Pilze, Trolle und Gabber-Techno: Björk im Interview
Vor kurzem meldete sich Björk mit ihrem neuen Album „Fossora“ zurück. SIEGESSÄULE traf die isländische Musikerin zum Interview und sprachen mit ihr u. a. über Pilz-Wesen, „Troll-Gabba" und ihre verstorbene Mutter Hildur
Björk, verrätst du uns, was es mit „Fossora“, Lateinisch für „die Grabende“, auf sich hat? Wonach gräbst oder suchst du?
Nach dem, wonach sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten gesucht haben: Wir waren alle in Quarantäne und haben uns in unseren Löchern verkrochen, wo wir richtige Nester errichtet haben. Dabei haben wir Wurzeln geschlagen, die tief ins Erdreich vorgedrungen sind. Sprich: wir sind zu menschlichen Pilzen geworden.
Deshalb das Artwork: Du als Pilz-Wesen in einer unterirdischen Märchenwelt?
Ja, wir haben ein Set entwickelt, das aussieht, als ob ich tief unter der Erde wäre. Insofern auch ein dunkles Grün und Rot – weil das Erdfarben sind. Dazu die digitalen Wurzeln, die für all die Musik stehen, die ich in der Zeit entdeckt habe. Ich muss sagen, dass ich die Pandemie eigentlich als sehr fruchtbar und inspirierend empfunden habe. Als Zeit voller Hoffnung auf gravierende Veränderungen – gesellschaftlich und sozial. Auf ein engeres Zusammenrücken. Da dient das Cover als visueller Shortcut zum Album: Wenn man alles fotografieren könnte, was man da hört, käme man auf genau diese Visuals. Ich versuche, den Klang in eine Bildsprache umzusetzen.
Das dominierende Instrument auf „Fossora“ ist eine Bassklarinette, die du eher unkonventionell einsetzt – etwa so, wie es Public Enemy tun würden …
Ganz genau … (lacht) Es war ein großer Spaß, damit herumzuspielen. Wobei ich ähnlich vorgegangen bin wie bei den Bläsern auf „Volta“ oder den Flöten auf „Utopia“ – ich habe versucht, so viele verschiedene Dinge wie möglich zu machen, um einen ruhigen, einen betont fröhlichen und einen extrem traurigen Song zu erhalten. „Atopos“ war der schnellste und rhythmischste Track. Dann habe ich noch das langsame, melancholische „Victimhood“ hinzugefügt und ein paar Uptempo-Nummern wie „Fungal City“. Ich war also ziemlich begeistert von diesem neuen Spielzeug und habe alles Mögliche probiert, um zu sehen, wie weit ich damit gehen kann. Es war eine spannende, experimentelle Phase, und nach und nach habe ich erkannt, was funktioniert und was nicht. Also welche Farben sich damit erzeugen lassen.
„Vielleicht ist es das Raue, Kantige daran, das ich liebe.“
Gleichzeitig weist das Album einen starken Techno-Vibe auf – im Sinne von monotonem, harschem Gabber der frühen 90er. Wieso greifst du ausgerechnet diese Spielart auf?
Weil ich das während der Pandemie gehört habe. Ich habe Techno-Abende in meinem Wohnzimmer veranstaltet, wo etwa 20 Leute erschienen sind, aber auch in Clubs in Reykjavík aufgelegt.Einfach, weil die Bestimmungen in Island sehr lax waren und wir weniger Probleme mit Covid hatten als andere Länder. Jedes Mal, wenn ich diesen lauten, harten Techno aufgelegt habe, sind die Leute geradezu ausgerastet – da waren alle auf der Tanzfläche und hatten einen Heidenspaß; genau wie ich. Vielleicht ist es das Raue, Kantige daran, das ich liebe. Eben die Idee, es einfach mal ins Extrem zu führen und sich von der technischen Perfektion zu entfernen, für die ich sonst stehe. Es hat ein bisschen was davon, das Saubere, Aufgeräumte hinter sich zu lassen und seine Messie-Seite auszuleben. Was auch seinen Reiz hat …
„... dann will ich rumhüpfen, die Fäuste zur Decke strecken und eine kathartische Befreiung spüren.“
Und das Ergebnis ist „organischer Techno“ oder „Troll-Gabba“, um einen Songtitel zu zitieren?
Das sind Ausdrücke, die ich verwendet habe, um den Musikern, mit denen ich gearbeitet habe, zu verdeutlichen, in welche Richtung das Ganze gehen soll. Und, ja, wenn ich diese Art von Musik höre, verwandle ich mich tatsächlich in einen Troll – dann will ich rumhüpfen, die Fäuste zur Decke strecken und eine kathartische Befreiung spüren. Ich halte es für wichtig, regelmäßig zu tanzen – bis ins hohe Alter.
Mindestens drei Songs auf dem Album – „Sorrowful Soil“, „Ancestress“ und „Her Mother‘s House“ – sind eine Hommage an deine verstorbene Mutter Hildur, eine bekannte isländische Aktivistin. Würdest du sie als Vorbild bezeichnen?
Ich weiß nicht mehr, welcher Dichter gesagt hat: „Keines meiner Gedichte handelt von meiner Mutter – aber alle sind von ihr geprägt.“ Und ich könnte endlos über sie reden. Sie war kein Vorbild im Sinne der klassischen Hausfrau, die ihre Erfüllung in der Küche gesucht hat – sondern eher dahingehend, das Patriarchat zu verlassen. Sie hat eine Kommune mit ziemlich wilden Charakteren gegründet, ein kleines Haus außerhalb von Reykjavík gemietet, und bei schlechtem Wetter hat es so reingeregnet, dass wir in der Nacht aufstehen mussten, um die Wassereimer zu leeren. Es klingt zwar nicht so, als ob es eine glückliche, freie Zeit gewesen wäre, aber die war es. Dafür bin ich ihr dankbar – und ich habe mich immer bemüht, ihren Ansätzen und Ideen zu folgen.
„Ich appelliere an die Eigeninitiative und Selbstverantwortung der Menschen – sie sollen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen”
Inwiefern?
In der Art, wie ich meine eigenen Kinder erzogen habe – ich habe ihnen schon früh beigebracht, dass Konsum nicht alles im Leben ist – dass man auch etwas zurückgeben muss. Sei es der Natur, derer man sich tagtäglich bedient, oder der Gemeinschaft, in der man lebt. Man darf nicht nur fordern und nehmen, man muss auch geben, einander helfen und unterstützen, wo man nur kann. Man muss etwas für die Dinge tun, die einem wichtig sind, wie Umwelt- und Tierschutz. Deshalb bin ich da seit über 25 Jahren aktiv – ich sage, was mich stört, und engagiere mich in Umweltfragen, für die LGBT-Community, die mir ebenfalls sehr wichtig ist, und für die Kulturszene in Island. Aber: Ich unterstütze keine Partei und keine Politiker. Ich appelliere an die Eigeninitiative und Selbstverantwortung der Menschen – sie sollen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und Entscheidungen treffen, die nicht durch die Parteibrille verfälscht werden. Denn Kompromisse sind gut und schön – aber nicht, wenn man wirklich etwas ändern will.
In den letzten 15 Jahren hast du weniger Gewicht auf starke Singles wie „Army Of Me“, „Hyperballad“ oder „Violently Happy” gelegt als auf konzeptionelle Alben bzw. Klangkunst. Wie kommt‘s?
Das habe ich eigentlich schon immer versucht – seit ich ein Teenager war und in Punkbands gespielt habe. Das ist mein DIY-Background, und deshalb habe ich mich immer dagegen gewehrt, meine Seele an einen multinationalen Großkonzern zu verkaufen. Als Musiker musst du das nicht. Wenn du die Rechte an deinen Songs hast und die kreative Kontrolle über alles besitzt, was du veröffentlichst, kannst du damit bis an dein Lebensende weitermachen. Genau das tue ich. Und wenn es viele Leute mögen – toll. Aber ich bin mir bewusst, dass das eines Tages nachlassen könnte. Trotzdem würde ich immer mit der Musik weitermachen. Es geht mir da nicht ums Geld, sondern um kreative Befriedigung – um Selbstverwirklichung. Insofern mache ich das Gleiche wie als Teenager – und das ist ein gutes Geschäftsmodell, weil ich es wohl anwenden kann bis ich 85 bin. Selbst, wenn dann nur noch zwei Leute zuhören. (lacht)
„Alles, was für mich zählt, ist etwas zu schaffen, auf das ich stolz sein kann.“
Also vermisst du den großen, kommerziellen Erfolg nicht?
Nein, und ich denke, meine Musik hat sich auch nie verändert. Als ich meinem Londoner Label „Debut“ vorgestellt habe, meinten sie: „Das ist ziemlich durchgeknallt – und verkauft bestimmt nur ein Drittel von dem, was die Sugarcubes umgesetzt haben.“ Darauf ich: „Das ist o. k. Damit habe ich kein Problem.“ Von daher habe ich nie versucht, wer weiß wie populär zu sein. Ich schätze, ich habe schon früh erkannt, dass mir das nicht wichtig ist. Alles, was für mich zählt, ist etwas zu schaffen, auf das ich stolz sein kann.
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