Bundestagswahl

Romeo-Wahlumfrage: Schlagzeilen statt Fakten

14. Feb. 2025 Sören Kittel
Bild: Sally B.

Schwule Wähler bei der AfD? Eine nicht repräsentative Umfrage sorgt für Aufsehen und generiert Schlagzeilen. Expert*innen zweifeln an der Aussagekraft und am Sinn solcher Umfragen. Was die Ergebnisse (nicht) über die LGBTIQ*-Community verraten und warum es generell schwierig ist, Aussagen über queere Wähler*innen zu treffen, erklärt SIEGESSÄULE-Autor Sören Kittel

In Deutschland gibt es keine Datenbank über Homo- und Bisexuelle, zumindest nicht offiziell. Sexualität ist eine recht private und bei einigen auch flexible Angelegenheit – außerdem haben Deutsche schon Erfahrung mit einem Regime gesammelt, das diese Information benutzte, um Menschen auszugrenzen oder gar zu töten. Deshalb sollte also eine Überschrift doppelt vorsichtig behandelt werden, wenn sie lautet: „Lieben Schwule die AfD?“

Das zumindest war eine Überschrift in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bezogen auf eine Umfrage der Datingplattform PlanetRomeo, die vor allem schwule und bisexuelle Männer nutzen. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel teilte die gleiche Umfrage auf der Plattform X mit dem Satz: „Während man Homosexuelle seitens der ,bunten Vielfaltsgesellschaft‘ stets gegen die AfD instrumentalisiert, sieht die Wirklichkeit ganz anders aus.“

Laut der Romeo-„Wirklichkeit“ gaben 27,9 Prozent der mehr als 60.000 Befragten an, die AfD wählen zu wollen. Auf Platz zwei lagen demnach die Grünen mit knapp 20 Prozent, gefolgt von den Unionsparteien mit 17,6 Prozent, die SPD mit 12,5 Prozent, die Linkspartei mit 6,5 Prozent. Vor allem bei den jungen Wähler*innen bis 24 Jahren lag die AfD mit fast 35 Prozent deutlich vorn – eine Partei, die vor allem die „normale Familie“ beschützen will und laut Wahlprogramm den „Transgender-Hype“ bekämpft.

„Wertlose“ Ergebnisse der Umfrage

Es dauert einige Tage, bis auch die Probleme und Mängel der Studie erwähnt werden: Zwar hat das Portal den Umfrage-Link nur an Romeo-Mitglieder verschickt, aber die können ihn auch an Freund*innen versenden. Das heißt, wenn sich eine AfD-Gruppe verabredet hat, könne sie so leicht das Ergebnis manipulieren. Außerdem sei es nicht ausgeschlossen, dass Mitglieder mehrfach abgestimmt haben. Zudem fragte die Umfrage außer der Parteipräferenz nur nach Alter, eine Zahl, die gerade auf Dating-Plattformen sehr vorsichtig behandelt werden muss. Auch wurden weder Bildungsgrad noch Einkommen oder Familienstand einbezogen.

Patrick Wielowiejski von der Berliner Humboldt-Universität war vom Ergebnis der Umfrage nicht überrascht, aber nennt es „wertlos“. „Meiner Meinung nach sollte Romeo aufhören, diese Umfrage zu machen.“ Das Portal kann nicht sicherstellen, dass ihr Ergebnis wirklich etwas über queere Männer in Deutschland aussagt, sie spielen aber mit ihrer Studie rechten Medien in die Hände. „Das Narrativ, dass Schwule nach rechts driften, lässt sich nicht bestätigen“, sagt er, „es gibt sogar Studien die das Gegenteil feststellen.“

„Das Narrativ, dass Schwule nach rechts driften, lässt sich nicht bestätigen, es gibt sogar Studien die das Gegenteil feststellen.“

Nur einige Tage später versucht nämlich eine Studie wieder ein politisches Bild der LGBTIQ*-Community zu zeichnen. Die Universität Gießen hat rund 6000 Teilnehmer*innen befragt und ist dabei nach wissenschaftlichen Kriterien vorgegangen. Sie ist nur deshalb „nicht repräsentativ“, weil kein*e Wissenschaftler*in die genaue Größe der LGBTIQ*-Mitglieder in Deutschland kennt und somit eine Stichprobe nicht genau abgeglichen werden kann. Aber der recht aufwändige Fragebogen wurde breit in der Community gestreut auf verschiedenen Wegen, sodass ihre Methode als recht sicher gilt.

Das Ergebnis könnte unterschiedlicher zu Romeo aber kaum ausfallen. Laut der Gießener Studie liegen die Grünen bei der LGBTIQ*-Community mit 43,5 Prozent vorn, 2021 lag es noch bei knapp 50 Prozent. Auf dem zweiten Platz landen die Linken (24,9 Prozent) und dahinter die SPD (7,3 Prozent), die anderen Parteien liegen unter fünf Prozent – die AfD abgeschlagen bei 2,8 Prozent.

Immerhin deckt sich diese Studie mit einer Umfrage der Newsseite queer.de, die im Dezember ebenfalls auf 44 Prozent Grünwähler*innen unter ihren Leser*innen kam. Doch auch die Gießener Studie stellt fest, dass es bei schwulen Männern eine „etwas bürgerlichere bzw. konservative Parteipräferenz“ im Vergleich zu 2021 gebe. Das heißt, dass der Anteil von Männern bei den Wähler*innen der konservativen und rechtspopulistischen Parteien größer sei. Die Studie fragte auch nach Gründen für die Wahl und einige gaben an, dass sie sich „bedroht fühlen von Migranten und Islamisten“.

HU-Wissenschaftler Patrick Wielowiejski hat sich in seiner Doktorarbeit mit Homosexuellen in der AfD beschäftigt – und kam zu dem Ergebnis, dass für einige der schwulen Mitglieder genau diese vermeintliche Bedrohung ein Grund ist, für die AfD zu stimmen oder bei ihr einzutreten. Dass sie gleichzeitig damit eine Partei unterstützen, die die Rechte von LGBTIQ*-Menschen einschränken will, blenden sie aus. „Homosexuelle sind in der Partei willkommen – und können sogar Parteichefin werden“, sagt er, „solange sie nicht der These von zwei biologischen Geschlechtern widersprechen.“ Die AfD nennt er eine queerfeindliche, nicht schwulenfeindliche Partei.

Warum wurde eine unseriöse Umfrage überhaupt veröffentlicht, wenn ihr Wert vor allem darin besteht, Schlagzeilen zu generieren, die wahrscheinlich nicht zutreffend sind?

Die Frage bleibt dabei aber: Warum wurde eine unseriöse Umfrage überhaupt veröffentlicht, wenn ihr Wert vor allem darin besteht, Schlagzeilen zu generieren, die wahrscheinlich nicht zutreffend sind? Vielleicht sagt sie mehr über das Management einer Plattform aus, als über deren Mitglieder. PlanetRomeo war nie das „schwule Einwohnermeldeamt“, als das es eine Zeitlang galt – und ein Wahlbüro wollte es noch weniger werden.

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