Schweigen nach Brandmauerfall: LSU, ist das euer Ernst?
Die Brandmauer ist gefallen – und während sich die LSU noch über den geforderten Ausschluss der Union von CSDs empört, schweigt sie zum politischen Tabubruch der eigenen Partei. Statt sich als Opfer zu inszenieren, wäre jetzt politisches Rückgrat gefragt, findet Christoph R. Alms
Der 29. Januar 2025 ist in die deutsche Nachkriegsgeschichte eingegangen. Nicht etwa, weil die Deutschen zum 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungs- und Konzentrationslagers Auschwitz endlich Wege gefunden haben, allen Opfern des Nationalsozialismus angemessen zu gedenken – auch den queeren Verfolgten und Ermordeten. Oder weil sie konsequente Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben. Nein, ganz im Gegenteil.
Während am Vormittag ein stilles Gedenken an die queeren Opfer des NS-Regimes am sogenannten „Homo-Mahnmal” in Tiergarten stattfand und im Deutschen Bundestag eine offizielle Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus begangen wurde, fiel bereits wenige Stunden später auf Initiative des Kanzlerkandidaten zur Bundestagswahl 2025, Friedrich Merz (CDU), die Brandmauer zur AfD. Von insgesamt 733 abgegebenen Stimmen zu einem Entschließungsantrag zur Eindämmung der Migration reichte eine knappe Stimmenmehrheit aus, um eine Zäsur in der Politik zu setzen.
Der Tabubruch im Deutschen Bundestag wurde mit 348 Ja-Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der AfD-Fraktion sowie einiger weniger fraktionsloser Abgeordneter besiegelt. Dem Dammbruch stellten sich die Abgeordneten der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen sowie der Gruppe Die Linke geschlossen entgegen. Die Gruppe BSW enthielt sich.
Fassungslosigkeit, Wut, Verzweiflung, Ohnmacht machten sich breit. Man fragte sich: Ist das eigentlich euer Ernst?
Wie sehr muss die einstige Losung „Nie wieder” bereits verblasst sein, um ganz bewusst gegen eine offene, vielfältige und solidarische Gesellschaft zu stimmen?
Nicht nur der perfide anmutende, unverzeihlich makabre Zeitpunkt einer solchen Abstimmung, auch der Inhalt des Entschließungsantrags lassen an Menschlichkeit, Weitsicht und Verantwortungsfähigkeit zweifeln. Wie sehr muss die einstige Losung „Nie wieder” bereits verblasst sein, um ganz bewusst gegen eine offene, vielfältige und solidarische Gesellschaft zu stimmen? Wie machtbesessen, ignorant und kalkulierend ist es, sich gegen Menschlichkeit, für Rassismus, Hass und Hetze und zu einer Kooperation mit Rechtsextremen zu verbünden?
Inmitten des Bundestagswahlkampfs richteten sich viele in den queeren Communitys auch ratsuchend an die LGBTIQ*-Gruppen der Parteien. Was werden SPDqueer, QueerGrün, Die Linke.queer, vor allem aber die Lesben und Schwulen in der Union (LSU) zum Handeln der CDU sagen?
Erst vor Kurzem empörte sich die LSU auf Bundesebene, dass einer der Bundessprecher von Die Linke.queer, Daniel Bache, den Ausschluss der Unionsparteien von CSDs und anderen queeren Veranstaltungen forderte. Außerdem klagte er, sich von den „Drecksäcken” der Union nicht länger verscheißern oder als Werbeplattform missbrauchen zu lassen. Aufgebracht reagierte die LSU auf diese provozierende Wortwahl und fragte medienwirksam nach: „Daniel Bache, ist das dein Ernst?”
Wer sich jedoch – bei allen politischen Differenzen – über die durchaus streitbare Wortwahl und die Forderung beschwert, die Union und andere queerfeindliche Parteien von CSDs auszuschließen, sich zugleich aber inhaltlich jeglicher Diskussion verwehrt, weder Empathie, Verständnis noch Solidarität mit besonders vulnerablen Gruppen zeigt, sollte sich vielleicht nicht pseudodramatisch als Opfer inszenieren.
Es ist fraglich, wie aufrichtig es auf queere Wähler*innen wirkt, bei Gedenkveranstaltungen an die NS-Opfer möglichst große Kränze niederzulegen, aber zum Handeln der eigenen Partei zu schweigen.
Es ist fraglich, wie aufrichtig es auf queere Wähler*innen wirkt, bei Gedenkveranstaltungen an die NS-Opfer möglichst große Kränze und Blumengestecke niederzulegen und andächtig für Fotos zu posieren, aber zum Handeln der eigenen Partei zu schweigen – etwa zu der Forderung der CDU, das Selbstbestimmungsgesetz rückgängig zu machen, zur Blockade einer Grundgesetzänderung zum Schutz queerer Menschen und anderer queerpolitischer Vorhaben sowie zur Zusammenarbeit mit der AfD in den Parlamenten.
So bleibt der queeren Community in Deutschland vor allem eins: Das Recht, am 23. Februar 2025 zwei Kreuzchen für demokratische Direktkandidat*innen und Parteien zu setzen. Selbstverständlich nur bei Demokrat*innen, die eine Zusammenarbeit mit Rechtsextremen und Nazis nicht nur ausschließen, sondern ihren Worten auch Taten folgen lassen. Und bevor jemand fragt: Ja, das ist mein Ernst!
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