Ohne feste Bleibe: Hilfe für wohnungslose Queers
Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts waren im Januar dieses Jahres rund 26.000 Menschen in Berlin wohnungslos, die 2.000 Obdachlosen nicht inbegriffen. Unter ihnen auch etliche LGBTIQ*. Doch gibt es Einrichtungen, die sich an die Bedürfnisse queerer Wohnungs- und Obdachloser richten? Ein Besuch im Projekt „Neustart“ in Pankow und in der 24/7-Frauennotunterkunft im Happy Bed Hostel am Halleschen Ufer
Gleich zu Beginn: Wohnungslosigkeit ist nicht gleich Obdachlosigkeit. Als wohnungslos wurde erfasst, wer zum Stichtag am 31. Januar 2022 in Räumen lebte oder Übernachtungsmöglichkeiten nutzte, die von Gemeinden oder mit Kostenerstattung durch andere Träger von Sozialleistungen zur Verfügung gestellt wurden. Menschen, die auf der Straße leben, wurden bis dato nicht erfasst. Um dies zu ändern, fand unter dem Namen „Nacht der Solidarität“ am 29. Januar 2020 in Berlin Deutschlands erste Zählung und Befragung obdachloser Menschen statt, die von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales durchgeführt und mithilfe zahlreicher ehrenamtlicher Helfer*innen ermöglicht wurde. Die Zahl, dass es in Berlin rund 2.000 obdachlose Menschen gäbe, stammt aus dieser Zählung.
Wohnungslosigkeit stellt insbesondere Queers vor besondere Herausforderungen. Das weiß Kaya (22) aus eigener Erfahrung. Kaya ist ein trans Mann aus einer türkischstämmigen Familie und ist seit anderthalb Jahren auf der Suche nach einer dauerhaften Bleibe. „Ich wurde durch meinen Bruder zwangsgeoutet, meine Familie ist recht konservativ, sie schmissen mich raus.“ Kaya durchläuft gerade den Transitionsprozess. Letztes Jahr brach er seine Ausbildung ab. Er konnte einfach nicht mehr. „Ich habe dann Couchsurfing gemacht, war erst in einer Krisenwohnung und habe dann die queere WG von Neustart entdeckt.“
Projekt Neustart richtet sich an Wohnungslose
Das Projekt Neustart, zu dem auch Kayas queere Wohngruppe gehört, richtet sich an Wohnungslose und wird vom Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) betrieben. Die drei Standorte des Projekts befinden sich in Tempelhof, Reinickendorf und Pankow, wobei letztere jeweils eine queere WG beherbegen.
„Ich habe mich bereits auf 100 Wohnungen beworben, ohne Erfolg."
Kaya ist in Pankow untergekommen. „Momentan bin ich der Einzige in der WG, was sich hoffentlich bald ändert, ich mag den Austausch mit anderen, ich brauche auch Leute um mich herum, die mir mal in den Hintern treten“, sagt er. Durch sein Transsein und seinen türkischen Nachnamen habe er große Probleme, auf dem angespannten Berliner Mietmarkt etwas zu finden. „Ich habe mich bereits auf 100 Wohnungen beworben, ohne Erfolg. Das ist also ganz offensichtlich eine lange Suche, die ich noch vor mir habe.“
Kayas Geschichte ist durchaus typisch, erzählt die Sozialarbeiterin Christin Schwendy, die Kayas WG und noch 13 weitere Wohnungslose am Standort Pankow betreut. „Queere Menschen haben oftmals noch mal eine gesonderte Problematik, weil sie auf dem Wohnungsmarkt oder in anderen Bereichen diskriminiert werden“, erklärt Schwendy.
Wer kann das Angebot wahrnehmen?
Um in das Pankower Haus einziehen zu können, müssen verschiedene Kriterien erfüllt sein: „Da muss schon mehr dazu kommen, als nur wohnungslos zu sein, etwa ein negativer Schufa-Eintrag, psychische Probleme, Gewalterfahrungen, solche Umstände“, sagt Schwendy.
Hintergrund dieser Regelung ist der Paragraf 67 im Sozialgesetzbuch, auf dessen Grundlage die Angebote laufen. Darin heißt es: „Leistungsberechtigte sind Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind.“ In diesen Fällen sind „Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu erbringen“, wenn die Personen „aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind“. Das führe, wenn etwa Personen anriefen, die dringend eine Wohnung suchten und dann weiterverwiesen werden müssten, schon mal zu Enttäuschungen, erzählt Schwendy.
Hilfe für von Obdachlosigkeit bedrohte Frauen
Eine Einrichtung, die sich explizit an wohnungslose und akut von Obdachlosigkeit bedrohte Frauen richtet und in der auch trans* Frauen willkommen sind, befindet sich im Happy Bed Hostel am Halleschen Ufer. Das Haus wird von der Stiftung zur Förderung sozialer Dienste Berlin (FSB) betrieben, ist die einzige 24/7-Frauennotunterkunft in Berlin und bietet insgesamt 50 Einzelzimmer mit eigenem Sanitärbereich.
Katharina Loos, Projektleiterin bei der FSB, betont, dass alle Frauen, die ins Projekt kommen, aufgenommen werden und zwar anonym und kostenlos: „Wir sind ein niedrigschwelliges Angebot, das heißt, alle Personen ohne Dach über dem Kopf oder in ‚unzumutbaren Wohnverhältnissen‘, etwa in Gewaltverhältnissen, können aufgenommen werden.“ Die Frauen, die hier übernachteten, kämen von überall her. „Es sind Berlinerinnen und Frauen aus der ganzen Welt jeden Alters.“
Gestiegene Mietpreise
Ein großes Thema in der Sozialberatung seien natürlich die gestiegenen Mietpreise: „Es ist schwierig, Sozialwohnungen oder anderen günstigen Wohnraum in Berlin zu finden, da die Frauen mit vielen anderen Wohnungssuchenden konkurrieren. Die Beantragung eines M-Scheins im sogenannten geschützten Marktsegment ist auch nicht so einfach.“ Trans Frauen können hier zwar übernachten, aber über spezifische Beratungsangebote für trans Frauen verfüge die Einrichtung nicht. Stattdessen würden sie an geeignete Beratungsstellen wie spezialisierte Wohngruppen oder Unterkünfte weiterverwiesen.
Die meisten wohnunglosen Frauen sind psychisch stark belastet und die Schwierigkeit sei, dass es für sie im Hilfesystem meist keine passenden Wohnformen mit Beratungsangebot gäbe. „Wohnformen mit therapeutischem Angebot setzen beispielsweise eine Krankheitseinsicht voraus. Bei stark chronifiziertem psychotischen Erleben sei es aber Teil des Krankheitsbildes, genau diesem zu widersprechen – denn die erlebte Realität sage, ‚ich bin nicht psychotisch‘“, erklärt Loos die Problematik.
„Viele der Frauen mit psychischen Schwierigkeiten entscheiden sich auch bewusst gegen das psychologische und psychiatrische Versorgungssystem, weil sie dort sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben. Eine Einweisung nach dem Psychisch-Kranken-Gesetz aufgrund Eigen-oder Fremdgefährdung kann traumatisierend sein. Infolgedessen werden manchmal jegliche Angebote des psychiatrischen Versorgungssystems abgelehnt.“ Dennoch sei die 24/7-Notübernachtung „ein sehr guter Ort, zur Ruhe zu kommen und, wenn gewünscht, Unterstützung zu bekommen“.
Es ist anzunehmen, dass sich die Situation der Obdach- und Wohnungslosen durch die Energiekrise noch verschärfen wird. Hinzu kommt, dass einige der Projekte nur begrenzt finanziert sind. So ist das Projekt am Halleschen Ufer eines von zwei Modellprojekten, die im Winter 2021 mithilfe von EU-Mitteln zur Corona-Wohnungslosenhilfe ins Leben gerufen wurden und Ende 2023 auslaufen.
Projekt Neustart des Humanistischen Verbands Deutschland:
24/7-Notunterkunft für wohnungslose Frauen:
fsd-stiftung.de/wohnungslose-menschen
Projekt Nacht der Solidarität (umbenannt in „Zeit der Solidarität“):
Folge uns auf Instagram
#queer#Wohnungslosigkeit#obdachlos