Politik

Schutz von LGBTI* im Grundgesetz

14. Feb. 2020 fs
Bild: Martin Hey CC BY 2.0 Quelle
Schon auf dem Berliner CSD 2009 wurde eine Ergänzung des Artikel 3 im Grundgesetz gefordert

In dieser Woche diskutierten Expert*innen im Bundestag über die Frage, wie LGBTI* im Grundgesetz vor Diskriminierung geschützt werden könnten. SIEGESSÄULE war vor Ort und bildet die Debatte ab

„Warum sitzen wir immer noch hier?“ Diese Frage stellte die Juristin Ulrike Lembke am Mittwoch vor dem Rechtsausschuss des Bundestages. Es geht um den Schutz von LGBTI* im Grundgesetz: bereits seit zehn Jahren wird auf politischer Ebene darüber verhandelt. Umgesetzt ist die Forderung bis heute nicht.

175: Der Staat diskriminierte ganz offen selbst

Im Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 3 GG) heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Sexuelle oder geschlechtliche Identität werden hingegen nicht erwähnt.

Warum? Hier lohnt ein Blick in die Geschichte: als Reaktion auf die nationalsozialistische Verfolgungspolitik wurde 1948/49, neben dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot, auch das so genannte spezielle Diskriminierungsverbot in das Grundgesetz aufgenommen. Besonders vulnerable Gruppen sollten auch besonders geschützt werden. Als der Artikel geschrieben wurde, standen jedoch, mit dem Strafrechtsparagrafen 175, homosexuelle Handlungen zwischen Männern noch unter Strafe. Das heißt: der bundesdeutsche Staat versuchte nicht, die Diskriminierung von Homosexuellen zu verbieten – sondern im Gegenteil, diskriminierte sie ganz offen selbst. Und auch in der ehemaligen DDR konnte mit dem §151 Sex sowohl zwischen Männern als auch zwischen Frauen geahndet werden.

Beide Paragrafen sind heute abgeschafft – die Lücke im Gleichbehandlungsartikel besteht aber fort. Eine gemeinsame Gesetzesinitiative der Bundestagsfraktionen der Grünen, FDP und Linken soll dies nun endlich korrigieren: in den Artikel eingefügt werden soll das Merkmal „sexuelle Identität“.

„Wichtiges Signal in die Gesellschaft“

Diese Gesetzesinitiative wurde am Mittwoch, den 12. Februar, im Bundestag debattiert. Die geladenen Sachverständigen zeigten sich einig darin, dass das Vorhaben, LGBTI* über das Grundgesetz zu schützen, umgesetzt werden müsse.

„Ein Verfassungstext ist immer auch ein Symbol“, sagte Sigrid Boysen, Rechtswissenschaftlerin und Professorin für Öffentliches Recht in Hamburg. LGBTI*-Feindlichkeit sei ein „klassischer Diskriminierungsgrund“, der den anderen Merkmalen in Artikel 3 gleichrangig sei. Wie die Verfassung formuliert ist, spiele eine große Rolle für die Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung, sagte auch Joachim Wieland von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Eine Ergänzung im Gesetzestext sei ein wichtiges Signal in die Gesellschaft hinein.

Ergänzung im Grundgesetz: Was würde sich ändern?

Unterschiedliche Meinungen gab es unter den Sachverständigen darüber, inwiefern eine Änderung des Grundgesetzes, über die Symbolwirkung hinaus, auch praktische rechtliche Folgen haben würde. Der Rechtswissenschaftler Ferdinand Wollenschläger bekräftigte zwar die „Leitbildfunktion“ des Grundgesetzes. Eine nennenswerte Verstärkung des Schutzes vor Diskrimierungen, im Vergleich zur aktuellen Rechtslage, sehe er jedoch nicht. Unter anderem habe die neuere Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes LGBTI* in ihren Rechten gestärkt. Und auch in mehreren Landesverfassungen gibt es bereits ein Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Identität.

Der Darstellung Wollenschlägers widersprachen andere Sachverständige. So stellte Sigrid Boysen klar, um „reine Symbolpolitik“ handele es sich bei dem Anliegen, den Text des Grundgesetzes zu ändern, nicht. Joachim Wieland wies darauf hin, die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts könne einen grundgesetzlich verbrieften Schutz nicht ersetzen.

Wo besteht Diskriminierung heute weiter?

Uneinigkeit herrschte auch über die Frage, ob es in Deutschland heute noch eine Diskriminierung von LGBTI* durch den Staat gebe. Während Joachim Wieland sagte, Diskriminierung durch staatliche Institutionen sei „nicht akut“, nannte zum Beispiel Anna Katharina Mangold das Abstammungsrecht als einen Bereich, in dem der Staat noch klar diskriminiere. Gleichgeschlechtliche Elternpaare sind heterosexuellen Paaren noch immer nicht gleichgestellt. Ein Gesetzesentwurf der Grünen, der lesbische Elternpaare besser stellen sollte, wurde erst am Donnerstag vom Bundestag abgelehnt (SIEGESSÄULE berichtete).

Zeichen gegen Homophobie – aber was ist mit trans* und inter*?

Sehr unterschiedliche Standpunkte vertraten die Sachverständigen außerdem in Bezug auf den Schutz für trans* und inter* Personen. Einige beriefen sich darauf, die Formulierung „sexuelle Identität“, wie sie in der Gesetzesvorlage vorgesehen ist, schütze nicht nur Homo- und Bisexualität, sondern auch trans* und inter* Geschlechtlichkeit. So sprach sich etwa Axel Hochrein vom Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) dafür aus, beim „einfachen“ Wortlaut „sexuelle Identität“ zu bleiben. Manche vertraten die Auffassung, trans* und inter* Identitäten seien im Grundgesetz jetzt schon geschützt – nämlich unter dem Merkmal „Geschlecht“.

Dasselbe Argument sei in früheren Diskussionen zum Grundgesetz bereits verwendet worden, entgegnete Anna Katharina Mangold von der Europa-Universität Flensburg: damals wurde behauptet, Homosexuelle seien bereits unter der Kategorie „Geschlecht“ geschützt. Sie plädiere entsprechend dafür, jetzt auch trans* und inter* als besonders vulnerable Personengruppen explizit zu benennen. Zum Beispiel könnte die längere Formulierung „sexuelle und geschlechtliche Identität“ ins Grundgesetz eingeführt werden.

Provokation durch die AfD 

Von den anwesenden Abgeordneten provozierte einzig Fabian Jacobi von der AfD mit der Frage, ob ein Schutz sexueller Identität im Grundgesetz auch die „Anziehung zu präpubertären Kindern“ legitimieren würde. Natürlich nicht, antwortete u. a. Mangold: Die Altersvorschriften im Strafgesetzbuch würden durch das Grundgesetz nicht aufgehoben. Mit seiner Frage ziehe Jacobi „in bösartiger und infamer Weise“ eine Linie von Homosexualität zu Pädophilie.

Verschärftes politisches Klima

Auf den wachsenden Einfluss der AfD und auf das sich verschärfende gesellschaftliche Klima wurde in der Debatte mehrmals angespielt. Axel Hochrein sagte etwa warnend, dass es wieder zu „Schmähungen von Homosexuellen“ in Parlamenten komme. Ulrike Lembke, Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt Universität Berlin, verwies auf die aktuelle politische Stimmung in ganz Europa: für bestimmte politische Richtungen, die EU-weit zunehmend stärker würden, gehöre die Ablehnung nicht-heterosexueller Lebensweisen zum politischen Programm. Gerade vor diesem Hintergrund sei Minderheitenschutz eine wichtige Aufgabe des Gesetzgebers.

Gegen Ende der Debatte stellte Petra Follmar-Otto vom Deutschen Institut für Menschenrechte am Mittwoch noch die eindrückliche Frage: „Welches Signal geht davon aus, wenn dieser Antrag jetzt abgelehnt wird?“

Denn ob die Ergänzung um den Schutz von LGBTI* wirklich kommt, wird sich erst zeigen. Der Gesetzgeber ist jetzt am Zug. 

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