Young Euro Classic: Noah Stakenborg im Interview

Nicht binär in der Klassikwelt: „Nur wenige kennen den Begriff"

18. Aug. 2023 Kevin Clarke
Bild: Studio Airpot

Bis zum 27. August findet in Berlin wieder das Festival Young Euro Classic statt. Es steht unter dem Motto: „Hier spielt die Zukunft“. Junge Orchester aus aller Welt stellen sich vor. Wir haben bei Noah Stakenborg nachgefragt, der*die im Orchestermanagement des Jong Metropole Symphonic Jazz Orchestra in den Niederlanden arbeitet, welche Erfahrungen er*sie in Sachen Diversity in der Orchesterwelt gemacht hat

Noah, du bist im Orchestermanagement des Jong Metropole Symphonic Jazz Orchestra tätig, das am 18. August bei Young Euro Classic auftritt. Und du bist nicht-binäre*r Musiker*in und warst selbst Orchestermitglied im Jong Metropole Symphonic Jazz Orchestra. Wie divers ist eigentlich die Musikszene als Arbeitsplatz für queere Menschen, vor und hinter den Kulissen? Derzeit besuche ich noch das Konservatorium in Utrecht (Studienrichtung Jazz & Pop), und in dieser Umgebung sehe ich bereits eine Veränderung hin zu mehr Diversität, insbesondere bei Studiengängen, die stärker auf Darstellende Kunst ausgerichtet sind. Im beruflichen Umfeld treffe ich jedoch bisher auf weniger queere Personen. Die Jazz-Szene wird immer noch stark von Männern dominiert. Glücklicherweise erhalte ich im Allgemeinen überwiegend positive Reaktionen, wenn ich erkläre, dass ich nicht binär bin, aber abgesehen von Gleichaltrigen kennen nur wenige Menschen im Berufsfeld den Begriff. Im Niederländischen haben wir keine standardisierten geschlechtsneutralen Pronomen, wie es zum Beispiel im Englischen der Fall ist. Deshalb brauchen Menschen mehr Zeit, um sich diese neuen Pronomen in ihrer Sprache anzueignen. Aus diesem Grund haben Menschen auch regelmäßig Schwierigkeiten mit meinen Pronomen, was zu mehreren Fehlern in Ankündigungen geführt hat. Das finde ich schwierig, weil dadurch das gesamte Publikum mich mit falschen Pronomen kennenlernt.

Bei Young Euro Classic treten auch oft weibliche Dirigentinnen auf, was ja auch den großen Konzertpodien der Welt nach wie vor eher die Ausnahme ist. Wieso klappt das da, aber nicht anderswo? Young Euro Classic verfolgt eine klare Diversity-Politik und betrachtet sich selbst in diesem Zusammenhang als Vorreiter. Dies zeigt sich unter anderem in der hohen Anzahl weiblicher Dirigentinnen sowie im internationalen und vielfältigen Charakter der Orchester selbst. Leider ist dies derzeit noch nicht selbstverständlich, daher ist es wichtig, dass Organisationen hier weiterhin besondere Aufmerksamkeit darauf lenken. Es gibt definitiv noch Aufholbedarf. Besonders als Dirigent*in nimmt man eine wesentliche Position ein, in der man zeigen muss, dass man das Orchester mit natürlicher Führung leiten kann. In unserer aktuellen Gesellschaft, in der Führungskompetenz immer noch als männliche Eigenschaft angesehen wird, muss man sich als nicht-männliche Person wirklich zusätzlich beweisen. Ich hoffe, dass es mehr Raum und Vertrauen für verschiedene Führungsstile geben wird, von denen wir nicht nur in der Musikwelt, sondern auch in anderen Spitzenpositionen stark profitieren werden.

„Ich persönlich entscheide mich dafür, hier offen zu sein, auch wenn es mich viel Zeit kostet, jedes Mal das Gespräch von Neuem zu führen."

Im Orchesterbetrieb sprechen selbst Musiker*innen, die LGBTIQ* sind, so gut wie nie über ihre Nicht-Heterosexualität. Ist die Klassikwelt – und sind Klassikfans – wirklich so „konservativ“, dass sie alles, was von der Heteronorm abweicht, nicht akzeptieren könnten? Was sind da deine Beobachtungen? Ich versuche selbst so offen wie möglich über meine Geschlechtsidentität zu sein, weil ich merke, dass es mir wichtig ist, dass andere Menschen das über mich wissen und mich auf die Weise ansprechen, die mir angenehm ist. Ich kann nicht für diejenigen sprechen, die sich nicht offen darüber äußern, aber ich kann mir genug Gründe vorstellen, es für sich zu behalten. Das Aussprechen dessen platziert dich nämlich wieder in einer Schublade, und da du eine*r der Wenigen bist, die offen darüber sprechen, wirst du sofort mit einer Art Repräsentationsfunktion konfrontiert. Ich persönlich entscheide mich dafür, hier offen zu sein, auch wenn es mich viel Zeit kostet, jedes Mal das Gespräch von Neuem zu führen. Mir ist wichtig, dass die Menschen darüber lernen und auf diese Weise dafür sorgen können, dass nach mir kommende nicht binäre Personen nicht mehr erklären müssen, was es bedeutet oder warum sie gerne mit Pronomen jenseits von "er" oder "sie" angesprochen werden möchten. Was mir auffällt, ist, dass die neue Generation (in den Niederlanden und hoffentlich auch in anderen Ländern) wesentlich inklusiver aufwächst und in Schulen viel Wert auf Diversität gelegt wird. Wenn diese Generation alt genug ist, um Konzerte zu besuchen, wird hoffentlich mehr Raum entstehen, sich als Musiker*in offen auszudrücken. Ich denke, die junge Generation sehnt sich geradezu nach queeren Vorbildern, die sich in der Musikwelt offen äußern.

Worauf freust du dich selbst bei der diesjährigen Ausgabe von Young Euro Classic am meisten? Ich freue mich natürlich am meisten auf den Auftritt des Jong Metropole Orkest am 18. August. Sie werden ein Programm mit alten Jazz-Klassikern spielen, die für eine große Orchesterbesetzung arrangiert wurden. Das wird ein Genuss!

Und als letztes: Hast du eine Lieblingsaufnahme von einem*einer LGBTIQ*-Künstler*in, die du uns empfehlen würdest? Ich möchte gerne "Para Bailar" von Maite Hontelé empfehlen. Ich werde in den nächsten beiden Jahren im Mambo-Projekt des Niederländischen Jugendjazzorchesters unter der Leitung von Maite mitspielen. Wir werden unter anderem dieses Lied spielen, und ich habe viel Spaß daran, in diesem Genre zu spielen. Die Übersetzung von "Para Bailar" ist 'zum Tanzen', und du wirst bemerken, dass du nicht stillsitzen kannst, wenn du dieses Lied hörst!

SIEGESSÄULE präsentiert
Young Euro Classic

Konzert des Jong Metropole Symphonic Jazz Orchestra
18.08., 20:00, Konzerthaus Berlin

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