Berliner CSD-Vorstand gewählt: 5 Männer an der Spitze
Am Samstag wurde ein neuer, rein cis männlicher Vorstand des Berliner CSD e. V. gewählt. Frauen oder trans* Personen hatten sich nicht zur Wahl gestellt
Seit der digitalen Mitgliederversammlung am Samstagabend hat der Berliner CSD e. V. einen neuen Vorstand. Zur Wahl hatten sich ausschließlich cis männliche Personen gestellt. Für jeweils zwei Jahre gewählt wurden: CDU- und LSU-Mitglied Marc Lehmann, LGBTI*-Aktivist Nasser El-Ahmad, der u. a. an der Organisation der CSD-Stern*-Demo am 26. Juni beteiligt ist, und Ulli Pridat, der für die Blu Media Network GmbH arbeitet. Für jeweils ein Jahr: Patrick Ehrhardt, u. a. als Veranstalter und Projektleiter von LGBTI*-Events tätig, und Frank Sperling, der ebenfalls Erfahrungen im Bereich Event Management hat. Nach eigenen Angaben hat Sperling außerdem in der Vergangenheit bereits diversen Unternehmen bei der Umsetzung von CSD-Promotion- und Truckkonzepten geholfen.
„Bunter und vielfältiger“ sollte der neue Vorstand des Berliner CSD e.V. werden, zumindest hatte sich das der alte Vorstand des Vereins in seiner Rücktrittserklärung im November gewünscht. Nach nur einem Jahr im Amt verkündeten die Vorstandsmitglieder Dana Wetzel, Lutz Ermster, Ralph Ehrlich und Jasmin Semken geschlossen, zurücktreten zu wollen. 2020 hatte es am Berliner CSD e. V., der seit Ende der 90er die große Berliner Pride-Parade mit Wagen und Bühnenprogramm organisiert, rund um den digitalen Pride einige Kritik gegeben.
Finanzielles Defizit aus dem online-CSD
Die Wahl eines neuen Vorstands war bereits für Ende Januar anberaumt worden. Die Versammlung wurde dann jedoch per Geschäftsordnungsantrag von Patrick Ehrhardt abgebrochen. Ohne einen Überblick über die finanziellen Verpflichtungen und den aktuellen Zustand des Vereins hätte Ehrhardts Auffassung nach kein neuer Vorstand gewählt werden können. In dem nun zur Mitgliederversammlung am Samstag vorgelegten Jahresbericht für 2020 wird deutlich, dass der pandemiebedingte Online-CSD seine Kosten nicht ganz decken konnte. In dem Bericht ist von einem Defizit von 43.000 Euro die Rede. Der alte Vorstand hatte im letzten Jahr kritisiert, dass trotz vieler Förderanträge und Gespräche mit politischen Verantwortlichen finanzielle Unterstützungen ausgeblieben seien. Aufgrund eines Überschusses von über 50.000 Euro im vorangegangenen Jahr liege man laut Jahresbericht dennoch derzeit mit ca. 10.000 Euro im Plus.
Kein Ausschluss der neuen „Aktionsgemeinschaft“
Neben der Wahl des neuen Vorstands wurden auf der Mitgliederversammlung am 27.03. noch mehrere Anträge diskutiert. Darunter ein Ausschluss der Mitglieder Thomas Kohs, Markus Poscher und deren Firma Rut Wiess Event GmbH, die mit ihrer neu gegründeten „Aktionsgemeinschaft LGBTI* Berlin e. V.“ am 11. September einen eigenen CSD als Großevent mit Bühnenprogramm planen. Bereits in einem Mitgliederschreiben vom März hatte der nun zurückgetretene Berliner CSD-Vorstand die Pläne der „Aktionsgemeinschaft“ aufs „Schärfste“ verurteilt. Sie seien ohne Absprache mit dem Berliner CSD-Verein und den Communities entschieden worden. Mit der Wahl des 11. Septembers als Termin würden sie außerdem die Veranstaltungen von Folsom Europe, die immer rund um das Datum stattfinden, „kannibalisieren“.
Dem Antrag auf Ausschluss der Mitglieder wurde auf der Versammlung jedoch nicht stattgegeben. Der Grund: der noch amtierende Vorstand habe das vorgegebene Prozedere nicht eingehalten. So hätte es im Vorfeld ein Gespräch zwischen Verein und den betroffenen Mitgliedern Kohs und Poscher geben müssen, als auch eine schriftliche Begründung für den Ausschluss, mit der Möglichkeit, dagegen Widerspruch einzulegen.
„Kein Zeichen für Vielfalt und Aufbruch“
Bisher hat die Vorstandswahl nur wenig Reaktionen in der Community hervorgerufen. Vereinzelte Kritik am neu gewählten Vorstand kam u. a. von Bodo Niendel, Queerreferent der Bundestagsfraktion Die Linke und selbst ehemaliges Mitglied im CSD-Vorstand. Er schrieb auf Facebook: „Der Berliner CSD e. V. hat sich (…) entschieden einen rein männlichen Vorstand zu wählen. Nur eine Person hat einen Migrationshintergrund. Nein, das ist kein Zeichen für Vielfalt und Aufbruch.“ Auch unter dem Facebook-Post des Berliner CSD e. V. zum neuen Vorstand wurde mehrfach die Frage gestellt, warum sich keine Frauen* oder trans* Personen zur Wahl gestellt hatten. Vorstandsmitglied Patrick Ehrhardt antwortete u. a., dass er die Lage nicht schön reden wolle mit der Aussage, „es hätten ja Frauen, Trans oder andere Teile der Community zur Wahl antreten können. Aber wir werden uns als Vorstand damit beschäftigen, wie wir Vertrauen und Interesse schaffen können."
Vorstandsmitglied Marc Lehmann, der mit den meisten Stimmen in den Vorstand gewählt wurde, meldete sich ebenfalls mit einer Botschaft auf Facebook zu Wort: „Wir dürfen innerhalb unseres Vereins und vor allem in der Community nicht mehr von „Lagern“ reden – wir sollten den Anspruch haben jeden einzelnen Menschen „mitzunehmen“ und zu integrieren. … Lasst uns als starke Community wieder vielfältige Zeichen in Berlin, Europa, Deutschland und der Welt setzen – es gibt viel zu tun.“ Unabhängig davon, dass auch die Wortwahl mit migrationspolitisch umstrittenen Begrifflichkeiten wie „integrieren“ nicht sehr glücklich gewählt sein dürfte, fehlt es den Aussagen und der darin enthaltenen Beschwörung von Vielfalt an Glaubwürdigkeit. So gehörte zu den Forderungen des letzten CSD in 2020 die Abschaffung des Transsexuellengesetzes und ein Gesetz zur Anerkennung von Geschlechtsidentität – ein Vorhaben, das bisher maßgeblich auch am Widerstand der CDU scheiterte, der Partei, in der Marc Lehmann Mitglied ist.
Es bleibt abzuwarten, wie sich unter diesen Umständen die Situation des CSD e. V. weiter entwickeln wird – zumal die Durchführung einer regulären CSD-Parade auch in diesem Jahr kaum möglich sein dürfte.
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Der neue Berliner CSD-Vorstand hat heute in einer Pressemitteilung auf die Kritik an der Zusammensetzung des neuen Vorstands reagiert. Am 27.03. waren in einer digitalen Mitgliederversammlung 5 cis männliche Personen in den Vorstand gewählt worden. „Wir möchten an dieser Stelle auch ein klares Signal senden, dass wir das Feedback auf unsere Wahl aufgenommen, gelesen als auch verstanden haben und die Vielfalt des Vereins in Zukunft noch besser ausgestalten möchten“, heißt es dort. Zugleich wird betont, dass mit Nasser El-Ahmad zum ersten Mal eine Person of Color im Vorstand dabei ist. Dies sei ein „wichtiges und richtiges Zeichen auf dem Weg zu mehr Diversität.“
Zudem erklärt der Vorstand, dass es 2021 unabdingbar sei, den Pride des Berliner CSD e. V. wieder auf die Straße zu bringen. Deswegen werde man in den kommenden Wochen versuchen „Entscheidungen bezüglich einer Terminoption für eine CSD Demo zu kommunizieren, welche ausreichend Planungssicherheit mit sich bringt.“