Queeres Hausprojekt kämpft weiter gegen Räumung
Das queer-feministische Hausprojekt in der Berliner Liebigstraße, das gerade erst seinen 30. Geburtstag gefeiert hat, ist akut räumungsbedroht. Wir haben die Bewohner*innen der Liebig gefragt, wie sich die Situation aus ihrer Sicht darstellt
Am Dienstag, den 14. Juli, trug das Berliner Wahrzeichen „Molecule Man“ plötzlich eine Sturmhaube in Regenbogenfarben. Auf die rund 30 Meter hohe Skulptur in der Spree zwischen Elsenbrücke und Oberbaumbrücke waren Unterstützer*innen des Hausprojekts Liebig34 geklettert, hatten ihr die Haube aufgesetzt und ein Transparent aufgehängt. Darauf war zu lesen: „L34 stays - Wohnraum ist keine Ware“.
Das queer-feministische Hausprojekt in der Friedrichshainer Liebigstraße ist akut von Räumung bedroht. Das Projekt ging aus einer Besetzung des Gebäudes in 1990 hervor. Nach dem gescheiterten Versuch, das Haus kollektiv zu kaufen, wurde 2008 ein Pachtvertrag über 10 Jahre geschlossen, der Ende 2018 auslief. Anfang Juni 2020 hat nun das Berliner Landgericht einer Räumungsklage des Eigentümers stattgegeben. Gegen das Urteil wurde Einspruch eingelegt.
Wir hatten Gelegenheit, ein paar Fragen per E-mail an das Kollektiv der Bewohner*innen zu stellen
Wie sieht es im Moment für die Liebig34 aus?
Wir haben am 03.06. das Urteil zur Räumung erhalten. Das heißt der Verein Raduga e. V., der die Räume in einem Pachtvertrag gemietet hat, soll die Räume verlassen. Wenn das nicht geschieht, kann die*der Gerichtvollzieher*in Amtshilfe bei der Polizei beantragen und muss dann dem Verein mitteilen, an welchem Tag die Räumung gemacht wird. Das wäre für uns ein sogenannter „Tag X“. Aber da ja noch ein anderer Verein in den Räumen ist, kann momentan nicht legal geräumt werden.
Nach eurer Aussage hat der Verein Raduga e. V. das Haus verlassen und der Verein Mittendrin e. V. sei derzeit in Besitz der Räume. Daher müsste, eurer Argumentation zufolge, erst der Verein Mittendrin e. V. auf Räumung verklagt werden, bevor wirklich geräumt werden kann. Könnt ihr kurz erklären, warum Raduga e. V. das Haus verlassen hat? Inwieweit unterscheiden sich die beiden Vereine?
Der Verein Raduga e. V. hat 10 Jahre das Wohnprojekt der Liebig gestaltet. 2008 hat Gijora Padovicz ja das Haus gekauft und mit Raduga einen Gewerbepachtvertrag vereinbart. Das ist im Übrigen eigentlich ein Skandal: Es handelte sich ganz klar um einen Vertrag mit einem Verein, der die Bewohner*innen des Hauses vertritt, also mit Mieter*innen – nun gilt aber kein Mieter*innenschutz, weil es offiziell eben ein Gewerbepachtvertrag war. Raduga e. V. hat die Räume bereits verlassen, da durch diese ungerechte Rechtssprechung klar war, dass der Verein keine Aussicht auf Erfolg haben wird, sich gegen eine Räumung zu wehren. Mittendrin e. V. ist ein anderer Verein, der schon lange die Räume des Gebäudes nutzt, und der nun aktuell für die Menschen in der Liebig die Räumlichkeiten verwaltet.
Wer lebt in der Liebig?
Im Haus wohnen um die 30 Menschen mit diversen Genderidentitäten. Wir sind eine sehr internationale Hausgemeinschaft, z. B. ist unsere Sprache, in der wir miteinander kommunizieren, Englisch. Wir sind queer und organisieren uns ohne cis Männer.
Wie fühlt die derzeit angespannte Lage für die Bewohner*innen an?
Es ist natürlich nicht einfach. Einerseits kämpfen wir mit einer echt harten Ungewissheit, da eine Räumung jederzeit passieren kann. Andererseits haben wir diesen realen Kampf: Wir diskutieren unsere Strategien, organisieren allerhand Events und öffentlichkeitswirksame Aktionen. Und dann leben wir ja noch in einem Haus, das wir selbst verwalten – also müssen wir auch zwischendurch reparieren und bauen.
Das Berliner Landgericht hat entschieden, dass ihr aus dem Haus müsst, euer Anwalt hat dagegen Einspruch eingelegt. Wie soll es jetzt weitergehen?
Wir werden weiterhin auf allen Ebenen gegen diese Ungerechtigkeiten vorgehen. Auf der einen Seite versuchen wir das auf dem juristischen Weg. Aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass das selten funktioniert hat. Wir wollen weiterhin mobilisieren und Öffentlichkeit schaffen. Unser Kampf soll sichtbar sein und in einer Welt und Gesellschaft, die queere und feministische Themen systematisch unterdrückt, müssen wir doppelt so laut sein.
Was fordert ihr von dem Eigentümer und von der Stadt Berlin?
Wir fordern weiterhin die Übergabe des Hauses an das Kollektiv. 30 Jahre wurde dieses Haus selbstverwaltet und Menschen mit den verschiedensten Hintergründen haben diese Räume gestaltet. Wir können und wollen kein Haus irgendwo anders und/oder ein Tauschobjekt bekommen. Genau dieses Haus, an dieser Stelle, ist unsere Liebig34.
Was ist so besonders an dem Hausprojekt und warum ist es wichtig, das zu erhalten?
Wir versuchen uns frei von Hierarchien und patriarchaler und kapitalistischer Unterdrückung zu organisieren und setzen uns Tag ein, Tag aus damit auseinander. Das gibt es nicht so häufig. 30 Jahre besteht dieses Projekt – und wie viel feministische Geschichte in diesen Wänden steckt! Es gibt unzählige Gründe, dieses Haus zu erhalten.
Gesetz dem Fall, dass ihr das Haus doch verlassen müsst: gibt es eine Idee, euer Projekt in anderer Form weiterzuführen?
Wir bleiben ein Kollektiv, egal was kommt.
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