Stück von Ersan Mondtag

Queere Neuinszenierung von „Woyzeck“ am Berliner Ensemble

2. Okt. 2023 Kevin Clarke
Bild: Birgit Hupfeld
Gerrit Jansen als Maria mit Kind und Max Gindorff als Tambourmajor

Das Berliner Ensemble eröffnet seine betont queere Saison 2023/24 mit einer Neuproduktion von Georg Büchners „Woyzeck“, inszeniert vom bildgewaltigen Regisseur Ersan Mondtag. Er besetzt das Stück nur mit Männern und verlegt die Handlung in einen Wald in Sachsen. SIEGESSÄULE sprach mit ihm darüber, wieso man sich auf einen unterhaltsamen Abend freuen darf

Es gibt ja wirklich vieles, was man über Georg Büchners visionäres Dramenfragment „Woyzeck“ von 1836 sagen kann – aber „unterhaltsam“ ist sicher kein Wort, das den meisten als Erstes einfallen würde. Schließlich ist die klaustrophobische Kasernengeschichte vom Soldaten Franz Woyzeck, der von seinen Vorgesetzten schikaniert wird und aus Verzweiflung seine Freundin Marie umbringt, maximal deprimierend. Eine Studie sozialer Verhältnisse, kulminierend im Satz: „Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.“

Queer ist die Woyzeck-Geschichte auch nicht gerade, schließlich geht‘s um die heteronormative Liebe zwischen dem Titelhelden und Marie (die ein uneheliches Kind von ihm hat) sowie um Maries Seitensprung mit dem Tambourmajor, der Woyzeck rasend eifersüchtig macht und zum Mord treibt. Dennoch verspricht Regisseur Ersan Mondtag, dass seine Neuinszenierung des Stücks am Berliner Ensemble als eine Art Musical genau das sein wird – unterhaltend, queer und mit 17 neu komponierten Songs von Tristan Brusch. Mondtag bietet dafür eine reine Männerbesetzung auf, zu der Maximilian Diehle als Woyzeck und Gerrit Jansen als Marie zählen sowie der schneidige Blondschopf Max Gindorff als Tambourmajor.

Bild: Moritz Haase
Maximilian Diehle übernimmt die Rolle des Woyzeck

Wer ist verantwortlich für die Eskalation der Gewalt?

„Es geht im Stück um die Frage nach Schuld, und zwar nach kollektiver Schuld“, sagt Mondtag im SIEGESSÄULE-Gespräch. „Wer ist verantwortlich für die Eskalation der Gewalt? Das ist immer noch enorm aktuell. Und es ist eine Frage, die sich übertragen lässt auf Themen wie Homophobie, Antisemitismus, Klimaschutz usw. Wenn ein homophober Anschlag passiert, ist die Gesellschaft dann mitschuldig, weil sie Menschen nicht genug gebildet hat?“ Mondtag meint, das sei eine Grundsatzfrage, mit der sich Büchner auseinandersetze. „Für ihn ist Woyzeck letztlich ein Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse und unschuldig. Aber ich sehe bei ihm durchaus eine Schuld an den Gewaltexzessen – die Woyzeck gegen Marie richtet, also gegen das schwächste Glied in dieser Gesellschaftshierarchie.“

„Ich habe mich in meinen Inszenierungen schon lange von klassischen Geschlechterzuordnungen verabschiedet.“

In seiner „all-male“ Inszenierung werde der Tambourmajor stark sexualisiert dargestellt, als Objekt der Begierde von Marie. „Dass Frauen auf der Bühne sexualisiert werden, das gab es schon zur Genüge, aber dass ein junger Mann sexualisiert wird, ist eher selten“, meint Mondtag. Und fügt hinzu: „Ich habe mich in meinen Inszenierungen schon lange von klassischen Geschlechterzuordnungen verabschiedet. Ich zeige Figuren, die genderfluid sind. Jeder kann alles spielen. Wenn man Klassiker macht, in denen ältere Gendernormen transportiert werden, dann kann man durchs Casting solche überholten Rollenbilder neu beleuchten und muss den Text nicht umschreiben oder modernisieren.“

Auf die Frage, wieso sich LGBTIQ*-Theaterfans die Produktion anschauen sollten, antwortet Mondtag: „Wegen der Geschlechteranordnung, wegen der queeren Konzeption, wegen der sichtbaren homoerotischen Beziehungen. Es geht um eine Analyse toxischer Männlichkeit, aber auch um männliche Frauenkörper, die gezeigt werden mit der Frage, wieso diese von vielen als furchteinflößend gelesen werden.“

Mondtag verspricht ein „ziemlich spektakuläres Waldbühnenbild“, von ihm selbst entworfen. Und dass die Produktion mit Liedern aufwarten werde, die jeder mitsingen könne. „Es ist kein klassischer ‚Woyzeck‘“, sagt Mondtag. „Natürlich endet die Geschichte dramatisch.“ Aber bis zum furchtbaren Ende, sei es ein bisschen wie bei Pedro-Almodóvar-Filmen: „Die gehen oft auch schrecklich aus, aber man schmunzelt trotzdem.“

SIEGESSÄULE präsentiert:

Woyzeck,

14.10., 16.10., 22.10. 19:30,
15.10. 18:00, 21.10. 20:00,
Berliner Ensemble:
berliner-ensemble.de

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