„Queere Menschen bekommen häufig keine Mietverträge"
Um sich gegen die Verdrängung von queeren Lebensräumen zu organisieren, hat sich die Gruppe Queers Against Landlords zusammengeschlossen. Sie kämpfen für den Erhalt des Neuköllner Hausprojekts H48 und für die Sichtbarkeit von LGBTIQ* in der Wohnungspolitik. SIEGESSÄULE traf den Aktivisten Francesco zum Gespräch
Francesco, seit wann lebst du in Berlin? Ich bin seit zehn Jahren hier. Vorher habe ich elf Jahre lang in Rom gelebt.
Welche Bedeutung hat das Hausprojekt in der Hermannstraße 48? Die H48 besteht aus drei Häusern. Ich wohne in einer WG im Fabrikgebäude, das hauptsächlich aus großen Wohngemeinschaften besteht. Sie existieren zum Teil seit den 80ern, manche Menschen wohnen sogar seit 50 Jahren hier. Im Schillerkiez ist die H48 wie eine Insel, wo die Mieten trotz der Gentrifizierung stabil geblieben sind. Vor anderthalb Jahren haben wir mitbekommen, dass die Eigentümerin das Haus verkauft hat. Also haben wir einen Verein gegründet und versucht, das Haus zu behalten. Der Bezirk hat das Vorkaufsrecht ausgeübt, das wurde aber letztes Jahr gekippt. Das war ein Schlag für uns.
Was bedeutet das für die Bewohner*innen? Eine Immobilienfirma aus Sachsen hat das Haus gekauft. Wir glauben, dass sie das Haus mit dem Fabrikgebäude, also unser Zuhause, sanieren möchte, um Luxuswohnungen daraus zu machen. Auf ihrer Website haben wir ein Modellbild von unserem Hof gefunden, wie er in Zukunft aussehen soll – mit Rasen und Blumenbeeten. Auf der Website der Immobilienfirma sind auch Werbebilder mit weißen heterosexuellen Familien. Wir rechnen mit einer Kündigung und suchen den Dialog mit der Immobilienfirma. Die ist aber nicht ansprechbar. Neben den WGs gibt es hier auch eine Tischlerei, eine heilpädagogische Praxis für Personen mit Behinderung und den Verein Ströme, eines der ältesten Körperpsychotherapiezentren Berlins. Wir alle haben nur Gewerbemietverträge, obwohl viele von uns hier wohnen. Das heißt, dass wir gesetzlich deutlich weniger geschützt sind, wenn uns gekündigt wird.
„Plötzlich waren zehn queere Personen wohnungslos."
Warum ist die Verdrängung für queere Personen besonders bedrohlich? Die meisten Vermieter*innen wünschen sich das Bild von der perfekten Norm. Aus meinem Umfeld kenne ich heterosexuelle Pärchen, die sehr schnell günstige Wohnungen gefunden haben. Natürlich greifen dabei verschiedene Faktoren ineinander – ein gutes Gehalt etwa und ein deutsch klingender Name. Queere Menschen werden auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt. Sie bekommen häufig keine Mietverträge, wenn sie in homosexuellen Beziehungen leben oder trans* sind. Personen, die trans*, intergeschlechtlich oder nicht binär sind, werden von Vermieter*innen meistens falsch angesprochen. Deshalb versuchen queere Menschen einen Schutzraum zu bauen. Hier im Fabrikgebäude gab es zum Beispiel eine FLINTA*-WG, der vor zweieinhalb Jahren gekündigt wurde. Plötzlich waren zehn queere Personen wohnungslos. In der aktuellen Mietensituation hatten sie schlechte Chancen auf dem Wohnungsmarkt.
Wie habt ihr euch als Queers Against Landlords organisiert, um gegen die Verdrängung zu kämpfen? Wir wissen, dass unser Wohnraum bedroht ist. Also müssen wir Geld sammeln, weil wir gegen potenzielle Kündigungen gerichtlich vorgehen möchten. In meiner WG hatten wir gemeinsam die Idee, LGBTIQ*-Themen und Wohnungspolitik zu verbinden. Deshalb haben wir zunächst im Sommer eine Soliparty auf einem Wagenplatz in Treptow organisiert, um queere Menschen untereinander zu vernetzen und Geld zu sammeln. Das hat super funktioniert, deshalb planen wir, aus der Party eine ganze Reihe zu machen. Dafür möchten wir im Herbst und Winter Veranstaltungen organisieren. Auf dem Anarchistischen Pride haben wir auch mit Queers Against Landlords eine Rede gehalten.
„Wir kämpfen für mehr Sichtbarkeit und Repräsentation von queeren Menschen beim Thema Wohnungspolitik."
Was ist euch für euren Aktivismus besonders wichtig? Wir kämpfen für mehr Sichtbarkeit und Repräsentation von queeren Menschen beim Thema Wohnungspolitik. Wir wohnen schließlich auch in dieser Stadt und haben sie zu der gemacht, die sie ist. Deshalb wollen wir, dass unsere Stimmen auch gehört werden. Meine Mitstreiter*innen und ich sind wütend, dass Spekulant*innen und Vermieter*innen den Hype um Berlin ausnutzen. Berlin ist berühmt für seine queeren Clubs, das Berghain und das KitKat zum Beispiel. Dabei spielen queere Menschen eine riesige Rolle. Es ist tragisch zu sehen, dass queere Menschen das geschaffen haben und nun von der kapitalistischen Politik ausgenutzt und verdrängt werden. Das betrifft natürlich ebenso Migrant*innen und Menschen, die kein großes Einkommen haben. Als queere Menschen verkörpern wir einen starken Gegenentwurf zu normativen Lebensweisen. Unsere Existenz ist wichtig in einer Stadt, die Spekulant*innen gerade zu normalisieren versuchen. In Berlin gibt es derzeit aber auch Immobilienfirmen, die gezielt ein queeres Publikum ansprechen wollen. Wir werten das nicht als Fortschritt für die LGBTIQ*-Community, sondern als ausbeutenden Weg des Immobiliensektors, um Profit auf mehreren Ebenen zu schaffen. Mit unserem Aktivismus haben wir basierend auf der Situation in der H48 angefangen und gemerkt, dass das Thema für die ganze Stadt extrem relevant ist.
Welche weiteren Orte sind bedroht? Während der Pandemie haben wir bereits das Hausprojekt in der Liebigstraße und den Wagenplatz von der Köpi verloren. Der queere Wagenplatz Mollies wurde verdrängt. Viele Hausprojekte sind bedroht: die Habersaathstraße 40/48, die Brauni und sogar das berühmte Tuntenhaus in Prenzlauer Berg. Alle diese Orte sind wichtig für die queere Community. Nicht nur die Wohnräume, sondern auch die Kneipen – wie in unserem Kiez die Kneipe Syndikat, die 2020 geräumt wurde. Noch vor 15 Jahren war unser Kiez sehr günstig, aber seit einigen Jahren ist die Gentrifizierung sehr aggressiv.
„Wenn die Stadt immer normativer wird, ist sie für LGBTIQ*-Personen weniger sicher."
Wie wirkt sich das auf die Lebensrealität queerer Menschen aus? Wenn queere Sichtbarkeit verdrängt und die Stadt immer normativer wird, ist sie für LGBTIQ*-Personen weniger sicher. Erst vor Kurzem hat mich ein heterosexueller Mann in einem Club, der eigentlich ein queeres Publikum hat, in der Schlange homofeindlich belästigt. Solche Geschichten höre ich in letzter Zeit immer häufiger auch aus meinem Umfeld. Wenn sich die Stadt weiter so verändert, wird sie immer gefährlicher für unterrepräsentierte Gruppen. Wenn wir es schaffen, das Haus in der H48 zu behalten, können wir eine Instanz sein, die sicher und sozial bleibt.
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