Tag des Ehrenamts

Säulen der LGBTIQ*-Community: Ohne Ehrenamt geht's nicht!

5. Dez. 2024 Lea Siebarth
Bild: Jason Harrell
Ehrenamtssitzung im Schwulen Museum

Am 5. Dezember ist Tag des Ehrenamts. Ein guter Anlass, um auf Strukturen der LGBTIQ*-Community in Berlin zu schauen, deren Angebote ohne freiwillige, unbezahlte Arbeit unmöglich wären. Lea Siebarth sprach mit Vereinen und Gruppen, die dem Ehrenamt viel verdanken

In queeren Spaces ist die unbezahlte Arbeit, das Ehrenamt, wie ein geheimer Motor, der die Community am Laufen hält. Ob in der Care- oder Aufklärungsarbeit über die Berliner Aids-Hilfe e. V., in der Nachbarschaftshilfe und bei den Beratungsangebote von Vereinen wie Rad und Tat, in Institutionen wie dem Schwulen Museum (SMU) bis hin zur Organisation von Dragshows, Partys, Demos, Pride-Veranstaltungen, Festivals, Lesungen – die Liste ist lang.

Wo auch immer man sich in queeren Räumen bewegt, man kommt unweigerlich in Kontakt mit dem Ehrenamt. Es mag nicht immer unter diesem Namen laufen, aber es ist dennoch präsent und mal mehr, mal weniger offensichtlich. „Ganz viel findet hinter den Kulissen statt. Wie viele kleine Säulen, die alles tragen“, sagt Julia vom Bündnis Behindert und verrückt feiern. Das Bündnis aus Freiwilligen organisiert einen jährlichen „Disability Pride“. Behinderte Queers und LGBTIQ* mit Psychiatrie-Erfahrungen nehmen sich die Straße, feiern sich selbst. Damit die Parade so inklusiv und barrierefrei wie möglich sein kann, bedarf es jeder Menge Vorbereitungs- und Organisationsarbeit.

Spendengelder müssen gesammelt, Anträge gestellt, Redebeiträge und Dolmetschende angefragt, Ordner* innen und andere helfende Hände organisiert werden. Das Bündnis besteht zum größten Teil aus Menschen, die selbst betroffen sind. Sie treffen sich alle zwei Wochen (kurz vor der Parade, im Sommer, dann wöchentlich) zu einem Plenum, bilden Arbeitsgruppen, planen. Zur letzten Pride waren sie 16 Leute im Team, außerhalb der Saison sind es weniger.

Unsichtbare Arbeit hinter den Kulissen

Dieses Engagement nimmt viel Zeit und Raum in Julias Leben ein. Letztes Jahr habe sie sich kurz vor der Veranstaltung überfordert gefühlt, weil es noch so viel vorzubereiten gab, dass sie kaum noch Energie hatte, das alles neben der Lohnarbeit zu stemmen. Die Pause, die sich das Bündnis danach nahm, war definitiv vonnöten, um wieder Kraft tanken zu können. Zeit, Raum und Arbeit, die häufig hinter den Kulissen stattfindet – und dort auch bleibt.

„Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen gar nicht sehen, wie viel Zeit und wie viel Aufwand es bedarf, um für Themen einzustehen und sie sichtbar zu machen.“

Julia hat „das Gefühl, dass viele Menschen gar nicht sehen, wie viel Zeit und wie viel Aufwand es bedarf, um für Themen einzustehen und sie sichtbar zu machen – viel wird auch dementsprechend nicht ernst genommen.“ Trotzdem ist ihr die Arbeit beim Bündnis sehr wichtig. Auch habe sie geholfen, ihre eigene Behinderung als Teil ihrer Identität anzunehmen. Diese Art von Engagement für etwas, das ihr am Herzen liegt, hat sie gesucht, aber auch gebraucht.

Oft ist es das, was freiwillige Arbeit inspiriert: eine Lücke im System, ein Bedürfnis, das nicht gedeckt wird. Gerade in der queeren Community, die so viel auf sich selbst angewiesen ist, ist es kein Wunder, dass sich das freiwillige Engagement durch alle Schichten zieht. In den späten 1980er-Jahren hatte eine Gruppe von älteren Lesben mit und ohne Behinderung genug davon, dass es keine Angebote und barrierearmen Räume gab. Sie schlossen sich zusammen und gründeten den Verein Rad und Tat (RuT e. V.), renovierten eigenhändig eine alte Schlachterei und schufen so Räume, die sie für sich und andere in ihrer Situation gestalten und öffnen konnten. Gabriele Michalak, Koordinatorin der Nachbarschaftshilfe im RuT, weiß um den Stellenwert des Ehrenamtes in ihrer Organisation: „Ohne das Engagement der vorherigen Frauen wäre es gar nicht entstanden.“

Bild: Jason Harrell
Gabriele Michalak (li.) und Dajana Ivanković vom RuT

Auch jetzt, 35 Jahre nach seiner Gründung, leben die Angebote des RuT, die sich hauptsächlich an ältere queere Frauen mit Behinderung richten, noch immer von freiwilliger Arbeit und dem Ehrenamt. Ehrenamtliche arbeiten hier im Besuchsdienst, treffen ältere Frauen und Queers, gehen mit ihnen spazieren und verbringen Zeit miteinander.

Zu Zeiten der Pandemie wurde die Nachbarschaftshilfe ins Leben gerufen – auch heute noch werden Einkäufe erledigt, Haustiere gepflegt oder jemand zum Arzt begleitet. Das alles mit dem Ziel, ältere Mitglieder der Community vor der Vereinsamung zu bewahren und in Notlagen zu helfen. Auch kostenfreie psychologische Beratung wird angeboten. Dass Besuchsdienst, Beratung und Nachbarschaftshilfe beim RuT kostenfrei sein können, ist überlebenswichtig – und wäre unmöglich ohne das Ehrenamt. „Die Menschen brauchen Unterstützung, die nicht von Hauptamtlichen allein geleistet werden kann. Es ist toll, dass es Menschen gibt, die sagen, hier bin ich – wo kann ich helfen?“

„Die Menschen brauchen Unterstützung, die nicht von Hauptamtlichen allein geleistet werden kann. Es ist toll, dass es Menschen gibt, die sagen, hier bin ich – wo kann ich helfen?“

Beim RuT ist die Wertschätzung für die ehrenamtlich Tätigen in jedem Fall spürbar. Durch die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen werden Feste, Workshops und Treffen für die Ehrenamtlichen organisiert – und sie erhalten eine kleine Aufwandsentschädigung. Dajana Ivanković, die gerade ihre Arbeit im RuT aufgenommen hat, sagt, dass dies auch einer der Gründe sei, der sie motiviert habe, hier hauptamtlich zu arbeiten. Die Anerkennung für ehrenamtliches Engagement, so Dajana, fehle doch noch häufig in der Gesamtgesellschaft. Hier könne sie dafür sorgen, dass die Ehrenamtlichen Anerkennung für ihr Engagement erfahren, die anderswo nicht zum Ausdruck käme. Sichtbarkeit und Anerkennung des Ehrenamts gehen Hand in Hand. Dort, wo die Arbeit hinter den Kulissen passiert, bleibt sie unsichtbar und unerkannt.

„Man bekommt auch viel zurück“

Es gibt allerdings auch sicht- und deutlich spürbares ehrenamtliches Engagement: Im Schwulen Museum, der oftmals ersten Anlaufstelle für queeres Leben in Berlin, sind so ziemlich alle Menschen, denen Gäste bei einem Besuch begegnen, ehrenamtlich beschäftigt. Zwar ist das SMU in Teilen professionalisiert, Verwaltungsaufgaben und Infrastrukturelles werden von bezahlten Hauptamtlichen erledigt, doch der Kartenverkauf, das Café, die Aufsicht im Museum sowie die Ansprechpartner*innen in Bibliothek und Archiv sind dort ehrenamtlich. Das ist gewollt und wird deutlich durch das Museum gefördert. Es sorgt auch für eine ganz besondere Arbeitsatmosphäre unter den Beschäftigten: „Es würde viel an Perspektive und Dynamik verloren gehen, wenn man das Schwule Museum wie einen reinen Betrieb führen würde“, sagt Joyce, Ehrenamtsvertretung für den Bereich Archiv und Bibliothek.

„Es würde viel an Perspektive und Dynamik verloren gehen, wenn man das Schwule Museum wie einen reinen Betrieb führen würde“

Diskrepanzen oder soziale Hierarchien zwischen denjenigen, die hier in Lohnarbeit, und denjenigen, die in freiwilliger Arbeit sind, gibt es angeblich nicht. Die Ehrenamtlichen werden über Änderungen informiert, die von Verwaltungsseite aus getroffen werden, ihnen wird Gehör geschenkt, und ihre Vertretungen haben einen festen Platz am Tisch. Ehrenamtstätigkeit im Museum schafft natürlich einen ganz anderen Zugang zu queerer Geschichte und Kultur in Berlin, aber jedes Ehrenamt ist nicht nur eine Investition in seine Community – „man bekommt auch viel zurück. Man lernt Leute und Perspektiven kennen, man lernt sich auf Dinge einzulassen. Man lernt super viel für sich selbst“, so Hendrik, Ehrenamtsvertretung für den Bereich Museumsarbeit im SMU, der auch in der Aids-Hilfe Potsdam ehrenamtlich tätig ist.

Bild: Jason Harrell
Joyce (li.) und Hendrik vom Schwulen Museum

Wer kann sich Ehrenamt leisten?

Und doch ist es immer eine Frage der eigenen Ausgangssituation, ob und wie jemand sich außerhalb der Lohnarbeit engagieren kann. Im SMU sind es hauptsächlich jüngere oder ältere Menschen: die, die noch nicht im Berufsleben stehen, oder jene, die es bereits hinter sich haben. Bei anderen fehlt es an Zeit und Geld – zwei Faktoren, die sich gegenseitig bedingen.

Joyce sagt dazu: „Es ist zwiespältig: In der Gesellschaft, in der wir jetzt leben, sollte man eigentlich mehr bezahlen für diese Aufgaben und weniger Ehrenamt haben, aber in der Gesellschaft, wo wir hinwollen und für die die queere und andere Communitys auch versuchen, Räume zu schaffen, wollen wir eigentlich, dass so wenig wie möglich mit Geld funktioniert.“ Auf der einen Seite ist die Motivation, ein Ehrenamt aufzunehmen, natürlich, anderen etwas zu geben, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten. Es befriedigt andere Bedürfnisse, als es Lohnarbeit tun kann.

Ehrenamt befriedigt andere Bedürfnisse, als es Lohnarbeit tun kann.

Andererseits sind die Kapazitäten – sowohl zeitliche als auch finanzielle – oft begrenzt. Von den zwölf Beratenden beim RuT sind drei ehrenamtlich, neun auf Honorarbasis beschäftigt. Es gibt einige, die sich um eine Stelle bewerben, um sie dann abzulehnen, weil das Honorar doch nicht reicht. Diana Böhme, die für die Beratung zuständig ist, weiß die Selbstständigen zu schätzen, die es dennoch tun, denn sonst könnten sie das Angebot nicht aufrechterhalten. „Niemand kann ewig ehrenamtlich tätig sein, es ist nicht nachhaltig“, sagt Sarnt Utamachote vom Filmfestival Xposed, das komplett ehrenamtlich organisiert einmal jährlich stattfi ndet. Viele marginalisierte Menschen haben weder die Zeit noch die Kapazitäten, sich ehrenamtlich zu engagieren.

Bild: Ronny Heine
Sarnt Utamachote (Mi.) und Mitstreiter*innen beim Xposed Queer Film Festival 2023

Dinge wie Aufwandsentschädigungen und/oder zusätzliche Vorteile, die den Ehrenamtlichen zugestanden werden, stellen deshalb das absolute Minimum dar, das im Gegenzug geleistet werden sollte. Auch das würde das Ehrenamt zugänglicher für alle machen. An dieser Stelle wären größere Instanzen gefragt – mehr Ressourcen und Optionen, die von staatlicher Seite aus zur Verfügung gestellt werden könnten, um ehrenamtliches Engagement nachhaltiger zu gestalten, zu würdigen und mehr möglich zu machen.

Ein guter Schritt in diese Richtung ist die „Ehrenamtskarte“ von Berlin und Brandenburg, mit der Ehrenamtliche vergünstigt an Sport- und Kulturveranstaltungen teilnehmen können.

Mittel gegen Hoffnungslosigkeit

Sich in seiner Community, in seiner Stadt für etwas einzusetzen, das einem wichtig ist, kann in diesen unsicheren Zeiten ein Gegenmittel gegen Hilflosigkeit und Verzweiflung sein. Was die Gemeinschaft stärkt, das stärkt auch uns selbst, und es tut gut, etwas zurückgeben zu können, Teil einer größeren Sache zu sein.

Auch wenn man über die nötigen Kapazitäten verfügt, sich zu engagieren, ist es oft dennoch nicht leicht zu wissen, wo und wie man anfangen soll. „Man denkt oft, die gesamte politische Landschaft ist irgendwie ein Scherbenhaufen, wie kann ich denn irgendwas beitragen?“, sagt Lana Labia, die ehrenamtlich im Vorstand des SchwuZ e. V. tätig ist (auch hier gibt es Ehrenamt hinter den Kulissen).

„Uns erreichen oft Anfragen von Menschen, die sich engagieren wollen – obwohl unser Verein verhältnismäßig weniger offensichtlich aktiv ist als andere. Wir sind trotzdem oft eine der ersten Anlaufstellen.“ Vielleicht ist es sinnvoll, sich zunächst Gedanken über Themen zu machen, die einen selbst berühren. Und dann zu überlegen: Wo gibt es Lücken im System? Wo braucht es noch helfende Hände? Wo kann ich mehr sichtbar machen? Und wo kann ich genauer hinsehen?

Wo kann ich mich engagieren?

Für alle, die sich engagieren möchten und noch nicht wissen, welcher Verein oder welche Inititive zu ihnen passt haben wir eine Liste mit einigen queeren Strukturen in Berlin erstellt, die sich immer über helfende Hände freuen:

AHA-Berlin e. V. Veranstaltungen, Vernetzung

Ajpnia e. V. Organisation sexpositiver Events

Behindert und verrückt feiern – Organisation der Disability Pride Parade, Vernetzung

Berliner Aids-Hilfe e.V. – Aufklärungsarbeit, Betreuung von HIV-/Aids-Patient*innen

BiBerlin e. V. Selbstorganisation der Bi+-Community, Angebote für bi- und pansexuelle Menschen in Berlin

#Bikeygees e. V. Radfahrtraining für (geflüchtete) Frauen

CSD e. V. – Organisation der Pride-Demo

Dyke* March Berlin Organisation der Demo für lesbische Sichtbarkeit

GLADT e. V. Selbstorganisation von queeren BIPoC in Berlin

Jugendnetzwerk Lambda Berlin-Brandenburg e. V. Projekte und Angebote für LGBTIQ*-Jugendliche

LSVD+ Verschiedene Projekte, politisches Engagement

Mann-O-Meter e. V. Aids-Aufklärung, Beratung, Prävention, Vernetzung

Quarteera e. V. Selbstorganisation russischsprachiger LGBTIQ*, Vernetzung

Queer Pflege – Queersensible Pflege

RuT – Rad und Tat e. V. – lesbische Selbstorganisation, Nachbarschaftshilfe, Betreuung

Schwules Museum – Museumsbetrieb, Bibliotheksarbeit, Veranstaltungen

SchwuZ e. V. – Veranstaltungen, Vernetzung

Sonntags-Club e. V. Veranstaltungs-, Info- und Beratungszentrum

TransInterQueer e. V. Selbstorganisation von trans*, inter* und nicht binären Personen, Angebote für die TIN*-Community in Berlin

Xposed Queer Film Festival – Organisation und Durchführung des Filmfestivals

ZIK – zuhause im Kiez gGmbH – Unterstützung von HIV-Infizierten und von Aids und anderen chronischen Krankheiten betroffenen Menschen

und noch viele viele mehr ...

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