Interview

Rechte Projektionen: LGBTIQ* und Nationalismus

11. März 2025 Paula Balov
Bild: Agnieszka Budek
Der Winter-CSD in Berlin – queere Demo gegen rechts

Kulturanthropologe Patrick Wielowiejski hat zwei Jahre lang schwule AfD-Wähler begleitet, um das Verhältnis von Homosexualität und rechten Ideologien zu erforschen. Im SIEGESSÄULE-Interview erklärt er die historischen Entwicklungen und die Rolle islamfeindlicher Narrative und konservativer Geschlechterbilder in aktuellen rechten Diskursen

Patrick, für links und liberal eingestellte Queers ist eine homosexuelle Person, die rechtsradikale Positionen vertritt, ein Widerspruch in sich. Aber ist das historisch gesehen wirklich ein Widerspruch? Ich verweise gern auf die Geschichte der homosexuellen Emanzipationsbewegung. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es Kontroversen zwischen jenen wie Magnus Hirschfeld, die die Idee vertraten, dass Homosexuelle ein drittes Geschlecht seien oder dass Homosexualität etwas mit der Überschreitung von Geschlechtergrenzen zu tun hat – Letzteres findet sich als Idee ja noch heute in der queerfeministischen Szene –, und jenen, die sich schon früh davon abgrenzten. Damals gab es schon maskulinistisch eingestellte schwule Männer. Sie waren in Männerbünden organisiert, in denen Frauen nichts zu sagen hatten, und haben diese Vereinigung erotisch aufgeladen. Dass wir heutzutage die Idee von männlicher Homosexualität als etwas Antifeministisches so abwegig finden, hat auch damit zu tun, dass die LGBTIQ*-Bewegung teilweise so erfolgreich war.

„Dass wir heutzutage die Idee von männlicher Homosexualität als etwas Antifeministisches so abwegig finden, hat auch damit zu tun, dass die LGBTIQ*-Bewegung teilweise so erfolgreich war.“

Du bist viel auf Antifeminismus eingegangen, aber gab es auch Verschränkungen von Homosexualität mit völkischem Nationalismus? Das findet sich vor allem im Nationalsozialismus. Ernst Röhm wäre dafür das prominenteste Beispiel: Der einzige Politiker der Weimarer Zeit, von dem man damals wusste, dass er homosexuell war. Gleichzeitig war er in der NSDAP und später SA-Führer. Zu der Zeit und auch in der Bundesrepublik gab es sogar das Stereotyp, dass die SA eine Clique von Homosexuellen gewesen sei oder dass es eine Affinität zwischen Nazis und schwulen Männern gebe – das ist natürlich sehr überspitzt.

Und später? Eine Verbindung zwischen Nationalismus und Homosexualität gab es auch bei den Neonazis. Ein Beispiel ist Michael Kühnen, der in den 80er-Jahren als Anführer der westdeutschen Neonaziszene galt. Er argumentierte für eine Vereinbarkeit von Nationalsozialismus und Homosexualität und bezog sich dabei auf „ordensähnliche, männerbündische Prinzipien“.

Im heutigen rechtspopulistischen Diskurs ist vor allem antimuslimischer Rassismus präsent. Nicht nur die AfD stellt den muslimischen Mann als eine Gefahr für LGBTIQ* dar. Wie hat sich dieses Feindbild so verfestigt? Das muss man in Verbindung sehen mit einer generellen Kulturkampfrhetorik gegenüber der „islamischen Welt“, die es schon sehr lange gibt. 9/11 war natürlich ein krasser Einschnitt, der antimuslimische Narrative noch weiter befeuerte. Der erste schwule Rechtspopulist, der offen mit antimuslimischer Rhetorik in Erscheinung trat, war Pim Fortuyn aus den Niederlanden, Anfang der 2000er-Jahre. Von ihm stammt der Ausspruch, er hasse den Islam nicht, sondern habe bloß keine Lust, die Emanzipation von Frauen und Homosexuellen noch mal zu wiederholen. Aber wie du schon sagst, gibt es das Bild vom homophoben Islam nicht nur bei der AfD, nicht nur bei Rechten – es ist eine weitverbreitete Vorannahme.

„Es sollte viel mehr über Männlichkeit gesprochen werden. Es geht vor allem um konservative Geschlechtervorstellungen von männlicher Stärke und weiblicher Schwäche, Homophobie rückt schwule Männer symbolisch immer in die Nähe des Weiblichen.“

Wir in der SIEGESSÄULE-Redaktion bekommen manchmal Leser*innenbriefe, in denen uns vorgeworfen wird, homophobe Gewalt, die von muslimischen Männern ausgeht, zu verharmlosen, wenn wir über Islamfeindlichkeit berichten. Wie siehst du das? Ich finde, statt über Religionen und Kulturen sollte viel mehr über Männlichkeit gesprochen werden. Es geht vor allem um konservative Geschlechtervorstellungen von männlicher Stärke und weiblicher Schwäche, Homophobie rückt schwule Männer symbolisch immer in die Nähe des Weiblichen. Die Tatsache, dass sich die rechtliche Situation für LGBTIQ* in westlichen Ländern gebessert hat – übrigens seit gar nicht so langer Zeit –, sagt wenig über eine vermeintlich tolerantere deutsche oder westeuropäische Kultur aus. Eher sagt sie etwas über die politischen Kämpfe der queeren Communitys aus.

Seltsam finde ich, wenn Mehrheitsdeutsche mit konservativem Geschlechterbild Muslim*innen dafür kritisieren, dass diese so ein konservatives Geschlechterbild hätten ... Das ist eine nationalistische und koloniale Denkweise: Der weiße Mann, der die muslimische Frau vor dem muslimischen Mann retten muss ... Übrigens, es ist zwar ein Nischendiskurs, aber es gibt auch unter Rechten eine Bewunderung für diese Darstellung des muslimischen Mannes: Das seien noch „richtige Männer“, davon müsse sich der weiße Mann eine Scheibe abschneiden. Der Islam wird zur Projektionsfläche der eigenen politischen Agenda.

„Es gibt durchaus [rechte] Stimmen, die trans* Personen tolerieren, solange sie in klaren, binären Kategorien denken und ein biologistisches Verständnis von Geschlecht affirmieren.“

Neben Muslim*innen sind insbesondere trans* Personen eine Zielscheibe von rechts außen. Transfeindliche Sichtweisen finden sich international in den Talking Points rechter Parteien. Wie schätzt du das ein? Was man hier anerkennen sollte: Die Art und Weise, wie wir heute über Trans*- Rechte reden, ist im Mainstream-Diskurs angekommen. Das ist die Ambivalenz der Sichtbarkeit, die einerseits mehr Akzeptanz bringt, durch die Minderheiten aber auch angreifbarer werden – und Rechtspopulist*innen schlachten das natürlich aus. Es ist noch unklar, wohin sich die Rechte international entwickeln wird, ob sie wirklich jede Art, trans* zu sein, ablehnen wird. Denn es gibt durchaus Stimmen, die trans* Personen tolerieren, solange sie in klaren, binären Kategorien denken und ein biologistisches Verständnis von Geschlecht affirmieren.

Also quasi eine Einteilung in „gute“ und „schlechte“ trans* Personen? Die Grenzlinie zwischen „normal“ und „pervers“ verschiebt sich immer wieder. Während sich beispielsweise der Vorwurf der Pädophilie früher häufig gegen Homosexuelle richtete, bringt die Rechte heutzutage vor allem trans* Personen mit einer vermeintlichen „Frühsexualisierung“ in Verbindung. Wir haben auf der einen Seite die queere Idee von Geschlecht als fluide und veränderbar statt gottgegeben und statisch. Diese Störung der binären Ordnung wird von rechts abgelehnt. Auf der anderen Seite werden Schwule und Lesben nicht als Störung empfunden, solange sie ihr Geschlecht nicht hinterfragen, in einer monogamen Beziehung leben und vielleicht noch patriotisch sind. Die Grenzlinie verläuft also nicht zwischen homo und hetero, sondern zwischen essenzialistischer und progressiver Politik.

Patrick Wielowiejski ist Autor von
„Rechtspopulismus und Homosexualität – Eine Ethnografie der Feindschaft“
Campus Verlag, 398 Seiten, 49,00 Euro
campus.de/buecher

Bild: Priscilla Grubo
Patrick Wielowiejski

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