Polizeigewalt am 8. März: Wo bleibt die Empörung?

Unsere Redakteur*in Lara Hansen war am 8. März bei der Demonstration der Alliance of Internationalist Feminists – und wurde Zeug*in von Einschüchterungen und Gewalt gegen palästinasolidarische FLINTA*. Ein Erfahrungsbericht zum heutigen internationalen Tag gegen Polizeigewalt
Feministischer Kampftag, die Sonne strahlt, wir sind bereit, die Straßen Berlins an uns zu reißen. Aber wer auf pro-palästinensische Aufzüge in Berlin geht, weiß, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Würde bei diesen ein Ende nimmt. Und so konnte es die Polizei auch bei der von der Alliance of Internationalist Feminists organisierten, palästinasolidarischen Demo „Until Total Liberation“ am 8. März scheinbar nicht abwarten, draufloszuschlagen.
Schon kurz vor Beginn der Demo um 15 Uhr, umzingeln Hunderte Polizist*innen in voller Schutzmontur mit Helmen den O-Platz. Sie lassen Demonstrierende über zwei Stunden nicht loslaufen, schüchtern ein. Mehrere tausende Menschen sollen es am Anfang sein, weniger, nachdem die ersten Gruppen die Demo verlassen. Kurz vor 18 Uhr geht‘s los. „Free Palestine!“, „Free Congo!“, „Free Sudan!“ stimmt die FLINTA*-Menge immer wieder an. Omas, Katzen, Kinder winken aus den Fenstern in der Oranienstraße. Die Stimmung ist ausgelassen, selbstbewusst und unmissverständlich anti-imperialistisch. Die Straße gehört der Sache, jedenfalls für diese kurze Zeit. Es vergeht etwas über eine Stunde, bis es dunkel wird und die Stimmung umschlägt.
Scharen von vermummten Polizist*innen blockieren den Weg. Wir befinden uns in der Wiener Straße. Von allen Seiten eingekesselt rücken wir nun enger zusammen, passen aufeinander auf. Eine Stunde lang wieder keine Ansage. Unruhe macht sich breit. Jemand schreit: „Wir haben das Recht, uns zu versammeln!“ – sie blenden uns mit übergroßen Scheinwerfern, filmen uns. Unsere Menge macht scheinbar einen Satz nach vorne in Richtung Polizei. Die haben nur auf diesen Impuls gewartet. Sie stürmen auf uns los, ich sehe nur noch ihre verfremdenden Helme, wie sie den FLINTA* der ersten Reihe mit ihren Fäusten ins Gesicht schlagen – immer wieder – dann in den Bauch, in die Rippen.

Die Polizist*innen preschen vor, wir stürzen auf den Boden. „Bleibt zusammen!“, schreit jemand. Mehrere Menschen landen auf meinem rechten Bein. Ich stecke fest, sehe von unten, wie direkt vor mir ein Polizist mit gestrecktem Bein auf Brusthöhe in die Menge kickt. Panik macht sich breit, alle schreien. Die Polizei prügelt weiter. Sobald der letzte Mensch von meinem Bein runter ist, schaff ich's mithilfe von Freund*innen wieder nach oben. „Dein Schuh!“ ruft jemand und drückt ihn mir in die Hand. Die Polizei macht sich gerade bereit, Pfefferspray in die Menge zu sprühen. Meine Freund*innen und ich stehen neben uns – Kampf oder Flucht – eine*r von uns handelt schnell und rational, packt mich an den Schultern. „Raus hier!“ They stützt und zieht mich aus der Menge, unsere Gruppe kommt hinterher.
Als nächstes sitzen wir auf Treppenstufen irgendwo am Rande der Demo – immer noch voller Adrenalin, mit aufgerissenen Augen, aber irgendwie in uns gekehrt. Wir hören Sirenen und eine Lautsprecher-Durchsage der Polizei. Die Versammlung sei hiermit aufgelöst. Am Spreewaldplatz, nicht am Hermannplatz. Die Polizei hat die Route kurzfristig verändert und drastisch verkürzt. Gut, dass wir zusammen geblieben sind. Gut, dass wir es rausgeschafft haben. Jedes Mal das Gleiche. Jedes Mal schlimmer. What the actual fuck. Umarmungen. Gute Nacht.
Der Tag danach
Die Sonne strahlt am nächsten Tag wieder. In Dauerschleife wiederholen sich im Instagram-Feed die Schläge der Polizei, die Schreie der Demonstrierenden. Ein Video zeigt die brutale Verhaftung einer Demonstrantin, bei der die Polizisten ihren Rock immer wieder hochziehen und einer von ihnen ihren Kopf schamlos in seine Genitalien drückt. Deutsche Medien wie die Berliner Zeitung berichten daraufhin von – ich meine, sie rechtfertigen – „selektive“ Faustschläge der Polizei. Von den 28 gewaltsam festgenommenen „Frauen“ hätten „lediglich“ drei „familiären Bezug zum arabischen Raum“, sagen sie. Schade, sie wären wohl gerne noch rassistischer gewesen. Als wäre das nicht genug, brandmarken sie die Demo dann noch als „Hexenkessel“.
Ein unoriginelles Framing einer feministischen Demo, bei der Bullen FLINTA* verdreschen. Die misogyne Aggression der Polizei am 8. März reiht sich ein in einen größeren anti-palästinensischen und anti-migrantischen Kontext, in dem jede noch so leise Erwähnung von palästinensischen Menschenrechten und jeder „Free Palestine“-Ruf mit Faustschlägen und Pfefferspray – im Namen der deutschen Staatsräson – unterdrückt werden kann. In dem jede noch so friedliche Soli-Demo als „Judenhasser“-Demo von der Bild oder im Welt-Ticker der BVG skandalisiert wird. In dem muslimische und arabische Menschen täglich kriminalisiert werden.
Wen die weiße, mehrheitsdeutsche Öffentlichkeit eh schon unter Generalverdacht stellt, nehmen faschistische Parteien und Polizei zuerst ins Visier.
Die Polizei weiß, dass sie mit diesem öffentlichen Narrativ breite Zustimmung oder zumindest Gleichgültigkeit erwarten kann, wenn sie Demonstrierende verprügelt. Wen die weiße, mehrheitsdeutsche Öffentlichkeit eh schon unter Generalverdacht stellt, nehmen faschistische Parteien und Polizei zuerst ins Visier. Denn da kommt kein Aufschrei – und damit die Legitimierung weiterer staatlicher Gewalt.

Ein Kollege erzählt später, er sei zur israelsolidarischen „Feminism Unlimited“-Demo in Prenzlauer Berg gegangen, der FLINTA*-Block sei „eher weiß“ gewesen und eine Neonazi-Gegendemo sei „friedlich“ abgeschirmt worden. Keine Faustschläge gegen Nazis. Die waren alle für die propalästinensischen FLINTA* und Migrant*innen reserviert. Kollektive Wut füttert die Bewegung. Wut auf das in den Faschismus absinkende System, die Heuchelei der Brandmauer-Linksliberalen, die auf Anti-AfD-Demos palästinasolidarische Stimmen mundtot machen, das selbstgefällige Grinsen der Polizei und die Komplizenschaft von einem überwiegenden Teil der deutschen Medienlandschaft.
Gleichzeitig Liebe zu all denen, die gemeinsam Widerstand leisten. Und eine tiefe Verbundenheit mit diesem queeren Hexenkessel. Der wird nicht kleiner. Nein, mit jedem verzweifelten Faustschlag der Polizei, müssen wir stärker werden, mit jeder noch so willkürlichen Regel, die uns zum Schweigen bringen soll, lauter, mit jedem erbärmlichen Versuch uns zu isolieren, solidarischer, und mit jeder gewaltsamen Demo-Auflösung organisieren wir uns neu. In dem Sinne: Whose Streets? Our Streets!
Folge uns auf Instagram
#Polizeigewalt#Meinung#Erfahrungsbericht#Tag gegen Polizeigewalt#Rassismus#Demonstration#Polizei#Feministischer Kampftag