Realisiert vom BiBerlin e. V.

Erste „Fachstelle Bi+“ für die Bi+-Community

29. Juli 2024 Ella Strübbe
Bild: Jason Harrell
Der Queerbeauftragte Alfonso Pantisano und Vorstandsmitglied von BiBerlin Anna Sive.

Berlin bekommt die erste Fachstelle, die sich auf die Anliegen bi- und pansexueller Menschen konzentriert. Gefördert von der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung, wird sie von BiBerlin e. V. realisiert – dem einzigen Bi+-Verein der Hauptstadt. Für eine häufig übersehene Community in der Community ist das ein Meilenstein

Etwa zehn Prozent der Gesellschaft sind homosexuell, doppelt so viele fühlen sich zu mehr als einem Geschlecht hingezogen. Das sind die Ergebnisse des internationalen „LGBT+ Pride 2021 Global Survey“. Auf Berlin gerechnet wären das rund 750.000 bisexuelle Menschen. Für Lesben und Schwule gibt es in der Hauptstadt viele geförderte Angebote, für Bisexuelle hingegen gibt es einen Verein, dessen Aktivist*innen seit sechs Jahren ehrenamtlich arbeiten. BiBerlin e.V. organisiert regelmäßig Meet-ups, hat schon etliche Workshops angeboten und Infomaterialien von Mitgliedsbeiträgen bezahlt. „Wenn ich so darauf zurückblicke, kommt es mir jetzt schon absurd vor. Wir haben uns selbst ausgebeutet“, sagt Anna Sive im Gespräch mit SIEGESSÄULE. Sie ist eines der vier Vorstandsmitglieder des Vereins.

Mit einer Förderung im unteren sechsstelligen Bereich durch die Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung soll sich das nun ändern. Die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung hat ein Projekt zu Bisexualität möglich gemacht: Berlin bekommt die erste „Fachstelle Bi+“.

„Wir müssen unsere Räume öffnen“

Mit Bi+ sind Menschen gemeint, die mehr als ein Geschlecht begehren. Das Plus ist ein Platzhalter für weitere fluide Identitäten neben Bisexualität. Auch Pansexualität zählt zum „Bi+-Regenschirm“, neben vielen anderen Labels wie biromantisch oder heteroflexibel. „Das B in LSBTIQ+ wird in der Wissenschaft und der Politik häufig noch unterbeleuchtet und dadurch werden Belange von Bi+-Personen oftmals übersehen“, sagt Senatorin Cansel Kiziltepe gegenüber SIEGESSÄULE. „Mit der Förderung der Fachstelle Bi+ beim Träger BiBerlin e.V. möchte ich das konkret ändern.“ Auch Alfonso Pantisano wusste bis vor einem Jahr nicht, was es im Alltag bedeutet, bisexuell zu sein. Heute ist er schlauer: „Bi+-Menschen werden von der queeren Community oft nicht ernst genommen“, so der Queerbeauftragte im Interview, der sich seit Amtsbeginn regelmäßig für bisexuelle Sichtbarkeit starkgemacht hat.

„Das B in LSBTIQ+ wird in der Wissenschaft und der Politik häufig noch unterbeleuchtet und dadurch werden Belange von Bi+-Personen oftmals übersehen.“

Bifeindliche Vorurteile gibt es viele: Bisexuelle Menschen gelten als promiskuitiv, Verbreiter*innen von STIs, eigentlich lesbisch oder schwul und bloß zu feige sich zu outen oder unentschlossen und verwirrt. Manchmal wird auch allgemein die Existenz von Bisexualität infrage gestellt. Da Bisexuelle oft nicht mitgedacht werden, ist auch ihr Wirken in der LGBTIQ*-Bewegung häufig unsichtbar. Einige Bi+-Personen verinnerlichen diese Vorurteile und fühlen sich zwischen den Stühlen: zu queer für die Mehrheitsgesellschaft, nicht „queer genug“ für die LGBTIQ*-Community. „Bi-Erasure gibt es sowohl in der Mehrheitsgesellschaft als auch innerhalb der Community“, sagt Anna Sive. „Lesben und Schwule müssen sich nicht ständig Gedanken machen, ob sie in queeren Räumen sein dürfen, ob sie willkommen sind.“ Auch die Autorin dieses Textes hat damit ihre Erfahrungen gemacht.

Der Queerbeauftragte will am liebsten alle auf die „Nachsitzbank“ schicken, damit sie ihre Vorannahmen reflektieren. „Wir müssen unsere Räume öffnen, um zu verstehen, dass Bi+-Menschen ein Teil der Community sind, den es wahrzunehmen, zu unterstützen und auch zu schützen gilt.“ Eine professionelle Anlaufstelle, spezifisch für die Bi+-Community, die mit der Lesben- oder Schwulenberatung vergleichbar wäre, gab es bislang nicht. Wo sollen bi- oder pansexuelle Person hingehen, wenn sie Beratung zu Coming-out, Familie oder psychischen Problemen brauchen? Schwule oder lesbische Beratungsstellen seien womöglich nicht qualifiziert und sensibel genug, mutmaßt der Queerbeauftragte. „Wir haben die ganze Verantwortung über Jahre den Ehrenamtlichen aufgebrummt.“

„Wir haben die ganze Verantwortung über Jahre den Ehrenamtlichen aufgebrummt.“

Somit ist die Einrichtung einer spezifischen Fachstelle ein längst überfälliger Schritt. Dass sich in Berlin nun etwas ändert, erfüllt Pantisano mit Freude. „Bi+-Sichtbarkeit zu fördern und die spezifischen Bedarfe bisexueller Berliner*innen zu adressieren hat einen hohen Stellenwert für den Berliner Senat“, sagt auch Pressesprecher Stefan Strauß. Das Projekt ist eine Maßnahme des Ende 2023 verabschiedeten Berliner LSBTIQ+-Aktionsplans. In den vergangenen Jahren wurden bereits mehrere Mikroprojekte zum Thema Bi+-Geschichte gefördert. Für das Haushaltsjahr 2025 sind Zuwendungen im Umfang von 150.000 Euro geplant. „Die Fachstelle Bi+ ist einmalig in Deutschland und, soweit wir wissen, auch auf europäischer Ebene“, sagt Stefan Jerichow, ebenfalls im Vorstand. Das Pilotprojekt könnte also ein Vorbild für andere Städte sein.

Beratung und Empowerment

Der Verein hat jahrelang auf diesen Moment hingearbeitet: Geplant sind Eins-zu-eins-Beratungen und Empowerment-Angebote. Der Verein will auch verstärkt Bi+-Personen in den trans*, inter* und asexuellen/aromantischen Communitys ansprechen. Besonderes Augenmerk soll zudem auf Anliegen von bisexuellen BIPoC und migrantischen Queers liegen – das ist eine Auflage des Senats, die der Verein begrüßt. Aktuell ist er im Gespräch mit dem Türkischen Bund für eine Zusammenarbeit mit dem Projekt „Queers in der Migrationsgesellschaft“.

„Gerade jetzt, in Zeiten des Rechtsrucks, ist ein Projekt, das Mehrfachdiskriminierung mitdenkt, besonders wichtig.“

Vorstandsmitglied Thilo Wetzel betont: „Gerade jetzt, in Zeiten des Rechtsrucks, ist ein Projekt, das Mehrfachdiskriminierung mitdenkt, besonders wichtig.“ Ferner soll das Projekt auch die Mehrheitsgesellschaft sensibilisieren. Deshalb will sich BiBerlin mit anderen Trägern zusammentun und beispielsweise Schulungen in Bezirksämtern anbieten. Für so ein großes Vorhaben sind die Mittel zwar knapp, sie werden aber für zwei Teilzeitstellen reichen. Eine soll mit Dana Wetzel, langjährige Aktivistin aus dem Team, besetzt werden. Die Umsetzung soll in den nächsten Wochen beginnen. Wann die ersten Beratungstermine vereinbart werden können, wird auf der Vereinswebsite angekündigt. Bislang war BiBerlin auf andere queere Orte angewiesen. Im Sonntags-Club, seinem inoffiziellen Wohnzimmer, findet seit fast fünfzehn Jahren das offene Bi+-Treffen statt. In der Neuköllner Kneipe B-Lage kommen jeden dritten Freitag im Monat bi- und pansexuelle FLINTA* zusammen. „Nun werden wir Räume anmieten, sicherlich nicht mehr als ein kleines Ladengeschäft, damit die Community dort zusammenkommen kann und die zwei Angestellten ein Büro haben“, so Anna Sive. Der Erfolg von BiBerlin ist laut der Vorständin vielen ehrenamtlichen Aktivist*innen zu verdanken und wäre ohne Unterstützer*innen in Politik und Verwaltung nicht möglich gewesen.

Für die nächsten Jahre wünscht sie sich, dass die Community noch vielfältiger wird. Neben dem Verein gibt es momentan auch im Regenbogenfamilienzentrum Lichtenberg ein Treffen für bi+ und pan Eltern. Das wurde ihres Wissens von einer ihrer Schulungen inspiriert. Sie hofft, dass sich noch weitere Träger mit spezialisierten Angeboten engagieren. Vor allem hofft sie aber, dass es dieses Engagement irgendwann nicht mehr braucht. Bis dahin will sie jedem Bi+-Menschen sagen: „Yes, you are queer enough!“

Offenes Bi+ Treffen
29.08., 19:30
Sonntags-Club

FLINTA* Meet-up
16.08., 19:30
B-Lage
biberlin.de

Treffen für bi+ und pan Eltern
13.08., 18:00
Regenbogenfamilienzentrum Lichtenberg
regenbogenfamilienzentrum-lichtenberg.de

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