Queere Geschichten aus der SWANA-Region: Soura Filmfest
Das „Soura Film Festival“ findet in diesem Jahr wieder vom 21. bis 24. Oktober im Neuköllner Oyoun statt. Wir sprachen mit dem Direktor und Gründer Robert Moussa
Vor drei Jahren organisierte Robert Moussa zum ersten Mal das Soura Film Festival, damals im kleineren Rahmen. Moussa ist 35 Jahre alt, im Libanon aufgewachsen und hat Regie und Drehbuch in Prag studiert. Dort entstand die Idee des queeren Filmfestivals, das sich auf die sogenannte S.W.A.N.A Region fokussiert.
Gegen koloniale Vorstellungen
„S.W.A.N.A. steht für Süd- und Westasien und Nordafrika und ist ein antikolonialistischer Begriff für die Region, die sonst oft ,Naher Osten‘ oder ,Mittlerer Osten‘ genannt wird”, sagt Moussa. Denn diese Begriffe denken Europa als Zentrum, beinhalten also eine koloniale Vorstellung von Geografie. Auch der Begriff MENA, also Middle East und North Africa, versteht Europa als Zentrum. Aus diesem Grund verwenden die Macher*innen von „Soura“ ihn nicht mehr.
Zum Verständnis: Von Indien oder Afghanistan aus betrachtet liegt der Irak zum Beispiel nicht im Osten, sondern im Westen. Der Begriff Naher Osten ist also weniger akkurat als eine genaue geografische Bezeichnung wie Westasien.
„Ich möchte die Geschichten und Narrative der LGBTIQ*, die dort leben, auch Personen nahelegen, die kaum etwas über queeres Leben in Süd- und Westasien und Nordafrika wissen“, sagt Moussa. Gleichzeitig lege er Wert darauf, viele verschiedene Realitäten abzubilden: „Ich sage meinem Team immer wieder, dass wir alle Schattierungen aus dem queeren Spektrum abbilden müssen.“
Das heißt für ihn auch, Queerness nicht als isolierte Identitäts- und Beziehungsfaktoren zu denken. Queerness beinhalte für die Macher*innen von „Soura“ die Intersektionen mit Feminismus, Migration und generell menschliche Beziehungen. „Ein Fokus, den wir haben, ist Antikolonialismus“, sagt Moussa. „Deshalb nehmen wir auch Filme auf, die nicht unbedingt reine queere Liebesgeschichten sind.“
Auch Berliner Filme im Programm
Der Eröffnungsfilm „The Many Lives of Kojin“ von Diako Yazdani (21.10.) begleitet die Flucht eines queeren Mannes aus Kurdistan nach Deutschland. „Er zeigt den harten bürokratischen Prozess für den jungen Mann“, erzählt Moussa. Ein großer Teil des Films seien die Gespräche zwischen Kojin und dem Filmemacher über dessen Sorgen und die Schwierigkeiten von Queers mit Fluchterfahrung.
Der zweite Langfilm spielt hingegen in Berlin. „Nico” von der Regisseurin Eline Gehring (22. 10.) erzählt die Geschichte einer Altenpflegerin (Sara Fazilat) in Berlin. Nach einem rassistisch motivierten Überfall nimmt sie Unterricht bei einem Berliner Karatelehrer. Der Film wurde mit dem Max Ophüls Preis für den Besten Schauspielnachwuchs ausgezeichnet.
Auch die Doku „Sex, Revolution and Islam” (22.10.) von Nefise Özkal Lorentzen behandelt eine Berliner Realität: Die der Imanin und Leiterin der Berliner Ibn Rushd-Goethe Moschee, Seyran Ateş.
George Peter Barbaris Debüt „Death of A Virgin and the Sin of Not Living” (23.10.) aus dem Libanon zeigt eine Gruppe junger Männer, die heimlich zu einer Sexarbeiterin gehen, und dekonstruiert maskuline Riten.
„Love, Spells and All That” (24.10.) von Ümit Unal stellt die Frage nach zwischenmenschlicher Bindung über das späte Wiedersehen zweier türkischer Frauen, die sich als Teenager ineinander verliebt hatten.
Der Abschlussfilm des „Soura Film Festivals“ ist „Miguel’s War“ (24.10.) von der libanesischen Regisseurin Eliane Raheb. Er erhielt den Teddy Award 2021 für den besten Langfilm und behandelt laut Robert Moussa genau den Schmerz und den Konflikt, den viele junge Libanes*innen auch heute noch kennen. Inhaltlich handelt die Geschichte von einem schwulen Mann, der in den 80er-Jahren vom Libanon nach Spanien verbannt wurde. Er stellt sich seiner Vergangenheit, die voller Widersprüche ist.
Sich selbst feiern können
Der Abschlussfilm verhandele das Dilemma und das Trauma, das eigene Land verlassen zu müssen, obwohl man es im Grunde liebt und vermisst, sagt Moussa. „Gleichzeitig zeigt der Film den tiefen Wunsch, die eigene Identität und das eigene Selbst zu leben, in dem Wissen, dass die Familie schwer akzeptieren kann, wer du bist.“
Der Konflikt bestehe aus dem Bedürfnis, das eigene Leben weiterzuleben, und gleichzeitig noch sehr an dem zu hängen, was zurückgelassen werden musste. „Ich selbst komme von einem Ort, wo wir von einem sehr jungen Alter an lernen, unsere Identität zu verstecken, wenn sie gegen das traditionelle heteronormative Regelwerk verstößt”, erzählt Moussa. „Ich hatte nie das Glück, mich selbst feiern zu können, bis ich mich entschieden habe, mein Land zu verlassen und dann schließlich nach Berlin gezogen bin.”
Mit dem Festival habe er nach seinen eigenen Vorstellungen einen sicheren Ort für queere Filmemacher*innen aus Nordafrika und Süd- und Westasien schaffen wollen. „Mein Privileg, das Land verlassen zu können, ist mir sehr bewusst”, sagt Moussa. „Ich bin an einen Ort gezogen, der für mich ein besserer ist. Und vielleicht habe ich genau aus dem Grund das ,Soura Film Festival‘ ins Leben gerufen.”
SIEGESSÄULE präsentiert:
Soura Film Festival, 21.–24.10., Oyoun
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