Anna R. ist verstorben

Nachruf: „Rosenstolz war unsere Kindheit“

18. März 2025 Ella Strübbe
Bild: Rosenstolz
Das Cover von Rosenstolz zum Album „Wir sind am Leben“

AnNa R., die Sängerin der Pop-Band Rosenstolz, ist tot. Näheres zu den Umständen ihres Todes ist bislang noch nicht bekannt. SIEGESSÄULE-Autorin Ella Strübbe trauert um eine Wegbegleiterin und Verbündete der queeren Community

Meine kleine Schwester steht auf dem Couchtisch. Sie trägt einen schwarzen Hut, der ihr viel zu groß ist, und hält eine silberne Haarsprayflasche in der Hand. Ich sitze neben ihr. Ein Konzertmitschnitt aus dem Jahr 2004 läuft im Fernsehen. „Liebe ist alles / Alles, was wir brauchen / Lass es Liebe sein“, singen wir. Rosenstolz war unsere Kindheit. Rosenstolz war unser Ventil für das Gefühlschaos nach der Trennung unserer Eltern. Rosenstolz gab uns und unserer Mutter Halt.

Von den Anfängen einer Ikone

Am 17. März 2025 ist AnNa R. „plötzlich“ und „unerwartet“ im Alter von 55 Jahren gestorben. Und ich weine. Ich weine um meine Wegbegleiterin und eine Musikerin, die sich ihr Leben lang für die queere Community eingesetzt hat. Im SchwuZ stand AnNa R. Anfang der 90er als erste Frau auf der Bühne und wurde ausgebuht, erinnert sich ihr musikalischer Partner Peter Plate in einem alten Interview im SPIEGEL. Es war ein holpriger Start, aber irgendwann „hat es Klick gemacht“ in der Community. Und dann sei es Liebe gewesen.

Gemeinsam mit der Comedian Hella von Sinnen setzten sich Rosenstolz 1999 für die Homo-Ehe ein. „Liebe Nation, ich will zum Standesamt / Denn ich liebe diese Frau, sie hat mein Herz entflammt“ heißt es in „Ja, ich will“. Zu dem Coming-out-Film Sommersturm (2004) schrieben sie den Song „Willkommen“: „Wenn ihr etwas nicht versteht / Dann muss es doch nicht auch gleich falsch sein“.

Damals verstand ich nicht, dass sie von Frauenfeindlichkeit, Neid und toxischen Beziehungen singen. Aber das war nicht so wichtig, denn es war diese starke Frau, die mir zeigte, was möglich ist.

In der sechsten Klasse stellte ich Rosenstolz als meine Lieblingsband vor. Durch die Klasse ging ein Raunen. Die sind doch schwul, hieß es. Mein Gesicht lief rot an und ich setzte mich wieder. Homophobie war auch 2010 in Brandenburg noch Gang und Gäbe. Mir jedoch war es egal, wen Anna und Peter liebten. Ich liebte ihre Musik und ihre Songs wie „Schlampenfieber“ (1992), „Das gelbe Monster“ (2004) und „Aus Liebe wollt ich alles wissen“ (2007). Damals verstand ich nicht, dass sie von Frauenfeindlichkeit, Neid und toxischen Beziehungen singen. Aber das war in dem Moment gar nicht so wichtig, denn es war diese starke unabhängige Frau auf der Bühne, die mir zeigte, was möglich ist, wenn du dein Innerstes mit der Welt teilst. Und ich tat es ihr gleich. 

Einsatz für die Deutsche Aidshilfe

Rosenstolz spendeten alle Einnahmen der Singleverkäufe von „Aus Liebe wollt ich alles wissen“ und die ihres Benefizkonzerts am 18. Juni 2007 in der Berliner Columbiahalle an die Deutsche Aida-Stiftung. Über 100.000 Euro. Für ihr Engagement wird ihnen Jahre später das Bundesverdienstkreuz verliehen. Klaus Wowereit (SPD) – damaliger Bürgermeister von Berlin und erster deutscher Spitzenpolitiker, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannte – erklärte Rosenstolz zu seiner Lieblingsband. 2008 gelang der Band mit „Gib mir Sonne“ dann zum ersten Mal der Sprung an die Spitze der deutschen Single-Charts. Ich hörte das dazugehörige Album „Die Suche geht weiter“ auf meinem tragbaren CD-Player noch Jahre später hoch und runter.

Nach Plates Burnout-Diagnose und fast drei Jahren Stille meldeten sich Rosenstolz mit „Wir sind am Leben“ im September 2011 zurück. Die Single kletterte auf Platz eins der Charts. Ich war gerade aufs Gymnasium gewechselt. „Was willst du sagen? / Wen willst du fragen? / Was willst du erleben / Und was willst du geben?“ sangen Anna und ich. Ein gutes Jahr später gaben Rosenstolz bekannt, eine erneute Pause auf unbestimmte Zeit einzulegen. Dies sollte das Ende der Band bedeuten.

Zum 30. Bühnenjubiläum erschien im Dezember 2021 die Mini-Serie „Rosenstolz – Liebe ist alles“. Im Juni 2022 liegen meine Schwester und ich auf ihrem Bett und schauen die Dokumentation im Fernsehen. Wir können jede Songzeile mitsingen und weinen gemeinsam. Heute trauern wir beide. Um eine Musikerin, deren Lieder uns bestärkt haben, unseren Weg zu gehen. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich eine ältere Version meiner Schwester daheim „Perlentaucher” (1999) singen und ich stimme mit ein.

Bild: SIEGESSÄULE
In Erinnerung schwelgend schauen wir auf das SIEGESSÄULE-Cover von 2008 mit Rosenstolz

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