationen. Ich wüßte keinen, der das auch so sammelt. So wird diese spezielle Ausstellung auch eine Weltpremiere sein.“ 

Der Ort der „Tutti Frutti...Oh Rudi!“ betitelten Ausstellung ist das Pop Kudamm, ein silber schimmernder temporärer Pavillon in einer Baulücke in der City-West. Das von Graft gestaltete Ensemble aus 35 Containern versteht sich als ein Ort für kulturelle Diversität und Erforschung des zukünftigen Miteinanders. Bei der Installation werden die Seidenschals auf Metallgestängen inszeniert. „Es wird am ehesten einem Mobile ähneln,“ erklärt Frank Wilde. „Uns war es wichtig, das Design für sich sprechen zu lassen.“ 

Aktivist der Homosexuellenbewegung

Mit einem eigenen Panel wird außerdem Gernreichs Engagement als Aktivist gewürdigt. Im Jahr 1950 war er Mitbegründer der Mattachine Society, der ersten Homosexuellenbewegung weltweit nach dem Zweiten Weltkrieg. „Er war allerdings offiziell nicht geoutet“, erzählt Frank Wilde. „Dass er schwul war, drang erst nach seinem Tod in die breite Öffentlichkeit. Unter anderem, weil er fast sein gesamtes Vermögen der UCLA, der American Civil Liberty Organisation, vererbte, die unter anderem für LGBT-Rechte kämpfte.“ 

Die Ausstellung rückt nun das visionäre Wirken und Schaffen Gernreichs zurück ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Und breitet die ganze Farb- und Formpracht von Wildes Sammlung vor aller Augen aus. „Ich selbst trage die Stücke höchstens mal auf einer Gala, wenn ich weiß, dass ich dort nur zwei Stunden bleibe“, betont Frank Wilde. Zu schmerzlich wäre es, wenn sie Schaden nehmen würden oder gar ein Brandloch abbekämen: „Im Berghain würde ich sie deshalb nie tragen.“

„Tutti Frutti…Oh Rudi!”
by Paul Graves und Frank Wilde,
11.05.–29.05., Pop Kudamm

Vernissage, 11.05., 18:00
Live Performance by Khan of Finland
DJ Ali Liar, Eintritt: frei

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