Nur nicht kleinkariert: Lesbische Mode
Lesben haben den schlechten Ruf, „Modemuffel“ zu sein – sogar in der LGBTIQ*-Community. Aber es gibt Lesbenmode und sie ist viel mehr als Funktionskleidung und Birkenstocks! Lesben durchbrechen mit Mode Geschlechternormen, kreieren eigene Kleidercodes, inspiriert aus der Punk- und BDSM-Szene. Ein historischer Überblick von Lara Hansen
Das Wort Mode wird traditionell eher selten in der lesbischen Community verortet. Ein Sprung in die Vergangenheit und ein gegenwärtiger Blick auf diverse FLINTA*-Räume zeigen jedoch, dass sich schon immer eine queere Ästhetik abseits des mit „High Fashion“ assoziierten cis-schwulen Mainstreams manifestiert hat – und diese ist mindestens so vielschichtig wie das queere Spektrum selbst. Doch ob Punk, Fetischstil, das vom Landleben inspirierte „Cottagecore“ oder der 2000er-Revival-Trend „Y2K“ – alle Stile vereint der Wunsch, sich innerhalb der Community sichtbar zu machen.
Mode wird zu einem subtilen Zuzwinkern, das einem Großteil der heteronormativen Gesellschaft entgeht und dadurch weiterhin einen gewissen Schutz- und Identitätsfaktor bewahrt. Historisch betrachtet konnten sich so etwa Butches und Femmes durch einige „Kleidercodes“ queere Signale schicken und gleichzeitig in einer queerfeindlichen Gesellschaft in Deckung bleiben. Der Griff zu stereotypisch und szenespezifischer „lesbischer“ Kleidung ist daher oft ein Symbol der Zugehörigkeit und hat eine lange Geschichte. Aber was bedeutet es eigentlich, sich lesbisch-queer zu kleiden?
Butch als Stilikone
Butches sind die Avantgardist*innen der genderneutralen Kleidung abseits patriarchaler Modenormen. In den 1940er-Jahren noch als Beschimpfung für „nicht feminine“ Frauen benutzt, etablierte sich der Begriff der „Butch“ in den 1950ern in der Szene in New York und San Francisco zur stolzen Identitätsform maskulin-präsentierender Lesben. Ob in Lederjacken, Combat Boots und Cargo-Pants mit Schlüsselketten oder im schicken Anzug mit Hosenträgern – Butches spielen mit Androgynität und Maskulinität in ihrem Auftreten und stechen in einer Gesellschaft, die immer noch auf binären Geschlechterrollen beharrt, bis zum heutigen Tag rebellisch hervor. Die maskulin gelesene Kleidung als klare Abweisung des männlich-heterosexuellen Blicks stößt vor allem cis Männern sauer auf. Die Angst: Die selbstbewusste Maskulinität einer weiblich gelesenen Person könnte ihnen die eigene Männlichkeit absprechen.
In den 1920er- und 30er-Jahren entstand in Europa, vor allem in Berlin und Paris, die Vorläuferin der Butch: Kesser Vater, Bubi oder in Frankreich Garçonne genannt. Ein hartnäckiges Vorurteil ist nach wie vor, dass Butches „Modemuffel“ wären oder sich nicht um ihr Aussehen scherten – nur weil sie sich nicht der femininen Schönheitsnorm hingeben. „Schluss damit“, sagt Til Fox gegenüber SIEGESSÄULE, die*der dieses Jahr zum zweiten Mal den Butch*Walk im SO36 in Berlin organisiert. „Wir wollen queere Fashion, insbesondere die Butch, auf den Laufsteg bringen“, so Til. „Wir zeigen: Butch ist heiß.“
In ihrer Form ist die Modenschau in Deutschland einzigartig. Noch nie zuvor stand die Butch als Stilikone im Rampenlicht, und nicht etwa aus mangelndem Interesse. Die Veranstaltung war im vergangenen Jahr schnell ausverkauft und Fans bettelten noch vor der Tür um Tickets.
Eine Reaktion, mit der Til nicht gerechnet hatte und die sie*ihn zutiefst berührte. Denn die Motivation für den Butch*Walk kam vom Herzen. Schon im zarten Alter von fünf Jahren rannte die*der gebürtige Berliner*in mit Hosenträgern durch den Kiez. Ihre*seine damalige Lieblingskindergärtnerin brachte Til den ersten Krawattenknoten bei – für Klein Til ein Mode-Meilenstein. „Ich war schon immer ein Tomboy. Das ist mein Stil.“
Aufgrund der schlanken Figur wurde Til in Teenagerjahren das Modeln nahegelegt. „Ich dachte, dann müsste ich ja Frauenkleider tragen – das geht nicht!“ Und damit hatte sich das Thema erst einmal erledigt. Aber das Interesse an geschlechtsneutraler Mode war durch die fehlende Repräsentation jetzt erst recht weiter entfacht. „Kleidung hat kein Geschlecht. Alle tragen, was sie lieben. Und jeder Körper ist anders“, so Til. Eine Einstellung zur Mode, die Til mit Modedesigner*in und Kostümbildner*in Carsta Köhler teilt.
„Mode ist für mich Ausdruck von Individualität – und ein politisches Statement. Das Ziel ist, dass wir die Gesellschaft durch sie offener machen“, so Carsta. Je mehr Menschen es gebe, die solche vermeintlich binären Kleidungsstücke subversiv verwenden und dadurch normierte Geschlechterrollen infrage stellen, desto vielfältiger werde es.
Das Duo aus Carsta und Til gründete während der Pandemie gemeinsam das Kollektiv 100prozentdivers, das sich unter anderem für einen besseren Zugang zu nicht binärer und queerer Mode einsetzt. Aus dem Projekt kam auch der Impuls für den ersten Butch*Walk, den sie 2022 gemeinsam organisierten. Für beide war selbstverständlich, dass die Butch im Mittelpunkt stehen würde. „Der Butch-Faktor der Stadt gehört auf die Bühne“, so Til. „Ich möchte mit dieser Fashion Show inspirieren. Die Butch zeigt, dass Mode kein Geschlecht hat.“
„Der Butch-Faktor der Stadt gehört auf die Bühne!“
Mittlerweile gehen Carsta und Til getrennte Wege, doch Carsta organisiert mit „100prozentdivers“ ab Herbst 2023 „Dyke-Styling-Workshops“ für FLINTA*, in Kooperation mit Lesbisch*.Sichtbar.Berlin – einer intersektional arbeitenden Initiative, die sich für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt einsetzt. Dabei möchte Carsta interessierten FLINTA* helfen, die richtigen Anlaufstellen, aber auch den persönlichen Stil abseits von Gendernormen zu erforschen.
Funktionskleidung versus Lederjacke
Was der Modeexpert*in Carsta zufolge in jeden Butch-Kleiderschrank gehört? „Ein gutes Flanell- oder Cargohemd natürlich. Eine gute Jeans. Und eine gute Lederjacke sollte jede Butch im Schrank haben. Leder hält ewig!“
Viele dieser Modestücke, etwa Cargohosen und -hemden haben ihren Ursprung in der Funktionskleidung – sie sollen passend am Körper sitzen und dennoch genug Bewegungsfreiheit erlauben. Auch Flanell, häufig aus Baumwolle oder Wolle, schmiegt sich angenehm an den Körper.
Die Lederjacke, etwas schwerer auf den Schultern, verleiht dagegen den lässigen Look. In der lesbischen Geschichte hat sie eine besondere Bedeutung: Leder wurde traditionell mit S/M-Lesben assoziiert und vom lesbisch-feministischen Mainstream der 1980er-Jahre abgewiesen, wie die britische Kleiderhistorikerin Eleanor Medhurst auf ihrem Blog Dressing Dykes schreibt. S/M, ein Akronym für Sadomaso, denunzierten die „Feministinnen“ als Beitrag zur Unterwerfung der Frau und positionierten sich vehement gegen alles, was mit der Szene zusammenhing.
Androgyne Uniform
Die Frauenbewegung der 1980er-Jahre hatte eine andere Modevision für Lesben: eine „androgyne Uniform“, auch bekannt als „Dyke Uniform“, bestehend aus Jeans, Button-Down-Hemden, Arbeitsstiefeln und in Deutschland insbesondere Birkenstocks. Ungern gesehen: Make-up, BHs und auch lange Haare. Die Kleidung sollte das politische Ziel einer Gesellschaft ohne Geschlechterunterschiede verkörpern.
Der damalige lesbische Feminismus – vor allem in den USA und Großbritannien – wurde oft dominiert von weißen Frauen aus der Mittelschicht und grenzte dabei viele marginalisierte Identitäten innerhalb der Community aus. Darunter waren Schwarze Lesben und Lesben of Color, Butches und Femmes (insbesondere deren Beziehungen zueinander), Sexarbeiter*innen und trans Frauen. Die Ausgrenzung manifestierte sich etwa an der Türpolitik einiger Lesbenbars.
„Die lesbische Punkszene in den 1980er-Jahren hat so viele Räume für uns geschaffen. Das verdient Anerkennung.“
Als Reaktion darauf entwickelten sich mehrere alternative Kleidungsstile, wie etwa eine „Roots“-Stilbewegung von Schwarzen Lesben in den 80ern in Großbritannien. Laut einem Artikel von Inge Blackman und Kathryn Perry („Skirting the Issue: Lesbian Fashion in the 1990s“) sowie Eleanors Recherchen, gehörten zu dem Stil unter anderem Bandanas auf dem Kopf, westafrikanische Dashikis, indische Saris, Punjabi-Anzüge, asiatischer und afrikanischer Schmuck, Dreadlocks und natürliches Afrohaar, gepaart mit westlichen Accessoires. Eine Ästhetik, welche die Komplexität, als Schwarze, lesbische Frau in der Gesellschaft zu leben, widerspiegeln sollte.
Auch Lesben aus der S/M-Szene waren vielen selbst ernannten „Feministinnen“ ein Dorn im Auge und die Lederjacke war daher eine Provokation. Doch die lesbische Punkszene der 1980er-Jahre in London setzte sich dem rebellisch entgegen und machte die Lederjacke – personalisiert mit Stickern und Badges – zum politisch-queeren Statement in Solidarität mit der S/M-Szene. „Die lesbische Punkszene in den 1980er-Jahren hat so viele Räume für uns geschaffen. Das verdient Anerkennung“, schreibt Eleanor.
Punk versus Öko-Look
Über die westlich-geprägte lesbische Kultur und Ästhetik zu reden, ohne San Francisco zu erwähnen, ist gar unmöglich. Inspiriert von der Londoner Punk-Szene, hat die US-Künstlerin Chloe Sherman die Subkultur rund um Femmes, Butches, Studs (Schwarze Butches und Butches of Color) und Punks im San Francisco der 90er-Jahre in Fotos festgehalten. Die Zeitzeugnisse queer-feministischer Punk- und Subkultur gibt es aktuell in der Ausstellung „Renegades. San Francisco: Queer Life in the 1990s“ im f3 – freiraum für fotografie zu sehen. Unter anderem aufgrund günstiger Mieten zog es damals allerhand queere Menschen, Außenseiter*innen, Punks und Künstler*innen in die Stadt, um mit Gender, Sexualität, Identität und Kunst zu experimentieren – das spiegelte sich auch im Kleidungsstil wider.
„Der Dyke-Style der 90er-Jahre in San Francisco war vom Punk inspiriert und in seiner Form ziemlich einzigartig“, so Anna Joy, queer-feministische Autorin, Professorin und ehemalige Punksängerin in der Bay Area. Der Stil sei nicht repräsentativ gewesen für die 90er im Rest der USA, wo Unisex-Kleidung und „unauffälliger Therapeuten-Glam aus Naturfasern“ – ein schicker Öko-Look aus New York – im Trend lagen. „Und wie immer rockten bisexuelle Frauen überall einen mit Rüschen verzierten Second-Hand-Goth-Look“, erzählt Anna Joy gegenüber SIEGESSÄULE.
Sie ist selbst Teil der Ausstellung, hat die Zeit hautnah miterlebt und aktiv mitgestaltet. Wie der dezidierte Dyke-Stil in San Francisco laut der Femme-Punk-Ikone unter anderem aussehen konnte? „Enge schwarze Band-T-Shirts, dazu Harnesse“, Seidenstoffe, die mit handgemachtem Styling „aufgeraut“ und „mit zerrissenen Netzstrümpfen und verlaufendem Make-up ironisch feminisiert“ wurden. Piercings, „Damenbärte“ und „glitzernde Nippelhaare“ waren ebenso beliebt. Inspiration aus der schwulen S/M-Lederszene gab den Outfits wiederum einen maskulinen Touch.
Wer sich einmal in Berlin umschaut, sieht deutlich die Spuren, welche die queere Punk- und Kunstszene der 90er- und 00er- Jahre insbesondere im Femme-Spektrum hinterlassen hat. Enge, kurze T-Shirts und Mikroröcke à la Y2K, extraweite Jeanshosen, überdimensionale Ohrringe oder bunte, selbst genähte Anglerhüte aus Baumwolle, auch bekannt als „Bucket Hats“. Experimentierfreudig wird mit Farben gespielt, ob dabei die Augenbrauen gebleicht werden oder der Lidstrich extravagant lila gezogen wird – das Gesicht als künstlerische Spielwiese.
High Femme und Dyke Camp
Auf einigen von Chloes Fotos erkennt Anna Joy Elemente eine Art „Dyke Camp“. Darunter versteht sie eine „Ästhetik, die sowohl schwach als auch stark, sowohl verführerisch als auch abstoßend, sowohl maskiert als auch überzogen“ sein kann.
Dyke Camp umfasse für sie „nicht nur die schicken Butches mit Krawatten, Filzhüten und manchmal auch mit Federboas“, sondern insbesondere auch „die High-Femme-Dykes“ aus Chloes Dokumentation. Von einer Art subtilen Sichtbarkeit schreibt auch die Kleiderhistorikerin Eleanor – obgleich sie zumindest ästhetisch dabei eine andere Stilrichtung als Beispiel nimmt. Ihrer Meinung nach zählen etwa festes Schuhwerk, Doc Martens, und Wanderschuhe zu Dyke Camp, weil sie „die Liebe zum Ultranatürlichen“, zur Kleidung „als Erweiterung des Körpers“ darstellen, in den Worten der australischen Autorin Mikaella Clements: „Dyke Camp macht private lesbische Gesten öffentlich für andere Frauen. Hier geht es weniger darum, einen heißen Körper zu haben, sondern vielmehr darum, zu wissen, wie man ihn benutzt“, erklärt Mikaella Clements weiter in ihrem Essay „Notes on Dyke Camp“. Daher rühre auch eine gewisse erotische, lesbische Faszination für Hände als das Symbol für lesbischen Sex schlechthin – nicht umsonst muten große silberne Daumenringe, Karabinerhaken, und Ringe an mehr als einem Finger (je mehr, desto besser) lesbisch an.
Mode als lebendige Sprache
Seit einiger Zeit wird sich androgyne lesbische Mode auch von der Modeindustrie angeeignet, siehe etwa den Artikel der Boulevardzeitung New York Post, in welchem „sich wie eine Lesbe anzuziehen“ als „sexy und mächtiger“ Modetrend angepriesen wurde. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Dyke-Ästhetik in Stereotypisierung verwelkt. Mit jedem symbolischen Kleidungsstück knüpfen Lesben weiterhin an das Erbe an – es geht schließlich nicht nur darum, was getragen wird, sondern wie es getragen wird. Und mit jedem neuen queeren Impuls, jedem neuen Trend in der Community, entwickeln sich gleichzeitig neue Symbole. „Die Sprache der lesbischen Mode ist lebendig und schreibt mit jedem getragenen Outfit weiter Geschichte“, so Eleanor auf ihrem Blog.
Auch beim Butch*Walk werden daher gerne alte Klischees hochgefahren. Die Models imponierten vergangenes Jahr in schicken Anzügen und bunten Holzfällerhemden. Dieses Jahr geht es passenderweise um Overalls vs. Lederjacken – Letztere repräsentativ als das symbolträchtigste Kleidungsstück schlechthin. Til ruft passend dazu zum Zusammenhalt gegen Butch-Feindlichkeit und gegen exkludierenden „Feminismus“ auf: „Wir können uns nicht untereinander abspalten. Wir können es uns gar nicht leisten, andere auszuschließen in der Community.“
Butch*Walk Berlin 2023,
27. August, 19:00 Uhr, SO36
butchwalk.com
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