Queere Persönlichkeiten, die wir in 2021 verloren haben
In 2021 mussten wir uns von vielen bedeutenden Persönlichkeiten der Community verabschieden. An einige von ihnen, die im letzten Jahr verstorben sind, sei stellvertretend hier erinnert
Serpil Pak
Am 26. Januar starb die in Berlin lebende lesbische Schauspielerin und Stand-up-Comedian Serpil Pak im Alter von 57 Jahren. Als Teil der Frauenkabarettgruppe „Die Bodenkosmetikerinnen“ und in Solo-Programmen wie „In Schleier Haft" nahm sie deutsch-türkische Zuschreibungen und Missverständnisse gekonnt aufs Korn. Die im Ruhrgebiet aufgewachsene Tochter türkeistämmiger Eltern lebte seit 1999 in Berlin. Ihre „Bikulturalität“ empfand sie laut eigener Aussage als „großen Reichtum“. Sie diente ihr als Basis für viele ihrer bissigen Sketche.
Nachruf von Rolf Schütte, Diplomat und langjähriger Freund der Komikerin
Sophie
Die* (auf Englisch: they) nicht binäre trans Musiker*in Sophie starb am 30. Januar bei einem Kletterunfall in ihrer* Wahlheimat Athen. Ihr* Label Transgressive schrieb daraufhin auf Twitter: „Sie* war getreu ihrer* Spiritualität in die Höhe geklettert, um den Vollmond zu sehen, rutschte versehentlich aus und fiel.“ Die* schottische Künstler*in galt als Pionier*in der elektronischen Popmusik, ihre* revolutionäre Mischung aus J-Pop, Eurodance, Trap und Techno wurde von der Musikpresse als „Hyperpop“ gelabelt und bescherte ihr* Zusammenarbeiten mit Madonna, Rihanna, Charli XCX u. a. Ihr* Debütalbum „Oil of Every Pearl‘s Un-Insides“ wurde 2019 für den Grammy nominiert. Sophie wurde 34 Jahre alt. Die Popwelt verlor mit ihr eine* Visionär*in.
Françoise Cactus
Die französische Kreuzbergerin Françoise Cactus starb am 17. Februar im Alter von 57 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung. Die Künstlerin mit dem unverkennbaren Akzent schrieb Bücher, häkelte kontroverse Wollpuppen, produzierte Hörspiele, moderierte Radiosendungen und machte vor allem eines: betörend rebellische Musik. Nach ihrer ersten Berliner Band Lolitas gründete sie 1993 mit ihrem Lebensgefährten Brezel Göring die Band Stereo Total. Gemeinsam veröffentlichten sie etliche anarchapunkig-feministisch-komischkluge Popalben, landeten unzählige Hits, die keine waren, von „Schön von hinten“ bis „Liebe zu dritt“. Die Musik von Stereo Total wurde in den späten 90ern auch zum Soundtrack der aufblühenden queeren Subkultur, zum Antidiscobeat durchtanzter Nächte im Ackerkeller. Wie viel Françoise vor allem der queeren Community dieser Stadt bedeutet hat, zeigte sich noch einmal nach ihrem Tod, als unzählige Queers ihre Erinnerungen an eine der großen Underground-Ikonen unserer Stadt in sozialen Medien teilten.
Christian Pulz
Am 15. April verstarb der schwule Aktivist Christian Pulz im Alter von 76 Jahren. 1983 organisierte er mit einer Aktion in der Gedenkstätte Sachsenhausen den ersten Homo-Protest in der DDR. Dadurch geriet Pulz in den Fokus der Staatssicherheit. Auch in den letzten Jahren engagierte er sich für die queere Community: So war er unter anderem Mitbegründer der GayChurch Berlin und Ideengeber für die Berliner Pride-Sterndemo sowie die East Pride Berlin, die am 26. Juni 2021 stattfand. Die Organisator*innen der Demo schrieben über ihr Teammitglied: „Wir werden seine Verdienste für die Community nie vergessen. Als Zeitzeuge setzte sich Christian bis zum Schluss aktiv für eine Aufarbeitung der queeren Geschichte der DDR ein. ... Wir werden Christians Botschaft für die diesjährige Sterndemo im Herzen tragen: ,Die homosexuelle Liebe ist schön.‘“
Alfred Biolek
Am 23. Juli starb starb der Talkmaster, Entertainer und TV-Koch Alfred Biolek im Alter von 87 Jahren. Mit Sendungen wie „Boulevard Bio“, „Bios Bahnhof“ und „alfredissimo!“ wurde er zu einer der bekanntesten TV-Größen im deutschen Fernsehen. Im Dezember 1991 outete der Regisseur Rosa von Praunheim ihn in der umstrittenen Talkshow „Explosiv – der heiße Stuhl“ ohne seine Einwilligung öffentlich als schwul. Später betonte Biolek in Interviews, dass er zwar mit der Form des Outings nicht einverstanden gewesen sei, es aber dennoch als sehr befreiend empfunden habe.
Rüdiger Trautsch
Der in Hamburg lebende Fotograf gehörte zu den wichtigsten Chronisten der LGBTIQ*-Community in Deutschland. Er dokumentierte das schwule Nachtleben der 80er-Jahre mit seinen berühmten Fotos über die Disco Front, fing aber auch intimere queere Geschichten ein, beispielsweise in seiner Langzeitreihe „Paare“. Auch bei Folsom Europe war Rüdiger jahrelang im Rahmen eines eigenen Kunstprojektes mit der Kamera dabei und veröffentlichte außerdem etliche Fotos in SIEGESSÄULE. Mit Rüdiger verlor die LGBTIQ*-Community einen passionierten Künstler und einen stets neugierigen, offenen und äußerst liebenswürdigen Menschen. Er starb am 20. Oktober im Alter von 75 Jahren nach längerer Krankheit in seiner Geburtsstadt Hamburg.
Stephen Sondheim
Im Alter von 91 Jahren starb am 26. November Broadway-Legende Stephen Sondheim, der unter anderem die Liedtexte für das Musical „West Side Story“ schrieb und die Ballade „Send in the Clowns“ komponierte. In der Musical-Welt galt er aufgrund seiner ungewöhnlich anspruchsvollen, komplexen Partituren als vollkommen singuläre Erscheinung, wie zum Beispiel in der mit neun Tony Awards ausgezeichneten Operette „Sweeney Todd“ (2007 verfilmt von Tim Burton). Sondheim lebte über fünfzig Jahre lang offen schwul und war seit 2017 mit seinem Mann Jeffrey Scott Romley verheiratet.
Steve Bronski
Steve Bronski, Mitbegründer der schwulen 80er-Synthpop-Band Bronski Beat, starb am 7. Dezember nach einem Brand in seiner Londoner Wohnung an einer Rauchvergiftung. Er wurde 61 Jahre alt. Der Keyboarder, der eigentlich Steven William Forrest hieß, war seit einem Schlaganfall vor drei Jahren ein Pflegefall. Mit der Emanzipations-Hymne „Smalltown Boy“ über die Situation eines schwulen Jugendlichen in einer Kleinstadt schrieben Bronski Beat queere Musikgeschichte.
bell hooks
Die queere Schwarze Autorin und Literaturwissenschaftlerin bell hooks, eine frühe Vertreterin des intersektionalen Feminismus, starb am 15. Dezember im Alter von 69 Jahren. Sie setzte sich in ihrem Werk unter anderem mit Genderfragen, Rassismus und Sexismus auseinander und zeigte Zusammenhänge zwischen Patriarchat, Kapitalismus und weißer Vorherrschaft auf. Angesichts ihres Todes sagte Sängerin Annie Lennox von Eurythmics, dass die Welt mit bell hooks eine großartige Aktivistin, Autorin, Denkerin und Lehrerin verloren habe. Und trans Schauspielerin Laverne Cox dankte hooks dafür, die Art und Weise verändert zu haben, wie sie sich selbst in der Welt wahrnehme. bell hooks hinterlässt ein beeindruckendes Werk von über 40 Büchern, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Ihr letztes Buch „Alles über Liebe“ (2018) erschien erst kürzlich auf Deutsch.
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