Robert D. Tobin ist tot
Der US-amerikanische Germanist und Queer-Forscher Robert Deam Tobin (01.11.1961 – 10.8.2022) starb am 10. August im Alter von 60 Jahren in Worcester im US-Bundesstaat Massachusetts. Zu seinen bekanntesten Werken gehört „Warm Brothers. Queer Theory and the Age of Goethe", in dem er u. a. den homosexuellen Leidenschaften in den Werken von Goethe und Schiller nachspürte. Medizinhistoriker Florian G. Mildenberger gedenkt seinem Kollegen mit einem Nachruf
Spätestens als er 2018 als literaturwissenschaftlicher Experte für gleichgeschlechtliches Vergnügen bei Schiller und Goethe in Rosa von Praunheims Film „Männerfreundschaften“ über die Berliner Kinoleinwände flimmerte, kannte man ihn hierzulande. Der im US-Bundesstaat Oregon aufgewachsene Robert D. Tobin war ein ganz untypischer Universitätsprofessor. Man traf ihn eher im Café als im Hörsaal und er hatte immer Zeit, wobei es ihm egal war, ob sein Gegenüber studierte, Haare schnitt, Sexarbeit leistete oder unterrichtete. Das biologische oder soziale Geschlecht war ihm ohnehin gleichgültig.
„Tobin trieb die die konservative Professorenschaft auf die Palme"
Schon als Student in Harvard organisierte er in den 1980er-Jahren Kurse zur HIV-Prävention, was die konservative Professorenschaft auf die Palme trieb. Auch an der renommierten Princeton University verband er akademische Lehre und soziale Arbeit, weshalb er seine erste Festanstellung tief in der Provinz erhielt: Walla Walla im Bundesstaat Washington. Dorthin importierte er neben Berliner Technomusik gleich noch die Technik des gesundheitlichen Netzwerkens und gründete die lokale AIDS-Hilfe 1991/92 mit. Er lud Veteranen sexueller Emanzipationsbewegungen an die Universität ein, damit die Studierenden lernen konnten, wie man eine Gesellschaft von unten verändert.
Im Jahre 2000 schockierte er die internationale Fachwelt mit seinem Buch „Warm Brothers“, in dem er Schiller und Goethe sowie ihren Freundeskreis als Wegbereiter gleichgeschlechtlichen Vergnügens benannte. Das konservative deutsche Feuilleton schäumte vor Wut, galt Goethe doch als allgemeines Vorbild für Generationen junger Deutscher. Pardautz! Tobin stellte den Dichterfürsten vom Kopf auf die Füße und verpasste ihm noch einen Klaps auf den Hintern.
Berufung an die Clark University
Es folgten weitere Aufsätze, Buchbeiträge, Vorträge und schließlich die Belohnung für die akademische Ochsentour: 2008 wurde Tobin an die renommierte Clark University in Worcester (Massachusetts) berufen. Man hoffte wohl, er habe sich seine Hörner abgestoßen und würde nun ein grau melierter Universitätsprofessor werden und nicht mehr anecken. Da hatten sich die Hochschulplaner*innen aber gewaltig geirrt. Mit den Millionen-Dollar-Förderprogrammen der Hochschule im Rücken, legte Tobin jetzt erst richtig los. Er lud Nachwuchsforscher*innen aus aller Welt ein, darunter 2015 auch den heutigen Leiter des Archivs des Schwulen Museums Peter Rehberg. Dazu brachte er den amerikanischen Studierenden den Eurovision-Songcontest näher und organisierte eine Ausstellung im betulichen Worcester, in der er aufzeigte, wie neben amerikanischer Vorstadtidylle sexuelle Subkulturen seit den 1930er Jahren aufgeblüht waren. In der Covid19-Pandemie war es Tobin, der mit als Erster dafür sorgte, dass Studierende qu(e)er über den Globus in Zeiten geschlossener Bibliotheken mit digitalisiertem Lesematerial versorgt wurden.
Alles schien perfekt, da sickerte im Juni 2022 die Nachricht durch, dass der immer lebensfrohe Robert D. Tobin schwer erkrankt war, von einer Chemotherapie war die Rede, Gerüchte waberten – doch im persönlichen Austausch ließ er sich nichts anmerken. Zuletzt bat er mich, Ausschau nach einer möglichen Vertretung für seine Professur zu halten. Denn er wollte nicht, dass etwas unerledigt blieb. Und er freute sich auf ein Wiedersehen im Café Romeo & Romeo in Berlin. Leider kam etwas dazwischen.
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