Queers und Klimaschutz: Leben und hoffen in der Katastrophe
Trotz drohendem Klimakollaps scheint wenig so irrational wie Klimapolitik. In seinem Buch „Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps“ sucht Tadzio Müller Strategien gegen die kollektive Verdrängung und ergründet, wie queere Resilienz dabei helfen kann, hoffnungsvoll in die Zukunft zu sehen
Ich bin seit 16 Jahren Klimaaktivist und führe seit 17 Jahren schwule Beziehungen. Als mir vor zwei Jahren klar wurde, dass die Gesellschaft und die Klimabewegung – also auch ich – am Projekt „Klimaschutz” gescheitert waren, das Klima im Kollaps begriffen war und ich deshalb in eine tiefe Depression stürzte, fiel mir plötzlich auf: Was hier passiert, diese Strukturen, diese Gefühle kenn ich schon! Aber nicht aus der Politik, sondern aus meinen Beziehungskonflikten.
Zum Stand der Dinge: Wir schreiben das Jahr 2024, und die Welt erlebt den Beginn des Zusammenbruchs des globalen Klimasystems, sodass Katastrophen immer mehr zum Dauerzustand werden. Die globale Durchschnittstemperatur wird dieses Jahr wohl 1,61 Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt liegen, „1,5 Grad“ sind nur noch im Rückspiegel sichtbar. Trotzdem geben wir uns als Gesellschaft immer mehr der „Klimamüdigkeit” hin. Egal, was wir versprochen haben (Stichwort: Paris Agreement), stellen wir fest, dass wir das, was wir tun müssten, um das Klima zu schützen, einfach zu anstrengend finden. Wir haben fertig mit Klima. Und jetzt?
In der Politik würden wir von folgendem Grundgedanken ausgehen: Klar haben wir bisher die Realität der Katastrophe verdrängt, aber je mehr Katastrophe, desto schwieriger wird das mit der Verdrängung und desto wahrscheinlicher ist es, dass die betroffene Gesellschaft, gerade weil jetzt eben sie selbst betroffen ist, anfangen wird, sich vor weiteren Katastrophen zu schützen (= Klimaanpassung) und weitere Katastrophen weniger wahrscheinlich zu machen (= Klimaschutz). Allein: Weder das eine, noch das andere passiert. Es hat noch keinen relevanten Klimaschutz gegeben, es gibt keinen, und es wird auch keinen geben. Warum ich davon so überzeugt bin? Als Aktivist und Politikwissenschaftler habe ich noch nie einen politischen Prozess beobachtet, der so abgefuckt irrational ist wie unsere „Klimapolitik”. Aber als schwuler Mann, der aufgrund seiner völlig überkandidelten emotionalen Bedürfnisse schon viele Lover und Partner überfordert hat und deswegen schon viele Konflikte hatte, kommt mir das sehr bekannt vor.
Denn in der Klimadebatte geht es nicht um Rationalität, sondern um Scham, ums Scheitern und um Angst. Um negative Gefühle, die wir gern verdrängen, statt uns mit ihnen auseinanderzusetzen.
Denn in der Klimadebatte geht es nicht um Rationalität, sondern um Scham, ums Scheitern und um Angst. Um negative Gefühle, die wir gern verdrängen, statt uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Wenn wir übers Klima reden, führen wir kein rationales Gespräch, das auf Lösungen zielt, sondern wir versuchen, diese negativen Gefühle von uns fernzuhalten. Das und nur das erklärt die wohlstandsverwahrlosten Reaktionen auf die sogenannten Klimakleber: Es ging nicht um die fünf Minuten Verspätung auf dem Weg zur Arbeit. Die Letzte Generation war der Abused Partner, der seinen lügenden, manipulativen, brutalen Bad Boyfriend immer wieder bittet, doch nicht so hart zuzuschlagen. Der kann aber nicht anders (Deutschland kann wegen des großen fossilen Autosektors nicht so einfach Klimaschutz an den Start bringen), also wird lieber zugeschlagen, als dass mann sich so verhält, wie man(n) es versprochen hat.
Mann weiß: „Ich wollte beim Klima gut sein, bin es aber nicht, kann es auch nicht.“ Das bedeutet: Ich bin nichts, ein Wurm, falsch. Also verdränge ich das Ganze einfach, und egal, wie oft sich das Klima beschwert, ich werde immer weiter verdrängen. Klar, das klingt nicht besonders politisch, aber es beschreibt präzise die Realität nicht nur der Klima-, sondern immer mehr politischer Debatten in der gesellschaftlichen Polykrise. Wir scheitern, deswegen verdrängen wir, deswegen werden wir als Gesellschaft immer dümmer und irrationaler.
Über diese „Verdrängungsgesellschaft” (sowie ihre eklige Schwester: die Arschlochgesellschaft) und wie wir darüber hinweg zu einem rationalen Verhältnis zur kommenden Dauerkatastrophe kommen, vielleicht sogar ein bisschen Hoffnung darin finden, habe ich gerade ein Buch veröffentlicht: „Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps: Wie ich lernte, die Zukunft wieder zu lieben”. Sozusagen: queere Theorie für die Zukunft im Klimakollaps. Aus meinen Beziehungskonflikten habe ich nämlich gelernt, dass das verdrängende Subjekt – Deutschland, meine Ex-Lover – weder auf mehr Druck noch auf gutes Zureden mit rationalem, nicht arschlochigem Verhalten reagieren wird, sondern immer weiter verdrängt, bis zum Thanatos: bis zum gesellschaftlichen Kollaps oder zum unwiderruflichen Ende der Beziehung. Der Bad Boyfriend wird nie zu einem Good Boyfriend.
Okay, Deutschland, du bist halt so, du machst keinen Klimaschutz. Das heißt: mehr Katastrophe. Jetzt müssen wir uns darauf halt zusammen einstellen
Ich habe aber mit meinem Ehemann auch gelernt, dass der Weg zur Hoffnung, sofern möglich, durch die Akzeptanz der Schwäche und des Scheiterns geht. Okay, Deutschland, du bist halt so, du machst keinen Klimaschutz. Das heißt: mehr Katastrophe. Jetzt müssen wir uns darauf halt zusammen einstellen, jetzt machen wir solidarischen Katastrophenschutz. Oder auch „Prepping for future“. Und auch hier kann die Gesellschaft von uns Queers lernen: Denn leben und hoffen in der Katastrophe ist nichts, was für uns besonders neu ist.
Tadzio Müller „Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps“
20 Euro, 316 Seiten
Erschienen: Oktober 2024
Mandelbaum Verlag
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