Reclaiming Pride 2022
Update: Wie QTI*BIPoC United am Freitag, den 09. September unter anderem in einer Pressemitteilung und über den Instagram-Account von Achan Malonda mitteilten, wird die geplante „Reclaiming Pride“-Demo am 10. September nicht stattfinden. Sie werde zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt. Zu den Gründen heißt es im Statement unter anderem: „Zu unserem großen Bedauern müssen wir die Pride am kommenden Samstag, den 10.09. verschieben, denn die Sicherheit aller Teilnehmenden ist uns sehr wichtig. Hintergrund ist die massive öffentliche transfeindliche Gewalt im Pride-Kontext in den letzten Wochen. Wir haben uns noch einmal mit unserem Sicherheits- und Awareness-Konzept beschäftigt und festgestellt, dass wir der aktuell verschärften Sicherheitslage für unsere trans Silblings nicht gerecht werden können.“ Man entschuldige sich außerdem bei allen, die sich bereits auf den Termin am morgigen Samstag vorbereitet haben. Das gesamte Statement ist u. a. unter www.instagram.com/frau_malonda einsehbar.
In Abgrenzung von weiß dominierten Prides hat sich das Kollektiv QTI*BIPoC UNITED zusammengeschlossen, um den Kämpfen Schwarzer Menschen und Personen of Color innerhalb der queeren Community Raum zu geben. SIEGESSÄULE hat Achan Malonda, Tarek Shukralla und Vivienne Lovecraft vom Kollektiv zum Gespräch getroffen
Am 10. September findet die Demo „Reclaiming Pride“ statt. Organisiert hat sie ein Bündnis aus queeren BIPoC-Aktivist*innen, initiiert durch das Kollektiv QTI*BIPoC UNITED. QTI*BIPoC steht für queer, trans, inter, Black, Indigenous und People of Color. Der Protest ist eine Abgrenzung vom weiß dominierten Christopher Street Day und findet am kommenden Samstag im Wedding statt. Treffpunkt ist um 14 Uhr am Leopoldplatz. Unter den Mitstreiter*innen sind unter anderem Achan Malonda, Tarek Shukrallah und Vivienne Lovecraft. Das Kollektiv entstand nach der Sterndemo im Jahr 2021, auf der Achan Malonda zum ersten Mal „Reclaiming Pride“ als Demozug anmeldete. Sie ist Sängerin, Aktivistin, Songwriterin und Schwarz, deutsch und queer positioniert. „CSDs in Deutschland sind in der Regel sehr weiß“, sagt sie im Gespräch mit SIEGESSÄULE.
„Wir wollten vermeiden, dass ein weiterer weiß dominierter CSD über die Straße läuft.”
Mit dem Anliegen, diverser zu werden, habe die CSD Berlin Pride Sterndemo im vergangenen Jahr Anschluss an BIPoC-Communitys gesucht. Die meisten Vertreter*innen aus den Communitys hätten jedoch abgesagt, da sie bereits in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen mit weißen Prides gemacht hätten. „Als ich für die Sterndemo letztes Jahr wichtige Community-Organisationen wie LesMigras oder ADEFRA angefragt habe, kam die Rückmeldung, dass diese sich schon seit Jahren nicht mehr am weißen CSD beteiligen”, sagt Achan Malonda. Einige jüngere Organisationen nähmen von vornherein nicht teil. Viele QTI*BIPoC sähen sich vom traditionellen CSD nicht repräsentiert. „Unsere Erfahrung ist Teil einer historischen Kontinuität: BIPoC mussten sich immer wieder neu abgrenzen. So geht es uns ja jetzt auch.“ Statt die Kritik aufzunehmen und die eigenen Strukturen zu überdenken, würden weiße Institutionen jedoch immer wieder versuchen, Personen zu instrumentalisieren, die noch wenig politisiert oder an Community-Organisationen und Strukturen angebunden sind. „Wir wollten vermeiden, dass ein weiterer weiß dominierter CSD über die Straße läuft – also haben wir vergangenes Jahr unsere Demo angemeldet, um unsere Anliegen prominent auf der Straße zu platzieren.”
Kein Platz für die Anliegen von BIPoC
Gleichzeitig sei von Beginn an klar gewesen, dass QTI*BIPoC-Kämpfe innerhalb weißer Strukturen keinen Platz finden können. Die Verbürgerlichung der queeren Bewegung seit den 90er-Jahren führt laut Tarek Shukrallah dazu, dass Menschen, die von Queerfeindlichkeit, und Menschen, die von Rassismus betroffen sind, gegeneinander ausgespielt werden. Diejenigen, die an den Schnittstellen verschiedener Gewaltformen sind, werden dabei unsichtbar gemacht. „Wir brauchen einen Raum, in dem wir die spezifischen Problematiken benennen können“, sagt Shukrallah. Tarek Shukrallah ist als Politik- und Sozialwissenschaftler*in und queere Person of Color mit nordafrikanischem Migrationserbe Teil des Bündnisses.
Vergangenes Jahr hätten mehr als 2.500 Personen mit QTI*BIPoC UNITED demonstriert, es folgten weitere Veranstaltungen und Aktionen sowie Strukturarbeit. Schließlich bot der CSD e. V. Achan Malonda zum Jahresende 2021 den „Soul of Stonewall Award“ an. Sie lehnte eine Auszeichnung als Einzelperson ab, mit dem Wunsch, stattdessen die Arbeit von QTI*BIPoC United als Kollektiv zu würdigen.
Der Preis sollte dem Kollektiv für seinen Einsatz um eine intersektionale, queere, politische Praxis vergeben werden. „Es ist zwar merkwürdig, von weißen Menschen einen Preis für BIPoC-Aktivismus zu bekommen, aber wir haben zugesagt, ihn als Kollektiv entgegenzunehmen”, sagt Tarek Shukrallah. Der Preis sollte auf der Hauptbühne des diesjährigen CSDs überreicht werden. Nach monatelanger Nichtkommunikation von Seiten des CSD e. V. sei die Preisverleihung unter der Vorgabe von Platzgründen abgesagt worden – weniger als 24 Stunden vor dem Pride. Der CSD e. V. gab auf Nachfrage der SIEGESSÄULE an, sich nicht zu der Auseinandersetzung äußern zu wollen. „Gleichzeitig gab es Versuche vonseiten des CSDs, einzelne Personen aus dem Kollektiv einzubinden“, sagt Achan Malonda. „Aber nicht im Rahmen ihrer politischen Haltung, sondern vielmehr in der Funktion körperlicher Anwesenheit, zum Beispiel als Performer*innen auf den Wägen.”
Diversity Washing
Schwarze und Braune Körper, die singen und tanzen, bekommen also Platz in weißen Räumen. Solche, die sich politisch äußern möchten, bekommen ihn nicht. Achan Malonda nennt das „Diversity Washing“. „Schwarze und Braune Körper werden nicht an den Diskussionstisch eingeladen“, sagt Vivienne Lovecraft, Dragqueen aus Berlin. Auch unsere Frage nach der Einbindung von BIPoC-Organisationen in die Planung des CSDs blieb seitens des CSD e. V. unbeantwortet. „Weiße Veranstalter*innen wollen unsere Körper für mediale Momente, also etwa für Social-Media-Fotos. Gerade als Performer*innen fehlt uns dann die Agency, also die Handlungsmacht”, sagt Vivienne Lovecraft.
Die Forderungen
Genau dieses Verhaltensmuster wiederhole sich innerhalb weißer Strukturen. Mit der „Reclaiming Pride“-Demo am 10. September möchte sich das Kollektiv nun explizit von weißen und kommerzialisierten CSDs wie dem CSD des Berliner CSD e. V. abgrenzen, auch zeitlich. „Mit der Pride geht es uns darum, einen Raum zu schaffen, in dem wir hörbar werden, und das geht für uns in der CSD-Saison nicht“, sagt Tarek Shukrallah. „Die ist für uns als Kollektiv verbrannt, und wir verwerfen sie, deshalb gehen wir in den September.” Dabei setzt sich das Kollektiv in die Kontinuität von queerem BIPoC-Aktivismus in Deutschland und hat zehn Forderungen formuliert. „Unsere zentrale These ist: Pride ist nur dann eine Pride, wenn sie intersektional ist, wenn sie antirassistisch und feministisch ist, außerdem transinklusiv und die soziale Frage stellt”, sagt Tarek Shukrallah. Das bedeutet konkret die Forderung, den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ umzusetzen, weil die Verdrängung in Berlin BIPoC besonders betrifft. Oder eine klare Absage an Vertreter*innen aus den Sicherheitsapparaten oder Großunternehmen. „Die Polizei einzubinden, die für uns als rassifizierte und migrantisierte Personen eine institutionelle Bedrohung darstellt, ist einer der Grundpfeiler weißer Macht auf Prides”, sagt Achan Malonda. „Wo diese Strukturen bestehen, können wir nicht sein.“
Die Demo
Im Fokus der „Reclaiming Pride“-Demo sollen Schwarze Personen und Personen of Color stehen, die queer und/oder trans* sind. Gleichzeitig wünschen sich die Organisator*innen Mitstreiter*innen aus anderen Spektren. „Wenn ich über die Straße laufe, sieht man mir zuerst an, dass ich nicht weiß bin, und dann, dass ich queer bin”, sagt Vivienne Lovecraft. „Wenn ich angegriffen werde, macht es für mich keinen Unterschied, ob eine queere Person kommt und mir hilft oder eine andere Person of Color. Wenn man mehrfach marginalisiert wird, gibt es aus meiner Erfahrung heraus keine Abgrenzung. Allies, die auch unter Rassismus leiden, verstehen natürlich oft, was so Ausgrenzungserfahrungen im Alltag für das eigene Wohl bedeuten.“ Weil sie ein Verständnis von Rassismus auch über Repräsentationsfragen hinaus vertreten, formulieren QTI*BIPoC UNITED gezielt Forderungen nach lückenloser Aufklärung des NSU- und Neukölln-Komplexes sowie des Falles von Oury Jalloh und der rassistischen Morde in Hanau.
Die Demo ist offen für alle. „Es ist keine Pride, wo wir sagen: XY wollen wir nicht sehen”, sagt Vivienne Lovecraft. „Aber man sollte wissen, für wen die Veranstaltung gedacht ist.” Weiße Verbündete sollten etwa ihre Privilegien nutzen, den Raum für Menschen aus der BIPoC-Community sicherer zu machen. Das kann auf Demos zum Beispiel heißen, Barrieren zwischen BIPoC und Polizist*innen zu bilden. „In einer idealen Welt hat intersektionaler Aktivismus unser Denken so dekolonialisiert, dass weiße Menschen verstehen, dass es bei unserer Demo nicht zentral um sie geht”, sagt Achan Malonda. „Sondern zum Beispiel darum, dass sie uns als Verbündete vor Angriffen schützen und wir ihnen das nicht erst beibringen müssen.”
Reclaiming Pride
10.09., 14:00 Uhr, Leopoldplatz, Wedding
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