Tanz im August 2024

Performance über Exotisierung: „Exótica“

9. Aug. 2024 Carsten Bauhaus
Bild: Tammo Walter
Exótica ist eine Würdigung der Vergessenen und die koloniale Theatergeschichte.

Beim „Tanz im August“ lässt Amanda Piña mit „Exótica“ vier Tänzer*innen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wiederaufleben. Im Interview erzählt sie über deren ungewöhnliche Karrieren – und warum sie trotz großer Erfolge schließlich vergessen wurden

Unter den vier vergessenen Tänzer*innen, die Sie auf der Bühne wiederaufleben lassen, befinden sich auch zwei queere Persönlichkeiten. Was weiß man über ihr Leben? François „Féral“ Benga stammt aus dem Senegal und wurde in Paris nicht nur zum Star bei den Folies Bergère, sondern auch zu einer schwulen Ikone seiner Zeit. Er war Künstler und Intellektueller und wollte eigentlich Kunst machen, die weniger mit seiner Identität zu tun hat – was für Schwarze damals allerdings schwierig war. Während des Zweiten Weltkrieges musste er sich jahrelang in einem Keller verstecken. Dass er einen Körper hatte, der zurückgewiesen und verfolgt wurde, hat ihn schließlich zerbrochen.

Warum geht man auch bei Leïla Bedir Khan von einer lesbischen Identität aus? In Wien, wo sie geboren wurde, gehörte sie zur österreichischen Avantgarde. Während der Nazizeit war sie eine wichtige Figur der queeren Community und hat sich für das Überleben vieler schwuler und lesbischer Künstler*innen eingesetzt. Leïla Bedir Khan war tatsächlich die Tochter eines kurdischen Khans und wurde als „orientalische Prinzessin“ bekannt. Aber in den Filmaufnahmen, die erhalten sind, sieht man auch, wie zeitgenössisch ihre Performances anmuten – was übrigens für alle diese Tänzer*innen gilt.

Bild: Tammo Walter
Die Performance lässt von einer Kunstwelt träumen, in der alle Künstler*innen Platz einnehmen können.

Stimmt es, dass Sie zu einer der Tänzer*innen einen familiären Bezug haben? Clemencia Piña, genannt „La Sarabia“, wurde wie ich in Mexiko geboren und ist tatsächlich die Großtante meines Vaters. Mit ihrer Mutter zog sie nach Paris, studierte Ballett und spezialisierte sich auf spanische Tänze – was damals in Europa als exotisch galt. Sie war sehr erfolgreich und trat auch am Hof des russischen Zaren auf. Als ich meine Karriere als Tänzerin und Choreografin in Europa begann, verglichen mich meine Tanten immer wieder mit ihr.

War der familiäre Bezug auch der Anlass für das Stück? Nein, zunächst gar nicht! Nicole Haitzinger von der Universität Salzburg arbeitet daran, die Tanzhistorie neu zu schreiben, und ist dabei auf Nyota Inyoka gestoßen, die als „asiatische Perle“ bekannt wurde. Als wir zusammen an der Bibliothèque Nationale de France zu Inyoka recherchierten, habe ich zu meinem Erstaunen festgestellt, dass es dort sehr viel Material zu „La Sarabia“ gibt. Dabei hatte ich immer gedacht, es sei nur eine Art Familienmythos. Das war natürlich sehr berührend und hat mich zum Nachdenken angeregt, was es bedeutete für sie – oder auch für mich heute –, als mexikanische Künstlerin in Europa zu arbeiten.

„Dieser Exotismus hat natürlich mit dem weißen Blick zu tun. Es ist eine bestimmte Erwartung in der Begegnung mit dem anderen.“

Aus heutiger Sicht wird der Wunsch des damaligen Publikums nach herausgestelltem Exotismus stark kritisiert. Wie sind die Künstler*innen selbst damals dem Zeitgeschmack begegnet? Dieser Exotismus hat natürlich mit dem weißen Blick zu tun. Es ist eine bestimmte Erwartung in der Begegnung mit dem anderen, ein stark monokulturelles Denkmuster. Die Künstler*innen hatten nicht die Option, das komplett zu ignorieren, und mussten mit diesen Erwartungen spielen. So mussten sie auf einem schmalen Grat wandeln – zwischen der Erfüllung der Publikumserwartung und den Dingen, die sie eigentlich machen wollten. Innerhalb des Exotismus schafften sie es, eigene Sichtbarkeit zu kreieren.

All diese Künstler*innen sind trotz der großen Erfolge, die sie damals feiern konnten, in Vergessenheit geraten. Woran liegt das? Nach ihrem Karriereende hat einfach niemand mehr über sie geschrieben. Ich denke, Weiße schreiben einfach über weiße Künstler*innen. So gehören beispielsweise die weißen „Ballets Russes“ heute zum institutionalisierten Kanon, die Künstler*innen von „Exótica “ aber nicht.

Anders als Josephine Baker, die heute noch alle kennen. Was hat sie anders gemacht? Ihre brillante Strategie war es, mit den Klischees zu spielen. Indem sie sich darüber lustig gemacht hat, konnte sie selbst die verletzenden Aspekte des Rassismus offen thematisieren – wie etwa mit dem berühmten Bananenrock.

SIEGESSÄULE präsentiert: Exótica – On the Brown history of European dance
30.08., 19:00, 31.08., 21:00
HAU1

Tanz im August
15.–31.08.
HAU1, HAU2 und diverse Locations
tanzimaugust.de

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