Schauspielerin Karla Sofía Gascón über „Emilia Pérez“ und trans* Vorbilder
Jacques Audiards Film „Emilia Pérez“ gilt bereits jetzt als Meisterwerk. Beim Filmfestival in Cannes wurde die wilde Mischung aus Thriller, Musical und Sozialdrama unter anderem als „Bester Film“ ausgezeichnet. Gefeiert wird zu Recht aber auch die Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón. Sie verkörpert einen skrupellosen Drogenboss, der heimlich ein neues Leben als Frau beginnt. SIEGESSÄULE-Filmkritiker Axel Schock hat die spanische Schauspielerin zum Interview in Berlin getroffen
Versucht man die Story von „Emilia Pérez“ in einem Satz zusammenzufassen, klingt das nach schrägem Trash, bestenfalls nach einem Almodóvar-Frühwerk. Wie haben Sie reagiert, als Ihnen das Projekt vorgestellt wurde? Es ist in der Tat kein Film, der sich so einfach in Worte fassen lässt, und das war allen Beteiligten auch sehr schnell klar. Ich würde „Emilia Pérez“ schlicht als ein Kunstwerk beschreiben, das man vielleicht eher ins Guggenheim Museum stellen sollte, anstatt es im Kino zu zeigen. Als ich das Drehbuch gelesen hatte, habe ich vor allem gedacht: „Mein Gott, wie soll ein solch anspruchsvolles Projekt bloß von einer so kleinen Produktionsfirma in Paris gestemmt werden können!“ Aber als ich dann in Paris zum ersten Mal das Set sah, war ich überwältigt. Sie hatten containerweise Requisiten aus Mexiko geholt und einen Markt aufgebaut, der genauso aussah, wie der Markt, den ich aus meiner Zeit in Mexiko kannte. Ich war allerdings davon ausgegangen, dass „Emilia Pérez“ lediglich ein sehr kleines, ausgewähltes Publikum erreichen würde. Wer hätte gedacht, dass wir uns so täuschen könnten! (lacht)
Der Drogenboss Manitas kann den Schritt, künftig als Frau zu leben, nur heimlich vollziehen. Sie haben diesen Schritt seinerzeit in einem Buch öffentlich erklärt. Mit welchen Reaktionen haben Sie damals gerechnet? Mir war sehr bewusst, dass sich dieser Schritt an die Öffentlichkeit auf meine Arbeit auswirken wird. Ich habe mir vor allem Gedanken darüber gemacht, ob ich noch Rollen angeboten bekäme. Was hingegen die Menschen über mich denken, war mir völlig egal. Die einzige Person, die ein Recht hat über meinen Körper zu urteilen und zu bestimmen, bin ich selbst. Um aber ehrlich zu sein: Es gab durchaus Menschen, bei denen es mir nicht egal war, was sie über mich denken. Mich hat es daher sehr geschmerzt, dass ausgerechnet meine Familie, von der ich mir die meiste Unterstützung erhoffte, als erste den Kontakt abgebrochen hat. Daher war die Zeit direkt nach der Transition eine sehr dunkle Phase in meinem Leben.
Haben Sie auch von der Öffentlichkeit Ablehnung erfahren? Sie waren bei Ihrer Transition ja ein großer TV-Star in Mexiko … Leider ist es so, dass man als trans* Person oft unglaublichem Hass begegnet – ganz gleich, ob man berühmt ist oder nicht bzw. in welchem Land der Welt man sich befindet. Ich erhalte bis heute Nachrichten, in denen man droht, mich auf der Straße zu verprügeln oder mich zu zerstückeln und in einen Plastiksack zu stecken. Ich bin für viele tatsächlich so etwas wie der Staatsfeind Nummer eins.
Wie ertragen Sie das? Es mag vielleicht überraschend klingen, aber solche Drohungen sind für mich ein Antrieb erst recht weiterzumachen, um damit auch der trans* Community mehr Gerechtigkeit zukommen zu lassen.
„Es mag vielleicht überraschend klingen, aber solche Drohungen sind für mich ein Antrieb erst recht weiterzumachen, um damit auch der trans* Community mehr Gerechtigkeit zukommen zu lassen.“
Der Film und insbesondere Ihre darstellerische Leistung wurde bereits vielfach ausgezeichnet, unter anderem bei den Filmfestspielen in Cannes und beim Europäischen Filmpreis; nun geht er für Frankreich ins Oscar-Rennen. Ist dies auch ein Sieg für die weltweite trans* Community? Mir ist wichtig, hier zu differenzieren. Wenn wir Preise für diesen Film bekommen, dann nicht, für unser Geschlecht oder unsere sexuelle Identität, sondern für unsere Arbeit und unser Talent. Die andere Sache ist, dass wir als Menschen auch eine soziale Verantwortung haben. Und in dieser sozialen Rolle ist es für mich selbstverständlich wichtig, dass ich jenen Menschen, die sonst tatsächlich am Rande der Gesellschaft leben, denen oft nichts anderes bleibt, als durch Prostitution oder allerschlimmste Arbeiten ihren Lebensunterhalten zu verdienen, als Vorbild, Hoffnungsträgerin und Orientierungshilfe dienen kann. Und ich meine damit nicht nur trans* Personen, sondern alle Menschen, die in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz unten stehen. Es ist wirklich traurig, dass eine Person wie ich im Jahr 2024 noch ein Symbol für Hoffnung sein muss – einfach nur, weil Menschen, die anders sind als andere, nicht den Respekt erhalten, der ihnen zusteht.
„Es ist wirklich traurig, dass eine Person wie ich im Jahr 2024 noch ein Symbol für Hoffnung sein muss – einfach nur, weil Menschen, die anders sind als andere, nicht den Respekt erhalten, der ihnen zusteht.“
Tatsächlich erleben wir ja, dass der Hass auf queere Menschen weltweit wieder zunimmt. Es gibt leider zu viele Menschen, die davon leben, dass sie Hass verbreiten. Und ich meine damit vor allem Politiker*innen. Sie sagen: „Diese oder jene Minderheit ist schuld an eurem Elend.“ Wir sollten deshalb sehr genau darauf achten, wer Hass verbreitet und aus welchen Motiven. Oder wie es der Philosoph Karl Popper formulierte: Wenn man die Intoleranz toleriert, bedeutet dies irgendwann das Ende der Toleranz. Mich macht es sehr betroffen zu sehen, dass in den USA so viele Latinos einen Mann zum Präsidenten gewählt haben, weil dieser ihnen verspricht, dass keine Latinos mehr ins Land kommen. Dass Schwarze Menschen ihn gewählt haben, weil er sich gegen gleichgeschlechtliche Ehen ausspricht. Es geht also immer darum, andere zu hassen, um sich selbst als etwas Besseres zu fühlen. Das ist schrecklich und traurig, aber wie die Geschichte lehrt, scheint dieser Mechanismus tief im Menschen verwurzelt zu sein.
Emilia Pérez,
F/USA/Mexiko 2024.
Regie: Jacques Audiard,
mit: Zoë Saldaña, Karla Sofía Gascón, Selena Gomez, Adriana Paz, Édgar Ramírez u. a.
Ab 28.11. im Kino
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