Netzaktivismus

Pride im Netz: Wie geht ein digitaler CSD?

2. Juni 2020 fs

In der Corona-Pandemie mussten viele Prides abgesagt werden. Stattdessen gab es Events im Netz. Ist das nur ein schaler Ersatz für die Straßendemos? Oder bietet das Netz auch neue Chancen für queeren Aktivismus? Und was muss ich tun, wenn ich eine online-Aktion starten will? Netzaktivistin Athena gab uns Tipps

Athena, was hälst du von der Idee eines digitalen Pride? Viele sagen, ein Videostream könne eine Straßendemo nicht ersetzen.
Die Erfahrung, auf einer Pride mit zu laufen, kann durch nichts ersetzt werden. Aber statt nur zu versuchen, etwas nachzubilden, sollten wir etwas ganz Neues schaffen und die Vorteile nutzen, die das Internet hat. Stell dir ein Event mit 10.000 Personen vor: im realen Leben wäre das chaotisch. Ein online-Event derselben Größe kann z. B. in verschiedene Streams gegliedert werden. Zwischen denen kann ich hin und her schalten – statt, wie sonst, von einer Pride-Bühne zur nächsten zu rennen. Und ich kann z. B. mit vielen Teilnehmenden chatten. Ich kriege dadurch vielleicht mehr vom gesamten Event mit und komme mit mehr Leuten in Kontakt als auf einer Parade.

„Statt nur zu versuchen, etwas nachzubilden, sollten wir etwas ganz Neues schaffen und die Vorteile nutzen, die das Internet hat.“

Eine Parade ist aber auch eine Form des Protests: sie unterstreicht unsere politischen Forderungen. Kann ein online-Pride das leisten?
Bei einem virtuellen Event können wir, im Gegensatz zur Straßendemo, ganz genau sagen, wie viele Leute „dabei“, das heißt zugeschaltet waren. Mit diesen Zahlen können wir Druck auf Gesetzgeber ausüben. Aber klar: eine Parade hat einen eigenen Effekt...

...sie findet im öffentlichen Raum statt. Sie konfrontiert Leute mit unseren Inhalten, die sich sonst damit nicht auseinandergesetzt hätten...
Ja. Im virtuellen Raum ist es schwierig, etwas Vergleichbares herzustellen. Es gibt zwar viel Protest online und „Hacktivism“ (von engl. Hacking und Aktivismus, Anm. d. Red.): Regierungswebseiten werden lahmgelegt oder Aktivist*innen hacken sich in Webseiten und „hängen“ dort virtuelle Banner auf. Aber anders als bei einer Demo, die man offiziell anmelden kann, ist das nicht legal. Das Netz besteht vor allem aus privaten Räumen: die meisten Webseiten, auch die, die von vielen Personen genutzt werden wie z.B. Facebook, gehören irgendwem. Das heißt: wenn ich sie hacke, beschädige ich Eigentum. Einen wirklich öffentlichen Raum, vergleichbar mit den Straßen einer Stadt, gibt es im Internet nicht.

„Einen wirklich öffentlichen Raum, vergleichbar mit den Straßen einer Stadt, gibt es im Internet nicht“

Also doch lieber „real“ demonstrieren?
Das muss ja kein Entweder-Oder sein. Im Sommer 2020 gab es zum Beispiel den „Global Pride“, der als 24-stündiger Stream weltweit gesendet wurde (SIEGESSÄULE berichtete). Leute in verschiedenen Ländern machten dafür kleinere Demos, filmten diese und trugen und mit den Videos zu dem Stream bei. Ich finde das sehr kraftvoll!

Was muss ich beachten, wenn ich einen Pride-Stream oder ähnliches auf die Beine stellen will?
Erstmal muss ich klären, welche Reichweite mein Stream haben soll. Wenn ich viele Menschen erreichen will, kann ich Videos z. B. über Youtube laufen lassen. Da gibt es unter Umständen aber Probleme mit dem Urheberrecht, wenn ich Musikstücke einspiele.

Du meinst, in dem Video ist z. B. eine Drag Queen zu sehen, die zu einem Popsong singt...
Genau. Vor allem für große Streams, die länderübergreifend gesendet werden, kann man versuchen, die Künstler*innen, deren Musik man verwenden will, einfach mit an Bord zu holen. Generell kann es helfen, etwas genuin für online zu erstellen: Also statt eine Drag-Bühnenshow zu filmen, experimentiere ich lieber mit online-Formaten, wie Filter auf Instagram, Facebook-Live-Videos usw. Aber Vorsicht: jede Plattform hat ihre eigenen Bedingungen, die auch unterschiedlich je nach Land sein können. Leute in China z.B. können standardmäßig gar nicht auf Youtube zugreifen, dafür ist die Videoplattform TikTok dort groß. Mein Tipp ist, nicht nur auf einem Kanal zu senden, sondern verschiedene Plattformen zu nutzen!

„Man sollte nicht nur auf einem Kanal senden, sondern verschiedene Plattformen nutzen!“

Weitere Tipps für online-Aktionen?
Klär im Vorfeld die Bedingungen direkt mit den Dienstanbieter*innen – sei dies YouTube, Facebook, TikTok, Twitch für Videostreams oder z. B. Slack oder Zoom für digitale Gruppentreffen, Online-Konferenzen und so weiter. Nimm an digitalen Meetings außerhalb deiner Region teil: geh auf meetup.com und suche nach LGBTI *-Events in Japan, Russland oder Malaysia! Wenn du auf Twitter bist, trete Listen von LGBTI *-Aktivisten bei, z. B. ILGA World. Probier Neues aus wie das Erstellen eines Podcasts (Castbox bietet kostenloses Hosting an). Der Erfolg deines Events oder Projektes hängt nicht so sehr von technischem Wissen ab: wichtiger ist gute Organisation. Ich empfehle Discord für Gruppenchats, außerdem Signal, Wire und die Chat-App Jitsi, die als relativ sicher gilt, was unsere persönlichen Daten betrifft. Hier findet ihr einen Überblick, wie verschiedene Nachrichten-Apps mit unseren Daten umgehen!

Virtuelles Gruppentreffen von „Pride Polyphonie“, Athena oben rechts
„Der Erfolg hängt nicht so sehr von technischem Wissen ab: wichtiger ist gute Organisation“

Sicherheit ist ein großes Thema, wenn ich ein Event im Netz organisieren will...
Das ist nicht viel anders als bei „realen“ Events – zum Beispiel ein queerer Abend in einer Bar. Da überlege ich mir vorher, was passieren soll, ich habe Personen an der Tür und Barpersonal, das Leute raus schmeißt, wenn es sein muss. Genauso brauche ich für virtuelle Events Richtlinien, die vorher kommuniziert werden müssen. Ich brauche eine Strategie, wie ich den Zugang gestalte: ob z. B. alle auf meinen Stream zugreifen können wie bei Youtube, oder ob die Zuschauer*innen sich vorher anmelden müssen. Es gibt auch Möglichkeiten, ganz anonym an digitalen Events teilzunehmen, etwa indem man ein VPN benutzt („Virtuelles privates Netzwerk“. Über eine VPN-Verbindung kann man sich anonym im Netz bewegen, Anm. d. Red.). Während des Events brauche ich dann Moderator*innen, die zum Beispiel Leute sperren, die homophobe Kommentare unter meine Videos posten, oder die das Event nur stören wollen. Hier und hier findet ihr weitere Tipps für Cybersecurity!

„Ich hoffe, dass die Krise die globale LGBTI*-Community näher zusammenbringt“

Im Frühjahr 2020 fand in Berlin ein „Pride Hackathon“ von der Gruppe Unicorns in Tech statt. Dabei wurden verschiedene digitale Projekte für die Pride-Saison entwickelt. Euer Projekt „Pride Polyphonie“ hat gewonnen.
Ja! Das ist eine Webseite, auf der wir Audiodateien von queeren Menschen in verschiedenen Sprachen sammeln. Das können Grüße sein, ermutigende Worte, ein Gedicht... Wir haben diese Botschaften „Audio-Hugs“ (Audio-Umarmungen) genannt. Weitere Projekte des Hackathons waren z.B. eine Website für LGBTI *-freundliche Arbeitsplätze oder der „Atlas of Hate“, der Hass gegen LGBTI * in Polen dokumentiert.

Glaubst du, dass die Corona-Krise queeren Aktivismus verändert?
Im besten Fall hoffe ich, dass sie die globale LGBTI*-Community näher zusammenbringt.

Athena

Athena ist u. a. Organisatorin von Livestreams und im Bereich Content Marketing tätig. Sie lebte 10 Jahre in Hongkong und Ostasien, bevor sie nach Berlin zog. Das Programmieren hat sie sich selbst beigebracht.

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