Schwule Operette: „Das hätte es schon längst geben müssen“
Die „Operette für zwei schwule Tenöre“ wird am 6.10. uraufgeführt. Wir sprachen mit den beiden Machern, Autor und Blogger Johannes Kram und Komponist Florian Ludewig, über das Stück, schwule Liebe, Operettenfieber und Selbstermächtigung
Florian, Johannes, wie kam es zur Idee für die „Operette für zwei schwule Tenöre“? Florian Ludewig: Johannes hat mir irgendwann vorgeschlagen, gemeinsam eine Operette zu schreiben. Ich fand die Idee zunächst ziemlich beknackt. Vor etwa zehn Jahren wurde er so richtig vom Operettenfieber gepackt. Es kam dann immer häufiger vor, dass ich zu ihm zu Besuch kam und schon ganz laut im Treppenhaus Sachen aus dem „Vetter aus Dingsda“ oder dem „Weißen Rößl“ zu hören waren. Das war erst etwas strange, aber irgendwann hat es mich dann auch erwischt. Johannes Kram: Wenn man Operette liebt, finde ich es als schwuler Mann ziemlich naheliegend, sich zu fragen, wieso es das eigentlich nicht in schwul gibt. Und als schwuler Autor finde ich, dass unsere Geschichten in allen Genres stattfinden sollten und denke natürlich darüber nach, mit welchen Genres kann ich eine queere Geschichte so erzählen, dass sie mal anders berühren und anregen kann? Die Operette hat ja Dimensionen von Aufbruch, Emanzipation und Utopie und ich denke, dass ist das, war wir jetzt brauchen. Wir sind mittlerweile an schwule, queere Geschichten in Filmen gewöhnt. Aber diese müssen überall stattfinden, also auch in Operetten. Es gibt zwar mittlerweile schwule Opern, darin wird jedoch meist immer das Sterben und Leiden thematisiert.
„Wir haben uns gefragt: Was wäre eine Champagner-Arie von heute?“
Florian, was hat dich letztendlich doch für Operettenmusik begeistert? FL: Letztendlich haben Johannes und ich eine große Schnittmenge im Musikgeschmack: immer wenn es pathetisch und gut gelaunt und gefühlig wird, können wir uns schnell einig werden. Er hat mich auch immer mit denselben Ohrwürmern getriggert. Schließlich haben wir das dann selbst ausprobiert.
JK: Es ging uns darum: Wie können wir heute eine Operette erzählen und wie wäre es, wenn eine Musik mit Stilanleihen und Sound von damals die Themen von heute hätte. Es sollte auch Themen geben, die damals schon in den Operetten steckten. Der Song „Champagner von Aldi“ ist so ein Beispiel. Wir haben uns gefragt: Was wäre eine Champagner-Arie von heute?
Florian, wie war es für Dich als Komponist, nachdem du ebenfalls vom Operetten-Virus befallen warst? FL: Ich fühlte mich künstlerisch plötzlich sehr befreit. Denn an den Stellen, wo ich mich sonst frage, ob es nicht zu kitschig oder übertrieben wird, könnte ich genau das machen: Hier noch etwas drauflegen in der Harmonik, große Melodiebögen, Refrains nochmals wiederholen, weil es gerade so schön ist. Man muss sich nicht vor dem großen Gefühl verstecken, man darf Spaß haben, ohne sich zu schämen. JK: Wir haben für alle 16 Songs von einem großartigen Arrangeur, Martin Rosengarten, Orchesterarrangements machen lassen, die vorab im Studio produziert werden und während der Vorstellungen zugespielt werden. Das knallt richtig!
Worum geht’s im Stück? JK: Wir haben ein schwules Paar, das in einem Häuschen auf dem Land zusammenlebt. Der eine,
Tobi, der zugezogen ist, liebt es. Und der andere, Jan, der von dort kommt, hasst es. Nicht zuletzt deshalb trennt sich Jan von Tobi und zieht nach Berlin. Er verlässt das gemeinsame Idyll in der Provinz, das für ihn die Hölle ist. Also, es geht ums schwule Zusammenleben. Wie wollen wir leben und lieben? Welche Beziehungsmodelle wollen wir haben? Etwa auf dem Land eigene Marmelade
kochen, Obstbäume hegen, Kerzen ziehen und Schützenfest? Oder das Metropolenleben in der Großstadt?
Wie wird das szenisch auf der Bühne umgesetzt? JK: Die Beziehung von Tobi und Jan wird von ihnen großteils aus der Rückschau erzählt. Durch die Operettenmusik werden die einzelnen Episoden wieder präsent. Am Ende stellt sich die Frage, ob und
wie sie wieder zusammenkommen.
„Es schmeckt erst mal süß, aber da ist mehr dahinter, mal tiefes Gefühl, mal Subversives“
Sehen wir nur nur die beiden als Kammerspiel auf der Bühne? JK: Es gibt noch eine Gruppe von Darstellern, die wir die „Company“ nennen: drei junge Männer, die tanzen, singen und performen. Sie haben keine festen Rollen, sondern sie bilden die innere und die
äußere Perspektive auf das Geschehen ab. Jan singt zum Beispiel das Lied „Liebe Grüße aus Berlin“ mit ihnen.
Was ist für Euch neben der Musik das Operettige an diesem Stück? JK: In der Operette geht es ja immer auch um die möglich werdende unmögliche Liebe. Das ist auch bei uns so. FL: In der Darstellung wollen wir, sobald die Musik einsetzt, diese bunte, meist ausgelassene Welt der Operette aufmachen. Und darunter liegt die zweite Ebene mit den Liedtexten. JK: Da gibt es eine Fallhöhe, wie es bei der Operette üblich ist: Es schmeckt erst mal süß, aber da ist noch mehr dahinter, mal tiefes Gefühl, mal Ironie, mal Kritisches, mal Subversives. Das ist, glaube ich, sehr typisch für Operetten.
Unverhofft kommt bei Euch auch „Tagesschau“-Sprecher Jens Riewa – der ja stets betont, wie hetero er ist – zu Ehren: Es gibt eine Schmachtarie an ihn: „Ich steh total auf Jens Riewa“. Richtige Walzerseligkeit ... JK: Na ja, wo die Liebe hinfällt ... Wir beziehen uns, was die Musikstile betrifft, auf alle Epochen der Operette. Also Walzer, Walzer, Walzer und das ganze andere ... FL: Also Walzer, Marsch, Polka, Jazziges, Lateinamerikanisches, zum Beispiel Tangos, kommen in unserer Musik vor, wie das auch zum Beispiel bei der Berliner Jazz-Operette in der Weimarer Republik war.
Was ist Eure Lieblingsstelle im Stück? JK: Ganz klar: Es gibt das „Liebeslied von Mann zu Mann“, das uns alle im Ensemble und im
Kreativteam immer wieder neu umhaut, wenn sie es singen. Das ist der emotionale Höhepunkt der Geschichte. FL: Bei jeder Nummer, die ich höre, denke ich: Das ist mein Lieblingslied! Aber wenn man sich jetzt entscheiden müsste, würde ich das auch nennen.
Wie liefen die Proben bisher? JK: Alle Mitwirkenden haben wirklich dauernd überdurchschnittlich gute Laune. Das muss an dieser
Operettenmusik liegen. Wenn wir nach den Proben in die Mittagspause gehen, laufen da einige oft auf Wolken in einem Himmel voller Geigen. Bei Kleinkunst oder Pop hast Du das Gefühl zwar manchmal auch. Aber hier hast du halt dauernd diesen speziellen Kosmos. FL: Ich habe im ganzen Leben nicht so viele Walzer komponiert wie in den letzten Jahren. Das dann alles so zu sehen mit diesen Wahnsinnschoreografien von Michael Heller, das macht natürlich Laune.
„Was macht ein Stück zu einem schwulen Stück?“
Viel Operettenseligkeit und Schmalz und Camp sind also bei euch zu finden. Aber: Wie politisch ist Euer Stück? JK:. Politisch ist, dass wir wir nicht nur vereinzelt vorkommen, sondern, dass es um uns geht. Wir haben uns dieses unterschwellig immer schon queere Genre der Operette geschnappt und machen das Queere zur Hauptsache. Das hätte es sowieso schon längst geben müssen.
„Operette für zwei schwule Tenöre“, das klingt ja eher wie ein Untertitel von einem Stück, nicht wie ein richtiger Titel. JK: Das ergibt auch eigentlich keinen Sinn, denn in der Geschichte sind es nicht zwei Tenöre in ihren Rollen. Vielleicht im Herzen, denn Tobi ist Operettenfan. Im Titel wird bewusst die vierte Wand durchbrochen. Und das führt zu Fragen, die ja auch gerade in der Gesellschaft und der Community diskutiert werden: Dürfen das nur Schwule spielen? Was macht ein Stück zu einem schwulen Stück? Wie wichtig sind die Erfahrungen der Mitwirkenden? Unsere Operette ist auch eine Selbstermächtigung, auch die ist in diesem Titel verborgen.
SIEGESSÄULE präsentiert:
Operette für zwei schwule Tenöre, 6.10. (Uraufführungspremiere), 7.-10.10., 13-17.10., 20 Uhr
BKA Theater
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