Queers gegen Gadjé-Rassismus: Opre Rom*nja!

Es gibt unzählige Mythen über Romn*ja und Sinti*zze, doch selten wird über die Diskriminierung gesprochen, die sie erfahren: Benachteiligung im Bildungssystem, Marginalisierung, Exotisierung. Zum Roma Day am 8. April trafen wir queere Aktivist*innen und Künstler*innen, die ihre Geschichte(n) zurückfordern
Carmen hat die Nase voll! In Christian Weises Adaption des gleichnamigen Opernklassikers am Maxim Gorki Theater unterbricht die Hauptfigur plötzlich die Show. Sie ist es leid, das sexistische und rassistische Narrativ der Oper von Bizet wieder und wieder zu erzählen: Ein spanischer Unteroffizier verliebt sich in die „exotische Schönheit” Carmen und opfert ungefragt alles, um ihre Liebe zu erzwingen. Carmen will sich jedoch nicht binden und wird deshalb von ihm ermordet. Der arme Unteroffizier, der alles verloren hat, steht am Ende als tragisches Opfer einer Verführerin da – nicht etwa die ermordete Frau.
Romantisierung und Verteufelung

Lindy Larsson zeigt in der Rolle von Carmen, was die Figur noch alles sein kann. Der schwedische Schauspieler hat maßgeblich zu den beiseite gesprochenen Monologen der Inszenierung beigetragen. „Meine Carmen ist queer, genderfluid, gehört einer ethnischen Minderheit an – und sie ist stolz darauf. Doch man hat ihr die Rolle der verführerischen, stereotypen Romni zugeschrieben, die nicht mehr zu ihr passt. Also beginnt sie, sie zu hinterfragen”, erzählt Lindy Larsson im Gespräch mit SIEGESSÄULE. „Sie wird als Tier, als Dämon, als Hexe beschrieben – nicht als Mensch. Und genau so wurden wir, die Rom*nja, über Jahrhunderte dargestellt.“ Das Interessante an dieser Figur ist für Larsson, dass sie zugleich eine feministische Ikone und eine rassistische Karikatur sei.
„Carmen wird als Tier, als Dämon, als Hexe beschrieben – nicht als Mensch. Und genau so wurden wir, die Rom*nja, über Jahrhunderte dargestellt.“
Damit ist die Oper sinnbildlich für die Beziehung der Mehrheitsgesellschaft zu Rom*nja: Sie werden entweder als eine Art Freiheitssymbol romantisiert, mit Aberglauben und Hexerei in Verbindung gebracht oder als „unkultiviert“, „asozial“ und „kriminell“ verteufelt. Diese spezifische Form der Diskriminierung wird Antiziganismus, Antiromaismus oder auch Gadjé-Rassismus genannt, „Gadjé“ bedeutet „Nichtrom*nja“ auf Romanes.
Die Sinti*zze und Rom*nja sind eine der größten und am längsten in Europa lebenden Minderheiten. Seit ihre Vorfahren, deren Herkunftsort wissenschaftlich umstritten ist, aber in Südasien vermutet wird, Ende des 14. Jahrhunderts nach Europa kamen, wurden sie ausgegrenzt und verfolgt. Während der NS-Zeit fielen bis zu 500.000 Sinti*zze und Rom*nja dem Völkermord zum Opfer – eine Tatsache, die in Deutschland erst 1982 offiziell anerkannt wurde und bis heute kaum aufgearbeitet ist. Das Denkmal der ermordeten Sinti*zze und Rom*nja am Simsonweg in Berlin-Tiergarten ist für viele der einzige Ort des Gedenkens.
Joschla Melanie Weiss ist künstlerische Leiterin des Rom*nja Power Theaterkollektivs, einer Abteilung des Kelipen e. V. und recherchiert derzeit zu Romn*ja in Ostdeutschland. Joschla ist selbst in Thüringen geboren und spricht, gemeinsam mit ihrer Schwester, Pf. Dr. Jane Weiss, mit Menschen aus ihrer Community über den aktuellen Rechtsruck. Zu ihrem Erstaunen erinnern sich viele Menschen, die sie befragt hat, an einen spürbaren Anstieg der Ressentiments und Anfeindungen nach der Wende. „Alle Interviewpartner*innen berichteten darüber, dass sie sich in der DDR unglaublich sicher gefühlt haben”, erzählt sie. „Es gab Beauftragte von der Regierung, die dafür gesorgt haben, dass sie in den Bezirken bei rassistischen Vorfällen unterstützt wurden.” Die Communitys der Sinti*zze und Rom*nja waren vollständig ins gesellschaftliche Leben verwoben. Nach der Wende jedoch, so berichten die Befragten der Recherche, begannen die Anfeindungen auf offener Straße und die Anschläge.
„Die Texte kommen von uns selbst, die Recherche kommt von uns selbst. Wir fangen einfach an, unseren eigenen Diskurs zu kreieren.“
Joschla Weiss war noch ein Kind, als die Mauer fiel, doch auch sie spürte einen Unterschied: Vor allem in der Schule wurde sie rassistisch diskriminiert. Zuflucht fand sie als junge Frau im Schauspiel. Mit dem Rom*nja Power Theaterkollektiv nimmt sie nun die Geschichte über ihre Identität selbst in die Hand. „Die Texte kommen von uns selbst, die Recherche kommt von uns selbst. Wir fangen einfach an, unseren eigenen Diskurs zu kreieren.“
Aufarbeitung des Genozids
In den Arbeiten des Kollektivs geht es um die Aufarbeitung des Genozids an den Sinti*zze und Rom*nja im Zweiten Weltkrieg, aber auch um kreative Zukunftsvisionen. Im Stück „Rom*nja City” wird eine Überlebende des Holocausts zur Präsidentin eines neuen queeren Stadtstaates.
Wenn Regisseur*in und Performancekünstler*in Cat Jugravu (Rom*nja Power Theaterkollektiv und Queerdos), ein Stück über Deutschland schreiben würde, trüge es den Titel „Dinge, die sich in Dunkelheit verwandeln“, erzählt sie im SIEGESSÄULE-Interview. „Das wäre ein Stück über Performativität, weil unser Deutschland sich permanent als moralische Instanz aufführt, während es Menschen abschiebt, entrechtet und ausbluten lässt.“
Wie viele in ihrer Community ist sie besorgt über den Rechtsruck, doch auch die LGBTIQ*-Community sei keine Erleichterung. Jugravu findet, dass Rassismus und Transfeindlichkeit in der Szene oft heruntergespielt werden. „Deshalb bauen wir unsere eigenen Räume wie das Rom*nja Power Theaterkollektiv, RomaTrial, RomaniPhen.” Vor allem jetzt findet sie es wichtig, eigene Narrative zu verteidigen. Mit ihrer künstlerischen Arbeit will sie ein Statement setzen gegen das Vergessen und Assimilationsdruck.

Jugravu ist darüber hinaus auch als Projektleiter*in vom BARE-Projekt des Vereins RomaTrial e. V. tätig. BARE steht für „Bündnis gegen Antiziganismus und für Roma-Empowerment”, das Projekt setzt sich gegen strukturelle Diskriminierung ein, fördert gesellschaftliche Teilhabe und Hilfe zur Selbsthilfe. Neben Empowerment-Workshops bietet das Projekt auch Beratungen sowie Begleitung bei Behördengängen an und unterstützt zugewanderte Sinti*zze und Rom*nja aus Osteuropa beim Zugang zu Bildung.
„Neben Mobbing, Beleidigungen durch Lehrkräfte und Mitschüler*innen kommt es auffällig oft zu Verweisen auf Förderschulen, ohne konkreten Förderbedarf.”
Eine aktuelle Studie der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) legt nahe, dass bereits Kinder sowohl deutscher als auch zugewanderter Sinti*zze und Rom*nja strukturelle Diskriminierung im Bildungsbereich erleben. „Neben Mobbing, Beleidigungen durch Lehrkräfte und Mitschüler*innen kommt es auffällig oft zu Verweisen auf Förderschulen, ohne konkreten Förderbedarf”, erklärt Guillermo Ruiz Torres von MIA gegenüber SIEGESSÄULE. Eine Praxis, die an Segregation denken lässt und Chancengleichheit verhindert.

Jemand, der es trotz dieser Benachteiligung geschafft hat, ist Gianni Jovanovic. Auch er wurde zunächst auf eine Förderschule geschickt, heute ist er Autor, Moderator und Aktivist. In seinem Buch „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit” beschreibt Jovanovic, dessen Eltern aus Serbien nach Deutschland geflüchtet sind, frühe Erinnerungen an Rassismus und an ein rechtsradikales Attentat auf das Haus seiner Familie.
„Wir brauchen eine Haltung in allen Institutionen, die sagt, dass wir faschistische Sprache und Diskriminierung jeglicher Art nicht gestatten. Aber dafür braucht es auch die Leute, die es betrifft, in den entsprechenden Positionen.”
Als queerer Rom betreibt er seit vielen Jahren Aufklärungsarbeit zu intersektionaler Diskriminierung. Die anhaltenden rassistischen und queerfeindlichen Entwicklungen in Deutschland belasten ihn. „Ich sehe das strukturelle Problem, dass queere Menschen aus der Gesellschaft Gewalt erleben, und was es mit uns macht“, erklärt Jovanovic im SIEGESSÄULE-Interview. „Wie krank es uns macht und wie anfällig wir für Sucht sind, für Depressionen, für Suizide.“
Inklusion sei nur möglich, wenn marginalisierten Menschen echte politische Teilhabe ermöglicht werde. „Wir brauchen eine Haltung in allen Institutionen, die sagt, dass wir faschistische Sprache und Diskriminierung jeglicher Art nicht gestatten. Aber dafür braucht es auch die Leute, die es betrifft, in den entsprechenden Positionen”, so Jovanovic.
Roma Week in der Volksbühne
Vom 8. bis 11. April findet die Roma Week in der Volksbühne statt. Sie startet am 8. April mit der Roma Day Parade ab 16 Uhr am Mahnmal am Simsonweg und endet mit einem Konzert, unter anderem mit Lindy Larsson. „Damit wollen wir sagen: Wir bleiben hier“, erklärt Mitorganisator*in Cat Jugravu. „Unsere Geschichte wird nicht mehr ignoriert. Und wenn jemand versucht, uns aus dem Gedächtnis zu löschen, dann schreiben wir sie einfach selbst neu!“
„Unsere Geschichte wird nicht mehr ignoriert. Und wenn jemand versucht, uns aus dem Gedächtnis zu löschen, dann schreiben wir sie einfach selbst neu!“
Kunst spielt eine zentrale Rolle als aktivistische Ausdrucksform und stärkt queere Rom*nja und Sinti*zze dabei, das gesellschaftliche Bewusstsein für Gadjé-Rassismus zu schärfen. Doch es muss noch viel mehr geschehen: Ihre Geschichte – darunter auch die des Genozids – muss fester Bestandteil des Schulunterrichts werden, fordert etwa Guillermo Ruiz Torres von MIA. Und: „Es braucht eine Ausweitung des Antidiskriminierungsgesetzes, das auch Sinti*zze und Rom*nja einbezieht.“
Rom*nja Power Theaterkollektiv
romnjatheater.de
RomaTrial e. V.
romatrial.org
Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA)
antiziganismus-melden.de
Roma Week, 8.04.–11.04.,
Volksbühne
volksbuehne.berlin
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Kunstgalerie Kai Dikhas: Dada‘s not dead!

Artikel von Amanda Beser/pb
Kai Dikhas in Berlin zeigt zeitgenössische Kunst von Sinti*zze und Rom*nja, arbeitet mit vielen LGBTIQ*-Künstler*innen zusammen und setzt ein Zeichen für Widerstand, Solidarität und Selbstermächtigung
Die Kunstgalerie Kai Dikhas (Romanes: „Ort zum Sehen“) ist der erste Raum für zeitgenössische Kunst von Sinti*zze und Rom*nja in Westeuropa. Gegründet hatte ihn der Kurator Moritz Pankok zusammen mit Geschäftsführer Matthias Koch, aus Enttäuschung über die fehlende Präsenz eines Roma-Pavillons bei der Biennale 2009 in Venedig. „Deshalb hatten wir die Idee, man müsste einen eigenen Ort haben“, erzählt er gegenüber SIEGESSÄULE.
Seit 2011 zeigt Kai Dikhas im Berliner Aufbau Haus sechs Ausstellungen jährlich. „Hier gibt es etwas zu erzählen, mit besonderer Dringlichkeit“, so Pankok. Der künstlerische Leiter und Kurator stammt aus einer Familie mit enger Verbindung zur Sinti*zze-Community: Sein Großonkel Otto Pankok porträtierte in den 1930ern Düsseldorfer Sinti*zze in würdevollen Kohlezeichnungen. Die Porträts „waren ihrer Zeit voraus, weil sie mit den Namen der Menschen betitelt waren“, so Moritz Pankok. Viele Modelle wurden später Opfer des Holocaust – die Bilder oft ihre letzten Zeugnisse.
Die Strahlkraft von Kai Dikhas reicht weit über Berlin hinaus, zum Beispiel findet gerade im legendären Pariser Kunsthaus 59 Rivoli die Ausstellung „Gypsy Dada“ statt: Die etwa 2015 von Damian Le Bas und Gabi Jiménez ins Leben gerufene Gypsy-Dada-Bewegung stellt ähnlich wie der historische Dadaismus gesellschaftliche Normen infrage – ein Prinzip, das allgemein für die Arbeit der Galerie wichtig ist. Eine „homogene Roma-Kunst“ gibt es laut Pankok nicht, wohl aber eine gemeinsame Diskriminierungserfahrung, die sich in der Kunst widerspiegelt.
Kai Dikhas arbeitet mit über 30 internationalen Künstler*innen, darunter viele LGBTIQ* wie Mersud Selman, Joy Charpentier und Béla Váradi, die im Januar in der Ausstellung „Cruising Utopia. Scenes from the Roma-Queer Imagination“ präsent waren. Gypsy Dada steht für Widerstand – gegen Rassismus, Queerfeindlichkeit und für Selbstbestimmung.
Kai Dikhas,
Aufbau Haus am Moritzplatz,
Prinzenstr. 84,
10969 Berlin
kaidikhas.com
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