Ricky Martin: Livin‘ La Vida Lockdown
Jene, die es sich leisten können, sitzen die Pandemie zu Hause am heimischen Pool aus. Wie der Sänger und Schauspieler Ricky Martin, bekannt als „King of Latin Pop“, der sich in seinem Haus in Los Angeles mit Sanitärreinigung, seiner queeren Familie und mit der Produktion neuer Musik beschäftigt. Wir sprachen mit dem 48-Jährigen über sein Leben in der Quarantäne und die Corona-Krise in den USA
Herr Martin, warum haben Sie Ihr Album „Movimiento“ abgesagt – und sich stattdessen für die Veröffentlichung von zwei EPs namens „Pausa“ und „Play“ entschieden? Tja, es sollten eigentlich ein Album und eine große Tournee werden, aber als mitten in den Aufnahmen die Corona-Pandemie ausbrach, fand ich es wichtiger, erst einmal innezuhalten und zu schauen, was da passiert und wie lange es wohl dauert. Dabei wurde mir schnell klar, dass ich nicht einfach weitermachen konnte, als wäre nichts geschehen. Dafür war und ist die Situation zu heftig. Also habe ich mich entschieden, das Album in zwei Hälften zu teilen und die Songs, die eher ruhig sind, zur EP „Pausa“ zusammenzufassen.
Also „Pausa“ wie Zwangspause? Ganz genau. Es sind alles Balladen und Midtempo-Stücke. Auf dem zweiten Teil „Play“ werden es vornehmlich schnelle, rhythmische Songs mit starkem Karibik- und Latin-Einfluss sein. Aber momentan erscheint mir so etwas Ausgelassenes eher unangemessen. Einfach, weil die meisten Menschen weltweit noch oder gerade wieder zu Hause sitzen und viel über die Welt nachdenken.
Wie ist Ihr Leben in der Quarantäne – wie sieht Ihr „Livin‘ La Vida Pausa“ aus? (lacht) Gutes Wortspiel! Also dieses Zu-Hause-eingesperrt-Sein, was ja längst nicht vorbei ist, ist sehr intensiv und nervenaufreibend – für jeden. Ich selbst habe das Glück, dass ich ein großes Haus und eine tolle Familie habe. Meine Mutter war hier, als die Pandemie ausbrach, also musste sie wohl oder übel dreieinhalb Monate bei uns bleiben, ehe sie wieder nach Puerto Rico reisen durfte. Und ich selbst war während der ganzen Zeit sehr beschäftigt. Mein innerer Lebenserhaltungstrieb hat mich dazu gezwungen, mich auf die Musik zu konzentrieren. Deshalb habe ich diesen kreativen Prozess gestartet, der sich als sehr kathartisch erwiesen hat. Eben den Kopf auf kreative, produktive Weise freikriegen.
Angeblich auch mit dem obsessiven Reinigen von Toiletten und Fenstern. Stimmt das? (lacht) Absolut! Selbst meine Mutter war begeistert von mir. Aber das habe ich einfach gemacht, weil es mir wichtig schien – und weil sich sonst keiner darum gekümmert hat. Es war aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus. Nicht, weil ich einen Putzfimmel entwickelt habe. Aber: Ich kann das, wenn ich muss.
„Wir wollten eine große Familie – und da auch Vorbild für andere schwule Paare sein.“
Mal ehrlich: Wird Ihnen das mit vier Kindern nie zu viel? Es ist eine Herausforderung, so viel ist klar. Aber mein Partner und ich haben es genau so gewollt. Wir wollten eine große Familie – und da auch Vorbild für andere schwule Paare sein: Eben indem wir zeigen, dass zwei Männer ein ganz normales Familienleben haben und Kinder aufziehen können. Es gibt leider immer noch Menschen, die das anzweifeln.
Ist die Covid-19-Pandemie eine Warnung an die Menschheit, ihren Lebensstil radikal zu ändern? Meine Meinung ist: Die Welt, Gott, der Kosmos, wie auch immer man das nennen will, sagt uns hier klipp und klar, dass die Art, wie wir unser Leben führen und die Dinge handhaben, nicht o. k. ist. Und jedes Mal, wenn jemand sagt: „Wir müssen wieder zurück zur Normalität“, lautet meine Antwort: „Zu diesem alten Normal will ich aber gar nicht zurück.“ Ich denke, wir haben jetzt die perfekte Entschuldigung, um einen neuen Verhaltenskodex für unser aller Leben auf diesem Planeten zu entwickeln.
Wie könnte das neue Normal aussehen – gerade in Bezug auf einen Superstar wie Sie? Es wäre ein Zurück zum Wesentlichen – zu den Basics. Zu dem, was wirklich wichtig ist. Nach dem Motto: Müssen wir uns wirklich alle zehn Tage die Haare färben? Nein! Viel wichtiger ist es, eine offene Kommunikation mit seinen Kindern zu haben und sicherzustellen, dass sie mental o. k. sind. Dass sie mit der aktuellen Situation halbwegs klarkommen. Denn da prasseln so viele Informationen auf sie ein – und die sind für sie noch viel überwältigender als für uns Erwachsene.
„Wenn ihr glaubt, dass ihr euch mit Rassismus auskennt, habt ihr keine Ahnung.“
Was halten Sie von der Black-Lives-Matter-Bewegung? Kann diese Bürgerrechtsbewegung nachhaltige Veränderungen in der amerikanischen Gesellschaft bewirken? Ich halte sie für sehr wichtig. Schließlich ist es der Großteil der Menschen in den USA schlichtweg leid, ständig neue Bilder über ganz offen zur Schau gestellten Rassismus zu sehen. Und das sind heute mehr denn je, weil jeder eine Kamera in Form eines Mobiltelefons hat. Dadurch wird das wahre Amerika enttarnt – als das Land, das es schon immer war. Als Aktivist in Sachen Menschenrechte setze ich auch mein Social-Media-Profil ein, um diesen mahnenden Stimmen, die da gerade laut werden, eine Plattform zu geben. Denn es geht darum, die Welt dahingehend zu erziehen, wie wir besser mit Rassismus umgehen. Also besser als früher, wo wir so getan haben, als ob er gar nicht existiere – nur, weil wir ihn nicht gesehen haben. Und was ich allen mit auf den Weg geben möchte, ist: Wenn ihr glaubt, dass ihr euch mit Rassismus auskennt, habt ihr keine Ahnung. Also schweigt besser, setzt euch hin und hört gut zu, denn das passiert seit Hunderten von Jahren – und wir müssen das endlich ändern.
Glauben Sie, dass sich die USA, wenn nicht die gesamte Welt, tatsächlich durch die Krise verändern könnten? Ich hoffe es inständig. Ich möchte da gerne Optimismus verbreiten, selbst wenn ich eher Realist bin. Klar, ich weiß auch, dass einige Leute nicht daran glauben, dass sie die Black-Lives-Matter-Bewegung – wie auch Corona – für einen Scherz halten. Aber Tatsache ist nun einmal: Es sterben Menschen. Ich für meinen Teil bin allein deshalb ein bisschen wählerischer, wen ich umarme und wen nicht. (lacht) Das ist eine ganz simple, aber effektive Methode. Eben einfach ein bisschen Abstand halten. So, wie es in Japan ganz normal ist. Da ist man höflich, aber immer um Abstand und Privatsphäre bemüht. Und ich denke, genauso müsste es auf der ganzen Welt praktiziert werden. Dadurch würden wir die Ansteckungsgefahr immens reduzieren.
Werden Sie bei Ihrer nächsten Tournee einige der Dragqueens engagieren, denen Sie in der Jury zu „Ru Paul‘s Drag Race“ begegnet sind? Nichts lieber als das! (lacht) Schließlich war ich von Ru Paul‘s Show so begeistert, dass ich gar nicht mehr aufhören wollte. Sie sind mich erst wieder losgeworden, nachdem sie mir versprochen hatten, dass ich die Dragqueens mit auf Tour nehmen könne. Und ich für meinen Teil bestehe darauf. Einfach, weil diese Ladys großartig sind. Weil sie hervorragende Entertainer*innen und tolle Menschen sind.
Und Ihre nächste EP „Play“ wird dann das exakte Gegenteil von „Pausa“? Ich weiß noch nicht wirklich, was es wird. Aktuell habe ich einen Plan und ein paar Songs, die fertig sind. Ich habe aber vor, verstärkt mit karibischen Klängen zu arbeiten, denn das entspricht meinem Background. Ich würde da also gerne eine Art modernen Karneval inszenieren. Einfach, weil der auf der ganzen Welt für positive Reaktionen sorgt – egal, wo man sich befindet. Deshalb greife ich gerne darauf zurück: Es ist eine Sache, die immer funktioniert. Selbst oder gerade in Zeiten wie diesen. Die Menschen brauchen ein bisschen Optimismus.
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