Sendung mit „Princess Charming“ Irina Schlauch

„Queer Crimes“: Podcast nimmt queeres Verbrechen unter die Lupe

5. Juli 2023 Samu/elle Striewski
Bild: MDR
Irina Schlauch und Marvin Standke vom Podcast „Queer Crimes“

Am 4. Juli erschien die neue Folge des MDR-Podcasts „Queer Crimes“. Initiiert haben ihn der Journalist Marvin Standke und die als „Princess Charming“ berühmte Juristin Irina Schlauch. Ihr Ziel: Das True-Crime-Genre mit LGBTIQ*-Perspektiven bereichern und Narrative über queeres Verbrechen hinterfragen. SIEGESSÄULE-Autor*in Samu/elle Striewski bat die beiden zum Interview

Liebe Irina, lieber Marvin, wie kam es dazu, dass ihr den Podcast „Queer Crimes“ gestartet habt? Marvin: Der MDR kam auf mich zu mit der Frage: „Was reizt dich gerade, regt dich auf, beschäftigt dich?“ In der Berichterstattung über die Affenpocken war immer wieder vom „homosexuellen Milieu“ die Rede. Solche Begriffe finden sich auch oft in „True Crime“-Podcasts. Wir haben überlegt, bekannte Kriminalfälle zu nehmen und Sichtweisen hinzuzufügen, die bisher ausgelassen wurden – nämlich queere. Damit bin ich auf offene Ohren gestoßen. Wir haben Irina als eine wichtige Stimme der queeren Community gefragt und das Erste, was du sagtest, war: „Ja, ich mache es!“

Irina: (lacht) Das weiß ich schon gar nicht mehr. Aber ich habe tatsächlich nicht lange zögern müssen und war sofort überzeugt vom Konzept. Ich fand die Idee spannend, als Juristin auf die Fälle zu gucken und damit eine weitere Perspektive beizusteuern.

Marvin: Gemeinsam wollten wir die Fragen stellen: Was für Narrative gibt es über queeres Verbrechen? Wie können wir sie widerlegen oder sogar, ein großes Wort, dekonstruieren?

„Was für Narrative gibt es über queeres Verbrechen? Wie können wir sie widerlegen oder sogar dekonstruieren?“

Irina: Auf Social Media sieht man, dass die erste Staffel innerhalb der Community super ankommt. Es gehört leider auch dazu, dass sie jenseits der Community nicht von allen so gut aufgenommen wird. In erster Linie wollen wir aber die Leute erreichen, die „dazwischen“ sind, also nicht queere Menschen, die sich weiterbilden wollen und auch außerhalb ihrer Bubble umgucken möchten. Und „True Crime“ ist dafür der beste Aufhänger, weil nahezu alle dieses Genre lieben.

Queerness ist in der Vergangenheit aber oft pauschal und zu Unrecht mit Kriminalität und Verbrechen assoziiert worden. Wie reflektiert ihr im Entstehungsprozess diese Gefahr, Queerness erneut zu skandalisieren? Marvin: Wir sind ein Team aus fünf queeren Menschen, die an diesem Podcast arbeiten. Durch gute Recherche können wir uns kritisch mit den historischen Sekundärquellen auseinandersetzen und unsere Autoren Ole Siebrecht und Alex Winter bauen schließlich aus den verschiedenen Puzzlestücken eine Folge zusammen. Den Titel der ersten Folge, „Der Darkroom Mörder“, haben wir uns beispielsweise nicht selbst ausgedacht. Er wurde früher in den Medien so verwendet. Mit Schlagzeilen wie dieser locken wir die Leute zwar an, zerschlagen dann aber deren Plakativität, indem wir im Podcast kritisch thematisieren, wie sie überhaupt entstehen konnten.

Irina: Ich komme ins Spiel, wenn es darum geht: Wo könnte es für die Zuhörenden interessant sein, juristische Background-Infos zu bekommen: Wie funktioniert ein Ermittlungsverfahren? Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Mord und Totschlag? Was gibt es für Merkmale und welche treffen hier zu? Da ich eher aus dem Zivilrecht komme, ist das für mich immer eine gute Gelegenheit, mein Wissen aus dem Jurastudium noch einmal aufzufrischen und mich ins Strafrecht einzuarbeiten.

Es scheint, dass ihr nicht nur Individuen – ob nun Verbrecher*innen oder Opfer, sondern auch strukturelle Phänomenen thematisiert... Irina: Es gibt einerseits die gesellschaftliche Perspektive und damit einhergehend ein gewisses Gerechtigkeitsempfinden in der Bevölkerung. Anderseits kommt wieder die juristische Perspektive ins Spiel. Im Fall von Aue (bezogen auf die Episode „Schwuler Mord in der Provinz“, Anm. d. Red.) geht es beispielsweise um die juristisch wichtige Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag und um die Frage, ob ein Mordmerkmal vorlag. Aus gesellschaftlicher Sicht würde man vielleicht sagen: Ja, natürlich, zwei Rechtsextreme haben einen jungen, schwulen Mann getötet. Das muss Mord gewesen sein! Aus juristischer Perspektive gibt es aber klare Kriterien, ab wann ein Mord vorliegt. Diese müssen nachweisbar sein, selbst wenn das ungerecht erscheinen und gegen das persönliche Gerechtigkeitsempfinden gehen kann.

Marvin: Unser Auftrag ist, genau diese Balance zu finden, damit sich die Zuhörenden ihre eigene Meinung bilden können – selbst wenn wir unsere persönliche Meinung mit einfließen lassen.

Irina: Ich hatte einen totalen Aha-Moment, als wir die Folge zu Jeffrey Dahmer gemacht haben, weil ich gestehen muss, dass ich die Netflix-Serie gesuchtet hab. Ich war so gepackt davon, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Obwohl die Show versucht hat, die Perspektive der Opfer darzustellen, war das unterm Strich nicht gut genug. Es gab auch strukturelle Probleme, die zu wenig beleuchtet wurden: Warum wurde Dahmer so lange nicht gefasst? Weil so gut wie all seine Opfer Schwarz waren und die Behörden nicht reagiert haben.

„Warum wurde Dahmer so lange nicht gefasst? Weil so gut wie all seine Opfer Schwarz waren und die Behörden nicht reagiert haben.“

Welche Reflexionen aus der Arbeit am Podcast nehmt ihr mit in die Pride Season? Irina: Spannende Frage. Was mir durch den Podcast noch bewusster wurde, ob es um die Aids-Krise, die mediale Sicht auf Homosexualität oder die „lesbische Mord GmbH“ geht: Dank unserer Vorreiter*innen können wir heute so frei den CSD feiern wie wir es tun. Daraus erwächst bei mir auch ein gewisses Verantwortungsgefühl, gerade weil ich eine öffentliche Rolle einnehme. Ich versuche, sie auszufüllen und Energie aus den Kämpfen der letzten Jahrzehnte zu schöpfen. Gleichzeitig ist es ein großes Privileg, das überhaupt machen zu dürfen.

Ihr nehmt euren politischen Bildungsauftrag also sowohl im Podcast als auch persönlich sehr ernst. Werdet ihr damit weitermachen? Marvin: Ja. Unser Fokus lag bisher nicht so sehr auf den Storys mit Sensationen und Brutalität, sondern vor allem auf diesem „Bildungsauftrag“. So bleibt es auch in Staffel 2, die noch dieses Jahr startet. Bisher waren wir mit allen Folgen in den Top fünf der Audiothek Charts, mit zweien sogar auf Platz eins. Das Interesse ist also groß! Als kleiner Einblick in die kommende Staffel darf ich verraten, dass wir noch ein bisschen weiter in der Vergangenheit, bis in die NS-Zeit, zurückgehen werden. Ich bin sehr dankbar, dass wir diesen Podcast im Umfeld des MDR und der ARD umsetzen dürfen. Es ist so wichtig, dass wir die Menschen „dazwischen“ erreichen und über queere Lebensweisen, Kontexte, Fragestellungen und Narrative im Gespräch bleiben.

Queer Crimes – Verbrechen aus der LGBTQIA+-Community:
Auf
mdr.de und in der ARD Audiothek: ardaudiothek.de

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