Roman „Paradiesstraße“ über eine schwule Liebe in Shiraz
Der in Österreich lebende Iraner Sina Kiyani lernte bei einer Schreibwerkstatt eine Verlegerin kennen, die ihn überredete, „seine“ Geschichte einer queeren Teenagerbeziehung in Shiraz 1980 aufzuschreiben. Nach vielen Überarbeitungen über einen Zeitraum von fast zehn Jahren ist nun „Paradiesstraße“ erschienen – und verblüfft mit meisterhafter Erzählkunst
Wer nach den ersten Kapiteln an typische Teenage-Romance-Romane denke, wie man sie von Becky Albertalli („Love, Simon“) oder Alice Oseman („Heartstopper“) kennt, liege nicht falsch, sagt Sina Kiyani im SIEGESSÄULE-Gespräch. Denn er will Leser*innen mit bewusster Leichtigkeit in die Story ziehen. Es geht um zwei pubertierende Schüler, die sich ineinander verknallen, aber niemand darf etwas von der Beziehung erfahren. Der Ton des Ich-Erzählers ist so gewählt, dass er auf locker-flockige und selbstironische Art an die besten angloamerikanischen Young-Adult-Vorbilder heranreicht. Was die Geschichte von Ramin und Aschkan allerdings von allem, was es sonst auf dem Buchmarkt gibt, unterscheidet, ist das Setting: Shiraz in Iran, 1980, ein Jahr nach der Islamischen Revolution und dem Beginn des Mullah-Regimes. Und damit gleich klar ist, warum niemand von den beiden jungen Liebenden erfahren darf, ist dem ersten Kapitel diese Information vorangestellt: „Am 19. Juli 2005 wurden in Maschad, Iran, Mahmoud Asgari, 16, und Ayaz Marhouni, 18, wegen homosexueller Handlungen öffentlich erhängt.“
Revolutionswächter in gelben Toyotas
Wenn immerfort die grün uniformierten Revolutionswächter mit Vollbärten in gelben Toyotas Streife fahren, dann ist klar, was auf dem Spiel steht. „Wir leben in gefährlichen Zeiten“, sagt Herr Hamid zu Ramin. Herr Hamid betreibt einen Straßenimbiss und gibt seinem jugendlichen Kunden Lebensratschläge, die diesem helfen, mit der komplizierten Situation klarzukommen. Irgendwann stellt Herr Hamid Ramin auch seine Wohnung zur Verfügung, damit dieser endlich mit Aschkan Sex haben kann. Was sich aber als schlechte Idee herausstellt, weil eine Nachbarin die Sittenpolizei ruft und die Jungs nur knapp einer Verhaftung entgehen. Sie müssen sich danach einen anderen Ort
suchen, um weiter zu erkunden, was sie voneinander wollen. Gleichzeitig müssen sie ihr Familienleben bewältigen: Denn ihre Eltern ahnen, dass etwas vorgeht, das Schande über alle bringen könnte. Was die Teenager jedoch nicht stoppt, sich ausgesprochen erfinderische Ausreden als Ablenkungsmanöver auszudenken.
Nach dem humorvollen Anfang macht die Geschichte irgendwann einen rasanten Schwenk und wird zum abgründigen Thriller. Denn das Spiel mit dem „verbotenen“ Begehren wird für Ramin und Aschkan sowie für ihre gesamten Familien nach einer Razzia im Hamam zum Ernstfall. Der in diesem Detailreichtum geschildert erschütternd zu lesen ist. Wobei Kiyani aber nie die Leichtigkeit des Tons aufgibt – was große Kunst ist. Fast so, als sei das ein bewusster Akt des Widerstands gegen die Verlogenheit der neuen Machthaber, ihre Korruption und ihre sadistische Haltung, die nichts mit Religion, sondern nur mit Herrschenwollen zu tun hat. Man fragt sich atemlos: Wie kann das ausgehen?
Stark autobiografische Elemente
Der selbst 1966 in Shiraz geborene Autor lebt seit 1983 mit seiner Familie in Wien, wo er als Architekt arbeitet. Da die Geschichte stark autobiografisch ist, wie er SIEGESSÄULE bestätigt, kann man davon ausgehen, dass mindestens einer der Jungs aus „Paradiesstraße“ Iran verlassen kann. Aber wer? Und was passiert mit dem anderen?
Stoff für mindestens zwei weitere Romanteile habe er, sagt Kiyani. Eine Verfilmung (als Miniserie) fände er großartig. Er hofft, das Buch wird an Schulen gelesen, weil es ihm wichtig sei, zu zeigen, dass es in Iran auch mal „anders“ war. Wegen der Schulen zögerte er lange, die Sexszenen zu explizit zu machen. Aus Furcht vor konservativen Eltern. Er entschied sich dann aber doch, den Sex mit all seinen Freuden so darzustellen, wie die Jungs ihn begeistert erleben; und das ist definitiv anders als bei Albertalli und Oseman.
Sina Kiyani: Paradiesstraße,
Edition Exil, 376 Seiten,
16 Euro
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