Queen-Gitarrist Brian May: „Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an Freddie denke“
Am 5. September wäre der 1991 an den Folgen von Aids verstorbene Queen-Sänger und LGBTIQ*-Hero Freddie Mercury 75 Jahre alt geworden. Anlässlich von Freddies Geburtstag und der Wiederveröffentlichung von Brian Mays 1992er-Solodebüt bat SIEGESÄULE Queen-Gitarrist May zum Gespräch
Herr May, wie viele Songs auf Ihrem Soloalbum handeln von Freddie? Inwieweit hat sein damaliger Zustand Stücke wie „Too Much Love Will Kill You“ oder „Nothin‘ But Blue“ geprägt? „Too Much Love Will Kill You“ hatte ursprünglich gar nichts mit Freddie zu tun. Ich habe es während meiner Ehekrise geschrieben – lange bevor klar wurde, dass wir Freddie verlieren würden. Es handelt von einer Situation, in der ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte. Damals habe ich zwei Menschen gleichzeitig geliebt, was aus heutiger Sicht eher nach einer netten Fantasie klingt. (kichert) Doch seinerzeit hat mich das komplett zerstört. Das Bemerkenswerte an dem Song ist seine Geschichte: Zuerst war es ein Solostück, das gar nicht zu Queen zu passen schien. Aber als Freddie es gehört hat, mochte er es so sehr, dass wir eine Queen-Version davon aufgenommen haben. Dadurch ist es zu etwas völlig anderem geworden. Ich habe keine Ahnung, was in seinem Kopf vorging, als er die Worte gesungen hat. Er hat sie anders interpretiert und auch die Kritiker und Fans haben etwas anderes darin gesehen. „Nothin‘ But Blue“ allerdings entstand, als ich hier im Studio saß und wusste, dass es eine Frage von Stunden sein würde, ehe uns Freddie verlässt. Da habe ich dieses wunderbare Stück von Cozy und Don Airey gehört, das mich sofort gepackt hat. Den Text habe ich in zehn Minuten geschrieben und es ging wirklich um Freddie – um meine Gefühle für ihn. Deshalb finden sich da auch viele Zitate, die mit ihm zu tun haben, inklusive „Champions“ und weitere Begriffe aus seinem Vokabular.
„Wir haben dafür gesorgt, dass Freddie alles hatte, was er brauchte, und dass er von Menschen umgeben war, die ihn liebten“
Stimmt es, dass Sie ihn noch am Tag vor seinem Tod besucht haben? Das ist richtig, und es war ein bewegender Moment, weil er so schwach war. Es war klar, dass er nicht mehr lange unter uns weilen würde, und das wusste er selbst am besten. Aber er hat versucht, extrem witzig zu sein und das so gut wie möglich zu überspielen. Dabei war er seit 18 Monaten ans Bett gefesselt und konnte das Haus nicht mehr verlassen. Es war schlimm, ihn so zu sehen, aber als Band haben wir ihn trotzdem so oft wie möglich besucht. Wir haben uns als Familie verstanden und dafür gesorgt, dass er alles hatte, was er brauchte, und dass er von Menschen umgeben war, die ihn liebten und die sich um ihn gekümmert haben. Das war alles, was wir für ihn tun konnten.
Handelt „I‘m Scared“ von der Angst, was danach kommen könnte – vom potenziellen Ende der Band und eines wichtigen Lebensabschnitts? Es war beides: Die Angst um ihn und seinen Zustand – und um unsere Karriere. Eben, ob mit seinem Tod alles vorbei wäre und wir alles, was wir uns aufgebaut hatten, verlieren würden. Klar, hat mich das belastet. Und ja, es hat mir Angst gemacht. Aber: Wenn du dich deiner Angst stellst, verliert sie etwas von ihrem Schrecken. Deshalb hat der Song einen gewissen Humor, der mir sehr geholfen hat. Er ist so angelegt wie die Stücke von Steven Berkoff. Ein Schriftsteller, der gern die Ebene zwischen gesellschaftlicher Fassade und echten, offenen Gefühlen wechselt – wodurch er seine Charaktere entlarvt. Das hat mich inspiriert, selbst ganz ehrlich zu sein. Außerdem hat das Album einen Humor, der für eine Leichtigkeit sorgt, die dich entspannt. Das wiederum führt zum Song „Resurrection“, der ein extrem positives Statement ist. Nach dem Motto: „Ja, ich kriege das hin.“ Insofern ist da eine Menge düsterer Kram, aber auch die Erkenntnis, dass wir nur eine bestimmte Zeit auf diesem Planeten haben – und das Beste daraus machen müssen.
„Würde Freddie noch leben, würde er uns nach wie vor überraschen und Sachen machen, die völlig aus dem Rahmen fallen“
Sagt der Mann, der zwischenzeitlich an Suizid gedacht hatte? Das hatte ich wirklich. Und das zeigt, wie verzweifelt ich damals gewesen bin. Ich wusste stellenweise nicht weiter ... Und deshalb war dieses Album wie ein Rettungsanker. Es hat mir geholfen, ein bisschen Licht in mein Leben zu bringen. Daher auch der Titel – es war eine der dunkelsten Phasen meines Lebens.
Freddie würde am 5. September 75. Fragen Sie sich manchmal, wie er heute wäre? Und wie Queen klingen würden, wenn die Band mit ihm hätte weitermachen können? Das habe ich ständig im Kopf und Freddie ist immer noch bei mir. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an ihn denke. Und ich bin mir sicher: Würde Freddie noch leben, würden wir immer noch sehr erfolgreich Musik machen. Außerdem denke ich, dass Freddie uns nach wie vor überraschen würde. Er würde immer noch Sachen machen, die völlig aus dem Rahmen fallen und doch einfach nur toll sind. Klar wünsche ich mir, er wäre noch hier. Und es ist beinahe ironisch, dass wir erst durch seinen Tod in der Lage waren, ein paar Dinge zu tun, die unmöglich gewesen wären, wenn er noch unter uns weilen würde – wie das Musical „We Will Rock You“ oder der „Bohemian Rhapsody“-Film, die beide eine Hommage an ihn sind. Von daher könnte man sagen, dass wir unser Bestes getan haben, um ihn am Laufen zu halten und dafür zu sorgen, dass er ein immer neues Publikum erreicht. Es fühlt sich bis zum heutigen Tag so an, als wäre Freddie bei uns. Er ist so präsent, dass es kaum auffällt, dass er schon 30 Jahre tot ist. Das mag sich jetzt merkwürdig anhören, ist aber wirklich so.
„Uns war von Anfang an klar, dass Freddie auf Männer stand. Daraus hat er nie ein Geheimnis gemacht“
Haben Sie ihn je auf seine Homosexualität angesprochen? Innerhalb der Band war das nie ein Thema. Ich meine, uns war von Anfang an klar, dass er auf Männer stand. Daraus hat er nie ein Geheimnis gemacht. (lacht) Aber: Wir waren eine Band, ein Team, eine Familie. Wir haben am selben Strang gezogen, um Queen zu einer erfolgreichen Band zu machen. Dem haben wir alles untergeordnet, und es war völlig egal, wer auf wen oder was stand – solange es funktioniert hat. Es gab kein Drama in der Band und wir haben unser Privatleben da so gut wie möglich herausgehalten. Wenn wir zusammen waren, haben wir uns auf die Band konzentriert. Was jeder Einzelne außerhalb dieser Konstellation getan hat, war uns egal. Wir haben einander mit Respekt behandelt und waren immer gute Freunde. Eben eine Einheit, verbunden durch die Musik.
Wie empfinden Sie die Renaissance, die Queen in den letzten 15 Jahren erlebt hat? Es scheint Ihnen wirklich gelungen zu sein, ein ganz neues Publikum zu rekrutieren ... Und das ist unglaublich. Ich bin unendlich dankbar, dass das passiert ist. Unsere „Greatest Hits“ sind nach 20 Jahren immer noch in den Charts und unsere Livekonzerte sind nach wie vor ausverkauft. Ich bin wahnsinnig stolz auf diese Entwicklung. Es zeigt, dass wir alles richtig gemacht haben.
Was ist es, das junge Menschen an Queen fasziniert? Da kann ich nur spekulieren. Aber ich denke, es hat mit den Songs zu tun – mit Stücken, die mal sehr komplex und dann wieder sehr simpel sind. Die man sofort mitsingen kann und die eine positive Aussage haben. Die einem Kraft und Selbstbewusstsein geben, also etwas Aufbauendes besitzen. Hinzu kommt die Art und Weise, wie wir sie darbieten, nämlich als Musiker, die wissen, was sie tun, die ihre Instrumente beherrschen und durch Virtuosität glänzen bzw. einen richtigen Showman am Start haben: Adam Lambert. Er versucht nicht, Freddie zu imitieren, sondern besitzt ganz einfach ähnliche Performer-Qualitäten. Und ich denke, gerade in der heutigen Zeit, wo alles so synthetisch ist, ist das ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal. Also da etwas Echtes, Handgemachtes und Reales abzuliefern und keine Studiotrickserei.
„Wir werden keine neue Musik unter altem Namen veröffentlichen. Es wäre respektlos gegenüber denen, die wir verloren haben“
Wird es je ein neues Queen-Album geben? Nein, das kann ich definitiv ausschließen.
Wieso? Weil es nicht richtig wäre. Queen waren Freddie, John Deacon, Roger und ich. Eine Band, die das Produkt von vier starken Individuen war. Doch mittlerweile fehlen zwei davon. Sprich: Aktuell sind es Roger und ich. Das ist nicht dasselbe und deswegen werden wir auch keine neue Musik unter altem Namen veröffentlichen. Es wäre respektlos gegenüber denen, die wir verloren haben. Und ganz ehrlich: Es könnte nie dasselbe sein, weil etwas Essenzielles fehlen würde. Etwas, das Adam nie einbringen könnte, selbst wenn er noch so gut ist. Insofern werden wir mit dem weitermachen, was wir die letzten neun Jahre getan haben: Wir konzentrieren uns auf die alten Stücke und versuchen, eine gute Mischung aus Hits und weniger bekannten Sachen hinzubekommen – zwischen dem, was das Publikum erwartet, und dem, was es überrascht.
Gilt das auch für die Nachholkonzerte im nächsten Sommer? Ich denke, das ist ein guter Ansatz, den wir so lange verfolgen werden, wie wir können und Spaß daran haben. Ganz abgesehen davon, dass ich inständig hoffe, dass die Konzerte 2022 wirklich stattfinden. Ich traue dem Braten mit der Delta-Variante und der vollständigen Öffnung ohne Schutzmaßnahmen noch nicht. Ich hoffe, wir verzocken uns da nicht. Wenn, wäre das fatal – und es könnte ewig dauern, bis wir die Situation wieder in den Griff bekommen.
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