„Na, immerhin ist er ja nicht Schwarz!“
In der vierjährigen Amtszeit von Donald Trump als US-Präsident wurde die Spaltung in der US-amerikanischen Gesellschaft soweit vorangetrieben, dass selbst ein Bürgerkrieg wieder denkbar geworden ist. Insofern blicken viele besorgt auf den Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten am 3. November und die damit verbundene Frage, ob der Republikaner Trump eine zweite Amtszeit antreten oder der Demokrat Joe Biden sein Nachfolger werden wird. Jim Baker vom Berliner Querverlag - Deutschlands erstem lesbisch-schwulen Buchverlag - ist US-Amerikaner. Anhand seiner eigenen Familiengeschichte erklärt er die Polarisierung in den USA.
Wie bei vielen stolzen Eltern hängen auch bei meinen im Eingangsbereich Fotografien der Kinder – zwar im High-School-Alter, doch immerhin. Gleich neben den Fotos von mir und meinen beiden Brüdern befinden sich – wie in jedem ehrenwerten baptistischen Haushalt üblich – eingerahmte Bibelverse, meistens in liebevoller Handarbeit gestickt, meistens von strengen Tanten zu diversen Familienfesten geschenkt.
Seit einigen Monaten gibt es allerdings eine ungewöhnliche Ergänzung zu dieser Ahnengalerie: ein rotes „Trump 2020 – Keep America Great“-Basecap. Wieso diese Mütze ausgerechnet neben meinem Foto hängt, konnte mir mein kleiner Bruder letztens am Telefon jedoch nicht erklären. Selber gefragt habe ich selbstverständlich nicht, denn das Thema Trump haben meine Eltern und ich seit dreieinhalb Jahren völlig ausgeklammert aus den sporadischen Telefonaten. Ein Gespräch war nicht mehr möglich; zu emotional verliefen meine Versuche einer Annäherung. Was stellvertretend für viele amerikanische Familien, gar für das gesamte Land inzwischen sein mag.
Sprachlosigkeit hat zugenommen
Denn diese Sprachlosigkeit hat im Laufe der Trump-Amtszeit mit jedem Tag, mit jedem neuen Corona-Fall, mit jedem peinlichen Wahlkampfauftritt, mit jedem Tweet des Präsidenten nur noch zugenommen. Ob in Familien, in Arbeitszusammenhängen oder im öffentlichen politischen Diskurs – die Fähigkeit, miteinander statt übereinander zu reden, wurde systematisch, Stück für Stück, demontiert. Donald Trump setzt bekanntlich alles dran, dieses Phänomen zu bestärken, während Joe Biden sich im Wahlkampf für eine nationale Versöhnung einsetzt.
Keine so einfache Aufgabe, denn die Polarisierung „urban – ländlich“, „weiß – nicht weiß“, „Maske – nicht Maske“, „arm – reich“, „Black Lives Matter – All Lives Matter“ ist im Laufe der letzten Monate nur noch deutlicher geworden, angefeuert durch ein Weißes Haus, das den eignen Sieg und dadurch das verzweifelte Festklammern an der Macht mit der Spaltung der Bevölkerung vorantreibt.
Trump als Messias
Wenige Monate nach dem Sieg von Donald Trump 2016 hatte ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, zu meinen Eltern argumentativ durchzudringen. Doch bekanntlich vermag Logik in der Widerlegung religiöser Überzeugung wenig auszurichten, und genau das erklärt den Kult um den Mann. Für viele Wähler*innen hat Trump immer mehr Züge von Kultfiguren wie Rambo, Terminator oder gar dem Messias angenommen – im epischen Kampf gegen „das Böse“ – was in den Augen seiner Anhänger interessanterweise von der amorphen Antifa bis hin zu Hunter Biden wahlweise Hillary Clinton changieren kann.
Nach einer hitzigen Debatte, bei der ich meinen Vater weniger mit Fakten – in seinen Augen eh „alternativen Fakten“ nach guter Fox-News-Manier – und umso mehr mit sachlichem Nachhaken nach Gründen seines Eifers befragte, brach er den Streit abrupt ab mit den Worten: „Na, immerhin ist er ja nicht Schwarz!“
Privilegien in Gefahr
Und damit fasst er das Geheimnis hinter dem Erfolg von Donald Trump brutal ehrlich zusammen. Nach acht Jahren Obama und einer „schleichenden Verdunklung“ der Bevölkerung, nach der Ehe für alle, der Politischen-Korrektheit und den Unruhen in den Straßen verursacht durch Polizeigewalt gegen Schwarze sehen Menschen wie meine Eltern (weiß, ländlich, bibeltreue Südstaatler, Mittelschicht, Waffenbesitzer, ohne College-Abschluss) ihre Privilegien in Gefahr, bekommen Angst, schotten sich ab und klammern sich verzweifelt an jede – weiße – Hoffnung.
Mein Vater bringt diese Angst durch das Tragen eines roten Basecaps zum Ausdruck. Nun wird es sich am 3.November zeigen, ob diese Mütze im Flur neben meinem Foto als stolze Trophäe oder als traurige Reliquie ausgestellt werden wird.
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