Prozess gegen HIV-Arzt: Zeuge fühlte sich „als wäre er 4 Stunden lang geschlagen worden“
Am vergangenen Montag wurde die Beweisaufnahme im Prozess gegen den in fünf Fällen wegen sexuellen Missbrauchs angeklagten Berliner HIV-Arztes geschlossen. Der Prozess nähert sich nun langsam dem Ende. Es folgen noch die Plädoyers der Staatsanwaltschaft, der beiden Nebenklägervertreterinnen und der drei Verteidiger*innen. In der ersten Novemberhälfte soll dann voraussichtlich das Urteil fallen
Am Montag sagte in diesem Prozess der letzte Zeuge vor Gericht aus. Es handelte sich dabei um einen guten Freund des mutmaßlichen Opfers und Nebenklägers Martin (Name von der Redaktion geändert). Die beiden sollen sich seit gut 20 Jahren kennen. Der Zeuge berichtete von einem Telefonat, in dem ihm zum ersten Mal von dem Vorfall in der Praxis erzählt wurde. Er stand damals 2012 in München auf dem Bahnhof und war auf dem Weg in den Urlaub nach Venedig. Auch nach 9 Jahren könne sich der Zeuge immer noch genau an dieses etwa halbstündige Telefonat erinnern. „Es war so eindrücklich. Es war mir klar, dass etwas Krasses passiert ist“, so der Freund. Im Wesentlichen bestätigte er Martins Aussage vor Gericht.
Nur in einem Punkt unterschieden sich die Angaben. Laut dem Zeugen habe Martin ihm erzählt, dass er während des vermeintlichen Missbrauchs durch den HIV-Arzt gesagt haben soll, dass sie gerade „etwas Verbotenes tun“. Martin habe dann die sexuellen Handlungen abgebrochen. Vor Gericht hatte Martin jedoch ausgesagt, dass nicht er selbst, sondern der Arzt in dieser Situation davon gesprochen habe, dass sie etwas Verbotenes tun. Damit wurde aber auch deutlich, dass es vermutlich keine Absprachen zwischen dem Zeugen und dem vermeintlichen Opfer gab.
Nebenkläger wollte sich „nicht ausgeliefert fühlen“
Zudem wurde der Zeuge nach den Auswirkungen befragt, die der vermeintliche Missbrauch auf Martin gehabt habe. Der Richter interessierte sich für Martins Verfassung. „Hat sich das Leben für ihn verändert?“, wollte er von dem Zeugen wissen. „Vor allem seit dem letzten halben Jahr hat sich das Leben für Martin verändert“, erwiderte dieser. „Vor allem die Art und Weise, wie die Verteidigung mit ihm umgegangen ist. So kenne ich Martin gar nicht.“ Es gebe auch gesundheitliche Folgen, wie hohen Blutdruck. Martin sei sehr angespannt. „Sein Alltag ist davon bestimmt“. Warum Martin sich dem Prozess dennoch aussetze, wenn es ihm dabei so schlecht gehe, wollte die Verteidigerin Schönberg von dem Zeugen wissen. „Um sich nicht machtlos und ausgeliefert zu fühlen“, erklärte dieser.
Unangenehm war die Befragung durch den Verteidiger Prof. König. Immer und immer wieder wollte er wissen, was die beiden über die vermeintliche Tat besprochen hatten und warum der Zeuge seinen Freund nicht genauer nach Einzelheiten gefragt habe. Der Zeuge machte deutlich, dass es zu einem sensiblen Umgang mit Missbrauchsopfern gehöre, dass man sie gerade nicht nach genauen Details der Tat befragt. Verteidiger Prof. König schien nicht zu verstehen, dass eine solche Form der Befragung eine Retraumatisierung zur Folge haben kann.
Der Zeuge wiederholte beständig, dass über den genauen Ablauf der vermeintlichen Tat nicht gesprochen wurde. König fragte und fragte, bis der Richter endlich einschritt und klarstellte, dass der Zeuge alle Fragen bereits beantwortet habe. Stille war im Gerichtssaal, als Martins Anwältin Undine Weyers, die seine Nebenklage vertritt, den Zeugen fragte, wie sich Martin während der Befragung durch Verteidiger Johannes Eisenberg gefühlt habe. „Er fühlte sich, als wäre er vier Stunden lang geschlagen worden. Vor allem durch Eisenberg. Er hat es wie eine körperliche Misshandlung geschildert“.
Dass der Zeuge am Montag nicht durch Eisenberg befragt wurde, lag daran, dass der Verteidiger nicht zugegen war.
Weitere Beweisanträge wurden vom Richter abgelehnt
Nach der Befragung wurde über zahlreiche Anträge entschieden. Unter anderem sollte ein ehemaliger Arzt der Praxis als Zeuge geladen werden, um zu beweisen, dass der Angeklagte bei proktologischen Untersuchungen nicht immer Handschuhe getragen und damit im Prozess gelogen habe.
Ein Antrag der Staatsanwaltschaft war bereits im Vorfeld zurückgezogen worden. Die Staatsanwältin hatte beantragt, zu klären, ob der angeklagte HIV-Arzt homosexuell ist und sich in der Szene auskennt. Dafür hatte sie das LKA beauftragt, Beweismittel zu sichern. Diesen Antrag hatte die Staatsanwaltschaft vor der Verhandlung zurückgezogen. Gerüchten zufolge sei sie angewiesen worden, ihn zurückzuziehen, da der Antrag homophob sei. Auf Nachfrage von SIEGESSÄULE, ob es eine solche Anweisung gab und von wem sie kam, teilte die Staatsanwältin mit, dass sie zu dienstlichen Vorgängen keine Auskünfte geben dürfe.
Allerdings sei sie der Auffassung, dass die Klärung der Frage, ob der Angeklagte homosexuell ist, nicht homophob sondern hilfreich sei. Denn es ist nicht unwesentlich zu wissen, ob der HIV-Arzt mit bestimmten Codes der schwulen Szene vertraut sei. Allerdings könnte man erwarten, dass auch ein heterosexueller Arzt, der eine Praxis in einem schwulen Kiez betreibt, weiß, dass die Frage nach einer Analspülung mit den Worten, der Patient sei aber „schön sauber gespült“, auch als Aufforderung zu Analsex verstanden werden kann. So formulierte es die Anwältin Barbara Petersen in ihrem Antrag auf Feststellung der sexuellen Orientierung des HIV-Arztes. Sie stellte dabei fest: „Es geht nicht um die Frage, ob er homosexuell ist, sondern kennt er die Codes der schwulen Szene?“ Weyers wollte ebenfalls Beweismittel anbringen, die Auskunft zur Orientierung des Mediziners geben sollten. Das waren Interviews, in denen er sich selbst unter anderem als schwuler Arzt bezeichnet haben soll.
Alle Beweisanträge wurden von Richter Rüdiger Kleingünther abgelehnt und die Beweisaufnahme damit geschlossen. Vor dem Urteil werden noch die Plädoyers gehalten. Die Öffentlichkeit wird erst wieder zur Verkündigung des Urteils zugelassen werden.
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