Risiken minimieren: Was schützt vor „Affenpocken"?
Im Mai 2022 wurden in Europa die ersten Fälle von „Affenpocken“ (MPX) gemeldet, die durch engen Körperkontakt übertragen werden. Seitdem sind die Infektionszahlen langsam gestiegen. Gerade im sexpositiven Berlin ist der aktuelle MPX-Ausbruch besonders ausgeprägt: Es gibt 557 bestätigte Fälle (Stand 29.06.) von insgesamt 867 Fällen in Deutschland. Wir sprachen mit Dr. Axel J. Schmidt, Fachreferent Medizin und Gesundheitspolitik bei der Deutschen Aids-Hilfe, über die derzeitige Lage und einen verantwortungsvollen Umgang mit der Situation
Gibt es eine Erklärung dafür, dass die „Affenpocken"-Fälle laut RKI bisher fast ausschließlich Männer betreffen, die gleichgeschlechtliche sexuelle Kontakte mit wechselnden Partnern haben? „Affenpocken“ – wir sagen lieber MPX – treten seit einigen Jahren immer wieder in Form begrenzter Epidemien bei Menschen in Zentral- und Westafrika auf. In Nigeria gibt es seit 2017 einen Ausbruch, der bis heute anhält, aber nicht schwule Männer betrifft, sondern die Allgemeinbevölkerung. 2003 gab es im Mittleren Westen der USA einen Ausbruch, der durch importierte Nagetiere ausgelöst wurde. Seit Mai 2022 werden nun gehäuft Fälle aus verschiedenen Ländern Europas gemeldet. Es ist das erste Mal, dass wir in Europa mit einem MPX-Ausbruch konfrontiert sind. Es ist anscheinend auch der erste MPX-Ausbruch, der fast ausschließlich schwule und bisexuelle Männer betrifft. Bezogen auf alle Menschen in Deutschland und Europa sind mit Stand Mitte Juni etwa 4 Personen pro eine Millionen Einwohner betroffen. MPX wird durch engen Körperkontakt (und damit auch beim Sex) übertragen. Die Besonderheit dieses Ausbruchs besteht darin, dass – per Zufall – eine auch beim Sex übertragbare Infektion in eine Gruppe schwuler Männer hineingetragen wurde, die sich durch eine hohe Anzahl wechselnder Partner und eine hohe Dichte des sexuellen Netzwerks auszeichnet. Große internationale schwule Circuit-Partys haben zu einer schnellen Verbreitung beigetragen, zumal die meisten nach 1970 Geborene nicht mehr gegen die (klassischen) Pocken geimpft wurden und dadurch auch keine Teilimmunität gegen MPX besitzen. Gerade in Berlin, das im Ausland gerne als „Europe’s Darkroom“ bezeichnet wird, ist der aktuelle MPX-Ausbruch besonders ausgeprägt – hier waren Mitte Juni knapp 200 Fälle bekannt. Bezogen auf schwule und bisexuelle Männer in Berlin sind das grob geschätzt etwa einer von 500.
Wie gefährlich sind die „Affenpocken" für Menschen mit HIV? Bisher gibt es dazu keine belastbaren Daten. Es ist jedoch plausibel, dass Menschen mit HIV, die eine wirksame Therapie erhalten und einen guten Immunstatus haben, keinen schwereren Verlauf haben als andere Personen.
„Die Infektion heilt von alleine aus und wird im Gegensatz zu HIV oder Hepatitis C nicht chronisch"
Auch die Deutsche Aidshilfe hatte am Anfang Entwarnung gegeben und betont, dass keine größere Gefahr von der Erkrankung ausgehe und sie meist milde verlaufe. Mittlerweile gibt es einige Berichte in den Medien, wo Leute schildern, dass sie über Wochen hinweg Symptome und auch starke Schmerzen hatten. Was genau bedeutet in diesem Zusammenhang "milder Verlauf"? Die Deutsche Aidshilfe hat keine Entwarnung gegeben, sondern gehörte zu den ersten Organisationen in Deutschland und Europa, die über MPX informiert haben. Wir haben auf verschiedenen Kanälen über Ansteckungswege und Symptome aufgeklärt – auch mit einem Erfahrungsbericht auf dem Blog von iwwit.de – und stellen Informationsmaterial für Einrichtungen wie Clubs und Saunen zur Verfügung. Aus meiner Sicht entsprechen diese Maßnahmen dem Aufstellen von Warnschildern, um in eurem Bild zu bleiben. Es ist richtig, dass es bei manchen Männern zu sehr schmerzhaften Verläufen kommt, vor allem, wenn sich die „Pocken“ – damit meine ich die Hautläsionen in Form von Knötchen, Bläschen oder Pusteln– im Analbereich befinden. Es ist auch richtig, dass die Infektion von alleine ausheilt und im Gegensatz zu HIV oder Hepatitis C nicht chronisch wird.
Gibt es im Moment verfügbare Medikamente, um der Erkrankung entgegenzuwirken? Medienberichten zufolge sind die zugelassenen Medikamente in Deutschland derzeit gar nicht verfügbar … Das entspricht auch meinem Wissensstand. Das einzige gegen die klassischen Pocken und auch MPX wirksame Medikament ist in der EU erst seit wenigen Monaten zugelassen. Außerhalb der Zulassung werden in manchen Kliniken bei Komplikationen wie Augenbeteiligung andere antivirale Substanzen verwendet, die jedoch starke Nebenwirkungen haben und deren Einsatz gut überlegt sein muss.
Wer kann und sollte sich derzeit impfen lassen? Es gibt einen Impfstoff gegen die klassischen Pocken, der auch gut gegen MPX schützt. Die Ständige Impfkommission hat gerade eine Impfempfehlung erarbeitet, deren Verabschiedung für die zweite Junihälfte erwartet wird. Bevorzugt sollen schwule und bisexuelle Männer mit häufig wechselnden Partnern geimpft werden. Dies soll auch im Verteilungsschlüssel der für Deutschland bestellten Impfdosen berücksichtigt werden, damit gerade in Berlin ausreichend Impfungen zur Verfügung stehen. Dafür hat sich auch die DAH eingesetzt. Vor Ende Juni ist aber nicht damit zu rechnen, dass Impfungen verfügbar sind. Da der Impfstoff knapp ist, soll laut dem Entwurf der STIKO-Empfehlung zunächst die Postexpositionsprophylaxe Vorrang haben, also die nachträgliche Impfung von Personen, die engen körperlichen Kontakt mit einem an MPX Erkrankten hatten. Das bedeutet auch: Wer jetzt an MPX erkrankt, sollte bitte die Sexualpartner und anderen Personen informieren, zu denen er in den letzten drei Wochen enge Körperkontakte hatte.
Kann eine Erkrankung zu bleibenden Schäden führen? Im Rahmen früherer Ausbrüche in den west- und zentralafrikanischen Endemiegebieten wurden bleibende Schäden beobachtet, vor allem Narbenbildung nach Abheilung der Hautläsionen.
„Die Schleimhäute an Penis und Anus scheinen beim aktuellen MPX-Ausbruch bei MSM entscheidende Eintrittspforten für MPX-Viren zu sein."
Welche Möglichkeiten gibt es im Moment, sich zu schützen bzw. verantwortungsvoll mit der Situation umzugehen? Zu einem verantwortungsvollen Umgang gehören Aufmerksamkeit für Symptome bei sich selbst und anderen, eine frühzeitige medizinische Abklärung, wenn Symptome vorhanden sind, und, wenn eine Infektion vorliegt, ein Verzicht auf körperliche Kontakte, bis die Erkrankung vollständig abgeheilt ist.
Wie sollten Sexclubs oder sexpositive Orte in Berlin mit der Situation umgehen? Sexpositive Ort können unterstützen, indem sie ihre Kunden informieren und Hygienestandards einhalten. Die Schleimhäute an Penis und Anus scheinen beim aktuellen MPX-Ausbruch bei MSM entscheidende Eintrittspforten für MPX-Viren zu sein. Die „Pocken“ im Bereich genitaler und analer Schleimhäute – damit meine ich wieder Hautläsionen wie Knötchen, Bläschen oder Pusteln – sind besonders schmerzhaft. Die Schmerzen können in Einzelfällen so stark sein, dass eine stationäre Aufnahme erforderlich wird.
Tragen eigentlich Kondome zum Schutz vor einer MPX-Infektion bei? Um das Risiko besonders schmerzhafter Verläufe im Analbereich zu verringern, sollten Männer, die sonst keine Kondome verwenden – zum Beispiel PrEP-Nutzer oder Männer mit HIV unter wirkungsvoller Therapie – überlegen, ob sie bis zum Ende dieses Ausbruchs Gummis verwenden. Dabei geht es weniger um die Frage der Infektiosität des Spermas als vielmehr um den Kontakt der Penis- bzw. Analschleimhaut mit den „Pocken“ der Sexualpartner. Insofern ist der Übertragungsweg im aktuellen Ausbruch vergleichbar mit der Syphilis, die auch in erster Linie durch Schleimhautkontakt zu infektiösen Hautveränderungen weitergegeben wird. Ganz allgemein gilt außerdem: Weniger Kontakte heißt statistisch gesehen weniger Risiko. Das heißt nicht, dass die Deutsche Aidshilfe weniger Sex oder Sexverzicht empfiehlt. Für den Einzelnen aber kann es eine Risikosenkungsstrategie sein, bis eine relevante Menge von Schutzimpfungen durchgeführt wurde und sich die Infektionszahlen stabilisieren oder zurückgehen, vorübergehend mit weniger Männern Sex zu haben. Dann bleibt es hoffentlich bei einem zeitlich begrenzten Ausbruch. Für die Community ist jetzt entscheidend, sich zu informieren und mit Sexualpartnern über MPX zu sprechen. Die Politik muss dafür Sorge tragen, dass die Impfungen rechtzeitig dort angekommen, wo sie gebraucht werden.
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