Hasskriminalität in Berlin

Queerfeindliche Angriffe auf Das Hoven und Stueck: „Wir lassen uns nicht vertreiben“

30. Aug. 2024 Muri Darida
Bild: Sally B
Das Soli-Event von der Stueck Pop-Up-Bar mit dem Titel „Queer Celebration & Resistance“.

SS-Schmiereien, Reizgasangriffe und Hakenkreuze aus Hundekot: Rechtsextreme und queerfeindliche Angriffe auf LGBTIQ*-Einrichtungen scheinen zu steigen. SIEGESSÄULE hat mit den betroffenen Einrichtungen und Expert*innen gesprochen

Als Danjel Zarte am 2. Juli um 6:00 aufgestanden ist und seine Nachrichten gecheckt hat, war das erste, was er gesehen hat ein Foto von Nazi-Schmiereien im Hauseingang seines Cafés Das Hoven. In der Nacht hatten Unbekannte in schwarzer Farbe „SS” auf den Putz und über das Klingelschild in der Pflügerstraße gesprüht. Geschickt wurde ihm das Foto von seiner Reinigungskraft. „Ich habe den Angriff sofort publik gemacht, war duschen und dann auch schon im Laden”, sagt Zarte im Gespräch mit SIEGESSÄULE. Dank seines Kontakts zum Berliner Queerbeauftragen Alfonso Partisano kam die Polizei nach anfänglichem Zögern dann doch vorbei. Mittlerweile ermittelt der Staatsschutz. Die Schmierereien hat Zarte mit Hilfe der Hausverwaltung entfernt. aber das Unbehagen blieb. „Es gehört für mich zur traurigen Regelmäßigkeit Vandalismus anzuzeigen und Fotos davon an das schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo und das Neuköllner Register, eine Meldestelle für Diskriminierung, zu schicken”, so Zarte.

Queerfeindliche Angriffe als Botschaft

Bei queerfeindlichen Angriffen gehe es immer darum, eine Botschaft an die gesamte Community zu senden. „Die Botschaft ist: Ihr seid hier nicht sicher. Wenn ihr in der Öffentlichkeit zu selbstbewusst auftretet, müsst ihr damit rechnen, angegriffen zu werden”, sagt Moritz Konradi, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Praxisforschungsinstitut Camino im Interview mit SIEGESSÄULE. Die Nachricht kommuniziere sich durch einen Angriff auf eine Bar oder Einrichtung sehr effektiv, die Bedrohung werde greifbar. Im Auftrag der Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung beobachtet und evaluiert Camino seit fünf Jahren das Themenfeld „LSBTI-feindliche Gewalt“ in einem Monitoring. Ob die Zahl an Gewalttaten tatsächlich gestiegen ist? Schwer zu sagen. Die Anzahl der polizeilich und zivilgesellschaftlich erfassten Gewalttaten steigt in den letzten Jahren kontinuierlich an. „Dafür gibt es verschiedene Erklärungsansätze", sagt Konradis Kollegin Dana Breidscheid. Die sind: „Eine tatsächlich erhöhte Anzahl von Übergriffen, aber auch eine gestiegene Anzeigebereitschaft bei den Betroffenen und eine höhere gesellschaftliche Sensibilisierung.“

Seit 13 Jahren lebt der Gastronom Zarte in Berlin, seit drei davon betreibt er die Große Freiheit 114 und im Jahr 2023 folgte Das Hoven – Café und Restaurant. Dort finden Lesungen, Drag-Brunches und kulturellen Veranstaltungen statt. Die Kleine Freiheit direkt daneben verbinde wiederum laut Zarte Darkroom, Kulturveranstaltungen und Safer Space. In der Großen Freiheit 114 sei es mehrmals passiert, dass sich „Männergruppen dahin verirrt, gepöbelt und Barhocker hinter den Tresen geworfen haben”, sagt er. „Oder Jugendliche, die das Barpersonal abgelenkt und dann mit Luftballons – die mit Scherben und Sand gefüllten waren – die Toiletten verstopft haben.” Auch Hakenkreuz-Tags in den Darkrooms seien schon häufiger vorgekommen.

Bild: Jason Harrell
Eigentümer Danjel Zarte in seinem Restaurant „Das Hoven“.

Eigentlich empfinde Zarte Berlin als eine der sichersten Städte in Deutschland. In den letzten Jahre habe er aber das Gefühl, dass das Klima schärfer geworden sei. Seitdem Das Hoven existiere, sei die Anzahl und Intensität der Angriffe gestiegen. „Es fing damit an, dass ich regelmäßig als ,Schwuchtel‘ beschimpft wurde, die sich aus dem Kiez verpissen soll.” Auf einem Leuchtschild im Hoven ist der Schriftzug „Queer & Friends” zu lesen, dass sich so offen als queerer Space zeigt. In den folgenden Jahren wurden die Fenster immer wieder mit Eiern beworfen und angespuckt. „Als ich die Läden eröffnet habe, habe ich die Anfeindungen gar nicht so sehr mit in die Gleichung genommen”, so Zarte.

Kein Einzelfall

Dass die Vorkommnisse im Hoven kein Einzelfall sind, zeigen diverse queerfeindliche und rechtsradikale Angriffe im ganzen Kiez: Auch das Silver Future und die Tristeza waren laut Zarte von Schmierereien betroffen. Im April gab es zwei Reizgasangriffe auf die Pop-Up-Bar vom Stueck, auch genannt Stueck II, in der Pannierstraße. „Reizgas ist wie Pfeffergas: Es ist hochkonzentriert, geht in die Augen und vor allem in die Lunge”, erklärt Romy Gaines, Managerin der queeren Bar. „Unsere Gäst*innen haben keine Luft bekommen, sich übergeben und Panik bekommen.” Es sei der erste Tag gewesen, an dem der FLINTA*-Abend auf der Terrasse stattgefunden habe. Und somit das erste Mal, „dass wir uns als queerer Haufen gezeigt haben”, so Gaines. Zwei Wochen später ist in derselben Straße ein lesbisches Pärchen verprügelt worden. Wenige Tage darauf gab es bei einem weiteren Pop-up-Abend einen erneuten Reizgasangriff.

„Die Personen haben mit großen Pfeffergasflaschen – die von Polizist*innen auf Demos verwendet werden – direkt auf uns gesprüht.”

„Die Personen haben mit großen Pfeffergasflaschen – die von Polizist*innen auf Demos verwendet werden – direkt auf uns gesprüht”, sagt Gaines. Diese Angriffe habe das Team erst einmal verarbeiten müssen und zusammen haben sie überlegt: Wie geht es weiter?

„Wir sehen seit Jahren eine steigende Tendenz von Übergriffen”, sagt Konradi. Dabei sei die Berliner Polizei mittlerweile aber auch besser geschult, vorurteilsmotivierte Taten zu erkennen. Das wiederum kann dazu beitragen, dass die Zahlen höher sind. „Gleichzeitig sehen wir, dass Queerfeindlichkeit in rechtsextremen und islamistischen Diskursen und Mobilisierungen zunehmend eine Rolle spielt.“ Hasskriminalität ist laut Breidscheid immer politisch motiviert. Allerdings werde im Fall von Queerfeindlichkeit nur ein Bruchteil der Taten als rechts motiviert eingestuft. „Manchmal kann es herausfordernd sein, eine rechte Ideologie als Tatmotivation nachzuweisen“, sagt sie. „Einfacher ist es hingegen bei Fällen wie dem vom Hoven, wo Symboliken auftauchen, hier lässt sich das eindeutig zuordnen.“

Gegenmobilisierungen organisieren

Übergriffe im öffentlichen Raum und auf Einrichtungen, organisierte Kampagnen sowie Anfeindungen im Netz hängen oftmals eng zusammen. Breidscheid erklärt das mit dem Erfolg von rechtsradikalen Akteur*innen im Netz. So haben beispielsweise rechtsextreme Influencer*innen das Thema um die Kita der Schwulenberatung groß gemacht. Schon bevor die Kita Rosarote Tiger eröffnet wurde, war sie von Rechtsextremen massiv bedroht worden. Informationen der Berliner Register – einer Meldestelle für Diskriminierung – zeigen außerdem, das es eine steigende Bedrohung durch die rechtsextreme „Nationalrevolutionäre Jugend“ gibt. Diese ist die Jugendorganisation der neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“, die auch bei den Landtagswahlen am 22. September in Brandenburg antritt.

„Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass Communitys dadurch stärker zusammenfinden.”

„Der Großteil der körperlichen und verbalen Gewalt findet in Mitte und Kreuzberg statt”, sagt Breidscheid, „also da, wo queeres Leben durch Bars und Veranstaltungen sichtbar ist.” Die Statistiken zeigten, dass die meisten Vorfälle abends und am Wochenende stattfänden. Jedoch nicht nur an den Lokalitäten selbst, sondern vor allem auf dem Hin- und Nachhauseweg. „Solche Angriffe haben das Potenzial von Einschüchterung und Verdrängung”, sagt Konradi. „Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass Communitys dadurch stärker zusammenfinden und Gegenmobilisierungen organisieren.” Diesen Weg haben Romy Gaines und Danjel Zarte gewählt. „Ich wünsche mir, dass sich die ganze Community Gedanken darüber macht, wie wir uns als Einheit zusammenschweißen können, statt uns in noch kleinteiligere Gruppen aufzusplitten”, so Zarte. „Jede*r von uns hat auf irgendeine Art Ausgrenzung und Gewalt erfahren und es ist wichtig, das wir diesen Nenner zusammenbündeln.” Das Team vom Stueck organisierte noch im April ein Soli-Event mit dem Titel „Queer Celebration & Resistance“. „Wir lassen uns nicht vertreiben”, so Gaines. „Also haben wir die Pannierstraße absperren lassen und uns groß, queer und laut gezeigt.”

Nach den diversen Angriffen organisiert Das Hoven ein Soli-Sommerfest in der Pflügerstraße – mit Tombola, Kinderschminken und Dragshows.

Soli-Sommerfest im „Das Hoven“
01. September 13:00–17:00
Pflügerstraße 19
@das_hoven

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