Queeres Eldoradio: „Man freute sich, nicht normal sein zu müssen“
In den 80er-Jahren erlebte Berlin eine queere Rundfunk-Revolution: Frech, provokativ und dreist sendete das schwul-lesbische „Eldoradio“ weit über die Stadtgrenzen hinaus über Themen wie Politik, Kultur, HIV/Aids und vor allem: Sex. Nun arbeitet ein vom Senat geförderter Podcast des SIEGESSÄULE-Verlags die Geschichte dieses Pionierprojekts auf. Wir sprachen mit den Podcast-Macher*innen Tobias Sauer und Manuela Kay
Manuela, Tobias, was genau war das „Eldoradio“?
Tobias: Das „Eldoradio“ war zwischen 1985 und 1991 die erste schwul-lesbische Radiosendung Berlins, die ein- bis zweimal pro Woche ausgestrahlt wurde. Dadurch, dass es so oft gesendet wurde, war es quasi eine Art „SIEGESSÄULE des Radios“, wie wir es mal im Podcast genannt haben. Wie im Magazin auch wurden damals alle Themen, die die Szene bewegt haben, behandelt.
Manuela: Richtig populär wurde das Radio ab 1987, als „Eldoradio“ Teil von Radio 100 wurde, dem ersten Privatsender in Berlin, der eine terrestrische Frequenz bekam. Ab dem Moment war „Eldoradio“ über Antenne empfangbar und nicht, wie zuvor, über Kabel. „Eldoradio“ wurde zu einer der professionellsten und bekanntesten Sendungen von Radio 100. Zu Spitzenzeiten hatten wir bis zu 100.000 Hörer*innen.
Warum war 1991 bereits Schluss mit „Eldoradio“?
M: Ich war ja damals Teil von „Eldoradio“ und wir sind mit Radio 100 untergegangen. Ich kann es leider nicht beweisen, aber auf wahrscheinlich nicht legalem Weg hat NRJ einige der damaligen Radio-100-Mitarbeiter*innen mit dem Versprechen, sie könnten hinterher für den Sender arbeiten, davon überzeugt, dass Radio 100 eigentlich pleite sei. Das Radiounternehmen NRJ ist eine regelrechte Krake, die damals kleine Radiosender systematisch kaputt gemacht hat, um sich deren Frequenz anzueignen. Unser korrupter Geschäftsführer Thomas Thimme hat daraufhin Insolvenz angemeldet, obwohl wir wahrscheinlich garnicht insolvent waren. NRJ hat dann die Schlösser im Studio ausgetauscht und Security aufgestellt. Wir wollten eigentlich zur Sendung kommen, standen dann aber vor verschlossenen Türen. Quasi über Nacht haben sie die Frequenz gekapert, ohne die Berechtigung zu haben. NRJ sendet dort bis heute mit dem Radiosender Energy Berlin, was ich für einen Skandal halte. Das war durch und durch illegal.
„Man wollte nicht zur Norm gehören, weil man die Norm doof und langweilig fand. Sex war auch Kapitalismus-, Gesellschafts- und Geschlechterrollenkritik.“
Unglaublich. Welche Themen wurden denn in den sechs Jahren „Eldoradio“ so behandelt?
T: „Eldoradio“ hat vier Stunden pro Woche ausgestrahlt. Deshalb gab es auch Platz für sehr viele Themen. Sehr häufig kam natürlich das Thema HIV/Aids vor. Diese existenzielle Krise hat selbstverständlich viel Gesprächsbedarf ausgelöst. Darüber hinaus ging es aber um politische Themen. Zudem gab es einen großen Kulturbereich, wie Besprechungen von Literatur oder Theater. In jeder Sendung gab es auch Veranstaltungstipps.
M: Zum Beispiel zur Berlinale, dem Oster-Fetisch-Treffen, Festivals und anderen Events. Wir haben auch Straßenbefragungen in der Szene zu unterschiedlichen Themen gemacht oder hatten internationale Gäste. Wir waren sehr breit aufgestellt. Und wir haben damals schon darüber gestritten, wie der CSD sein darf oder nicht sein darf.
T: Und es schwang auch immer das Thema Sex mit und zwar in einer Art, wie man sich das heute kaum mehr vorstellen kann.
Wie wurde denn über Sex gesprochen?
T: Teilweise superexplizit. Und auch sehr unverkrampft, was mich beeindruckt hat. Joachim Schulte war damals Redakteur und Moderator beim „Eldoradio“ und war auch zu Gast bei uns im Podcast. Im Vergleich dazu findet er die Zeit heute eher prüde.
M: Sexualität wurde damals von vielen Lesben und Schwulen als etwas begriffen, das uns von andern Menschen unterscheidet. Es gab noch nicht diese Sehnsucht, unbedingt normal sein zu wollen, so wie sie heute vorherrscht. Im Gegenteil freute man sich, nicht normal sein zu müssen. Sexualität war ein Ausdruck von: „Wir sind nicht so wie ihr und wollen es auch gar nicht sein! Und wenn ihr uns pervers findet, dann ist uns das scheißegal!“ Sexualität war keine Privatsache, sondern ein öffentliches Statement. Man wollte nicht zur Norm gehören, weil man die Norm doof und langweilig fand. Sex war auch Kapitalismus-, Gesellschafts- und Geschlechterrollenkritik. Und er war politisch aufgeladen, zum Beispiel durch Aids. Für die Schwulen war Sex plötzlich tödlich, ein ganz neuer Aspekt, der Angst verursachte.
„Ist die Anerkennung der Heterogesellschaft wirklich das Maß aller Dinge?"
Manuela, du sagst an einer Stelle im Podcast, dass das „Eldoradio“ heute nicht mehr möglich sei, weil Schwule und Lesben sich jetzt zu sehr in die Heteronormativität assimilieren wollen. Wie meinst du das?
M: Der Spaß am Anders- und Rebellischsein und der damit einhergehende Verzicht, vielleicht von anderen Menschen nicht so gemocht zu werden, sind weg. Diese Sehnsucht nach Normalität, die Verspießerung und Verbürgerlichung der LSBTI*-Community würde so viel Frechheit wie damals im „Eldoradio“ gar nicht mehr zulassen.
T: Ich finde diesen Stolz auf die Differenz so spannend. Man wollte gar nicht anerkannt werden. Als ich auf der Internationalen Tourismus-Börse war, wurde zum Beispiel darüber diskutiert, ob Hotelpantoffeln, auf denen „His“ und „Hers“ steht, o. k. sind. Darüber kann man natürlich diskutieren. Aber der Spirit, den man bei Eldoradio gepflegt hat, wäre hier eher: „Wir wollen gar nicht in solche Hotels. Wir haben da keinen Bock drauf und solche Diskussionen sind überhaupt nicht unser Ziel.“
M: Es ging um Selbstverwirklichung statt Anerkennung. Anerkennung kommt immer von andern. Das ist schön, aber ist die Anerkennung der Heterogesellschaft wirklich das Maß aller Dinge?
Wie kam es dazu, dass ihr jetzt einen Podcast zum „Eldoradio“ gemacht habt?
T: Die Landesstelle für Antidiskriminierung der Justizverwaltung des Berliner Senats fördert öfter mal sogenannte Mikroprojekte, die dafür sorgen sollen, dass sich Menschen und Gruppen mit queerer Stadtgeschichte beschäftigen können. Und eine der letzten zehn Ausschreibungen wurde für das „Eldoradio“-Podcast-Projekt reserviert.
Was bedeutet euch diese Förderung?
T: Die Förderung hat die Digitalisierung der Kassetten, auf denen die „Eldoradio“-Sendungen aufgezeichnet wurden, ermöglicht. Über eintausend Stunden Sendematerial mussten digitalisiert werden, was natürlich auch über eintausend Stunden gedauert hat. Ohne die Senatsförderung wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen.
M: Mir bedeutet es vor allem viel, weil diese Geschichte nie erzählt wurde. „Eldoradio“ hat in diesen sechs Jahren wirklich wertvolle Pionierarbeit geleistet. Über fünfzig, sechzig Leute haben sich buchstäblich den Arsch aufgerissen und diese Arbeit überwiegend unbezahlt geleistet. Das wurde nie gewürdigt und erzählt. Wir haben jetzt endlich mal das Herzstück der Sendungen archivieren und für die Nachwelt zur Verfügung stellen können. „Eldoradio“ ist ein wichtiger Teil der LSBTI*-Geschichte, das haben wir durch die Förderung nun sichtbar machen können.
„Wenn die LSBTI*-Community etwas sensibler und sorgfältiger mit ihrer eigenen Geschichte der letzten hundert Jahre umgehen würde, dann würden viele Streitereien heute nicht so geführt werden."
„Eldoradio“ hat also auch heute noch eine Relevanz?
T: Ja. Weil queere Geschichte häufig verloren ging, hatte jede Generation immer das Gefühl, ganz von vorne anfangen zu müssen. Queere Geschichte wurde nie ernst genommen. Es gab keine Mittel dafür, weil es niemanden interessierte. Solche Projekte zeigen: Wir müssen nicht von vorne anfangen. Schon vor 30 Jahren haben sich Leute mit diesen Fragen beschäftigt. Unsere Geschichte wird sichtbar.
M: An der Stelle ist dem Senat deswegen auch gar nicht genug zu danken. Wenn die LSBTI*-Community etwas sensibler und sorgfältiger mit ihrer eigenen Geschichte der letzten hundert Jahre umgehen würde, dann würden viele Streitereien heute nicht so geführt werden. Es gäbe ein Bewusstsein dafür, dass es das alles schon einmal gab. Man könnte aus der Vergangenheit lernen und müsste nicht immer wieder von vorne beginnen. Die Energie, die wir in der Community oft darauf verwenden, uns gegenseitig zu bekämpfen, könnte mit diesem Geschichtsbewusstsein vielleicht produktiver genutzt werden. Aber Geschichtsbewusstsein kann man nur haben, wenn man Geschichte irgendwo nachlesen oder -hören kann. Was in den Regalen des Schwulen Museums schlummert, ist ganz wichtig für unsere Zukunft.
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