Kinostart von „Stonewall"

Roland Emmerich: „In der LGBT-Bewegung will jede Gruppe Stonewall als ihren Startschuss sehen"

1. Nov. 2015 Andreas Scholz
Bild: 2015 Warner Bros Entertainment

Kaum ein Film mit queerer Thematik hat eine derartige Kontroverse losgetreten wie Roland Emmerichs „Stonewall“. Community und US-Presse warfen dem schwulen Hollywood-Regisseur vor, die Rolle von trans* Personen, Lesben und People of Color bei den Stonewall-Aufständen von 1969 zu marginalisieren. Stattdessen verpacke er den Urknall der LGBT-Bewegung in die Coming-out-Geschichte eines weißen schwulen Kleinstadtteenagers. Wir haben mit Roland Emmerich gesprochen

Roland, warum war es wichtig für dich, gerade jetzt einen Film über Stonewall zu machen? Mit der Idee zu „Stonewall“ sind zwei Freunde zu mir gekommen, beides Produzenten. Ich habe ihnen gesagt, dass der Film unbedingt gemacht werden sollte, ich aber nicht der richtige Regisseur dafür sei. Dann begann ich zu recherchieren. Es gab damals eine zentrale Gruppe, die für den Aufstand verantwortlich war: obdachlose LGBT-Jugendliche, Gays, Transgender, die ganze Bandbreite. Diese Kids haben am stärksten gekämpft. Zur selben Zeit habe ich mich in Zusammenarbeit mit dem Los Angeles Gay and Lesbian Center für obdachlose LGBT-Jugendliche eingesetzt. Ein Problem, das heute fast noch größer ist als 1969. Deswegen wollte ich den Film dann doch selbst machen.

Es gab viel Kritik aus der Community an deinem Film ... Ich kann das nicht verstehen. In der LGBT-Bewegung will jede Gruppe Stonewall als ihren Startschuss sehen. Es ist unglaublich, dass ein Film, der auf so ernsthafte Weise versucht, ein deutliches Bild der Bewegung zu geben, von den eigenen Leuten so verurteilt wird.

„Ich wusste, es würde ein Problem werden, dass er keine Transgender-Person ist, aber deswegen kann ich ihm die Rolle doch nicht vorenthalten."

Aber konntest du denn die Kritik gerade aus der Trans*-of-Color-Community nachvollziehen, dass der Fokus der Story erneut auf einem weißen Jungen liegt und nicht auf ihrer Geschichte? Ich kann das schon nachvollziehen und es gibt ja einige Transgender-Figuren im Film. Man muss es aber auch mal so sehen: Wir haben uns die Polizeireporte angeschaut. 18 Leute wurden in den vier bis fünf Tagen des Aufstands verhaftet, 17 davon weiß, eine Person ein Puerto Ricaner. Das Stonewall Inn war eine von der Mafia geführte Bar. Für Schwarze war es enorm schwierig, überhaupt hineinzukommen. Jemand erzählte mir, dass er seinen Schwarzen Freund nur in die Bar mitnehmen konnte, weil er dort regelmäßig hingegangen ist und den Türsteher kannte. Es gab sehr berühmte Figuren im Stonewall Inn wie Marsha P. Johnson, die für alle so „scary“ war, dass sie natürlich reingekommen ist. Aber die überwiegende Zahl waren weiße Kids, selbst Puerto Ricaner gab es nur wenige. Heute will das keiner mehr wahrhaben. In New York habe ich eine Diskussion mit einer Schwarzen Transgender-Person geführt, die sich dort voll aufspielte, doch die anderen Stonewall-Veteranen haben zu mir gesagt, dass sie nicht einmal wissen, wer diese Person ist.

Habt ihr für die Rolle von Marsha P. Johnson auch Trans*personen gecastet? Fast ausschließlich. Es gibt eine Doku über Marsha P. Johnson, in der ein Interview mit ihr zu sehen ist. Sie wirkte nicht sehr feminin. Ich sagte zu den Leuten: „Schaut euch das an und versucht es so zu spielen.“ Alle Transgender-Darsteller haben das aber nicht verstanden. Otoja Abit hat es am besten gemacht. Ich wusste, es würde ein Problem werden, dass er keine Transgender-Person ist, aber deswegen kann ich ihm die Rolle doch nicht vorenthalten. Für mich war er der Überzeugendste.

„Stonewall“ wurde unabhängig produziert. Wäre er denn als große Studioproduktion denkbar gewesen? Ich glaube nicht. Auch für kleinere Produktionen brauchst du zwei bis drei berühmte Schauspieler, ansonsten wird der Film in Hollywood nicht gemacht. Die Charaktere in „Stonewall“ sind 18 bis 23 Jahre alt, und in dieser Altersspanne gibt es gerade keine großen Stars, wie in den 90ern etwa Leonardo DiCaprio, der in jungen Jahren schon sehr berühmt war.

Glaubst du, dass es auch in Blockbustern zukünftig LGBT- Held*innen geben kann, die gegen Aliens kämpfen und die Welt retten? In meinem Sequel zu „Independence Day“ sind zwei wichtige Charaktere homosexuell. Das Studio hat da nur mit den Schultern gezuckt. Es hat sich viel verändert, allerdings glaube ich, dass ich ein Problem bekäme, wenn meine Jungstars Jessie Usher oder Liam Hemsworth in dem Film schwule Rollen spielen würden. Vielleicht fünf bis sieben Prozent des Publikums sind homosexuell, ich glaube nicht, dass da die Identifikation groß genug wäre.

„Würde ich einen extremen Schwulenfilm machen, ist die Wahrscheinlichkeit weitaus geringer, dass ihn sich viele Leute anschauen werden."

Du sagtest bereits in einem Interview, dass das Straight Acting der Hauptfigur Danny in „Stonewall“ es Heteros sehr leicht macht, sich mit ihm zu identifizieren ... Ich habe den Film testen lassen. Dabei wurde mir klar, dass Leute, die hetero sind, ihn viel besser finden, und ich weiß auch wieso. Viele haben Söhne wie Danny. Sie können sich mit ihm identifizieren. „Brokeback Mountain“ war erfolgreich, weil sich Heteros so gut in die Story von zwei ganz normalen Typen hineinversetzen konnten. Würde ich einen extremen Schwulenfilm machen, ist die Wahrscheinlichkeit weitaus geringer, dass ihn sich viele Leute anschauen werden.

Aber sendet der Film damit nicht das Signal, dass man sich an den Hetero-Mainstream anpassen muss? Das finde ich nicht. Es ist eine klassische Erzählmethodik, eine normal wirkende, unschuldige Person in eine Situation zu werfen, in der es richtig hart zugeht. Und der Film beschönigt nichts. Er zeigt alle möglichen Formen des Umgangs mit Homosexualität, bei denen es auch um Polizeibrutalität und Prostitution geht.

Wie wolltest du schwulen Sex darstellen? Ich habe versucht das so behutsam, aber auch so direkt wie möglich zu zeigen.

Für Danny ist schwuler Sex meist eine erschreckende, negative Erfahrung ... Ich weiß nicht, wie es für dich war, aber in Dannys Alter war ich sehr ängstlich. Ich habe mich vor Sex gefürchtet.

Das spiegelt also auch deine Erfahrungen wieder? Man muss sich in seinen Film selbst einbringen. Ich komme ja auch vom Land.

Bist du wie Danny je selbst mit Homophobie konfrontiert gewesen? Nein, ich hatte da Glück. Ich bin in einem Elternhaus groß geworden, wo darüber nicht gesprochen wurde, auch wenn es alle gewusst haben. Meine Mutter sagte immer: Roland ist sehr speziell, da muss man aufpassen. Mit 20 verliebte ich mich dann ins Kino und das war mir eigentlich wichtiger als alles andere (lacht). Meine erste längere Beziehung hatte ich mit 35. Erst da habe ich entdeckt, dass es mehr als Film gibt.

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