Moschee erhält Morddrohungen: „Was wir brauchen ist öffentliche Solidarität“
Die Berliner Ibn Rushd-Goethe Moschee wird seit Wochen mit Morddrohungen, Gewaltfantasien und Beleidigungen überhäuft. Die Moschee, die auch eine Anlaufstelle für muslimische LGBTIQ* geschaffen hat, war bereits früher mit Anfeindungen konfrontiert. Nachdem sie zum Pride-Monat die Regenbogenflagge hisste, spitzte sich die Situation allerdings drastisch zu. Im Umgang damit vermisst das Team der Moschee vor allem eine sichtbare Solidarität mit den Mitgliedern ihrer Gemeinde. Wir sprachen mit Tugay Sarac, der auch Koordinator der Anlaufstelle für queere Muslim*innen ist
Tugay, welche Reaktionen gab es auf das Hissen der Regenbogenfahne? In den queeren Medien, aber auch in deutschen Mainstream-Medien waren die Reaktionen insgesamt positiv. Von türkischen und arabischen Medienhäusern sowie in Russland wurde eher negativ über uns berichtet. Seit der Flaggenhissung bekommen wir regelmäßig Hassnachrichten, inzwischen im dreistelligen Bereich.
Um was für Hassnachrichten handelt es sich genau? Sie beinhalten konkrete Gewaltfantasien und Morddrohungen. Sie erreichen uns in allererster Linie über Social Media, manchmal auch über E-Mail. Wir bringen diese Nachrichten natürlich zur Anzeige. Mich hat die Qualität und Quantität schon erstaunt. Wir kennen solche Hass-Aktionen schon: Nach unserer Kampagne „Liebe ist Halal“ letztes Jahr, wurden sogar Bushaltestellen mit unseren Plakaten eingeschlagen. Aber diesmal waren es einfach sehr viel mehr Gewaltandrohungen, bis zu einem Grad, dass die Polizeipräsenz zu unserem Schutz erhöht wurde.
Von wem kommen diese Nachrichten? Es sind fast ausschließlich Personen, die uns in ihren Kommentaren vorwerfen, den Islam zu verfälschen. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass es sich um Muslim*innen mit einem extremen Islamverständnis handelt, die Queerness in jeder Form ablehnen. Es gibt islamistische Influencer, die Videos über uns gedreht haben und sogar Ramsan Kadyrow, der tschetschenische Präsident, hat uns über seine Online-Kanäle Gewalt angedroht. Gelegentlich kommt es vor, dass sich auch politisch Rechte darüber echauffieren, wie „gaga“ die Welt geworden sei, da es „jetzt sogar schwule Muslime“ gäbe. Aber diese Kommentare machen nur 1 Prozent aus.
„Ich glaube, viele Menschen, die es gut meinen, haben die Sorge: Wenn wir das ansprechen, bedienen wir islamfeindliche Narrative."
Du hast gesagt, dass ihr die Gewaltandrohungen zur Anzeige bringt. Was ist bislang dabei herausgekommen? Gemessen an der Zahl der Anzeigen, die wir gestellt haben, ist sehr wenig herausgekommen. Zehn Strafbefehle bei 300 Anzeigen, grob geschätzt. Das ist wirklich wenig, wenn man sich vor Augen führt, was in Hamburg mit dem Innensenator passiert ist: Da hat jemand getwittert „Andy, Du bist so 1 Pimmel“ und es gab direkt eine Hausdurchsuchung. Wenn uns jemand schreibt: „Euch sollte man enthaupten und verbrennen“, dann gibt’s nach drei Wochen, wenn man Glück hat, höchstens eine kleine Geldstrafe. Was Internetkriminalität angeht, gibt es bei der Gesetzeslage insgesamt sehr großen Nachholbedarf. Vergessen sollte man auch nicht, dass viele Verfasser*innen der Hassnachrichten ihre Spuren im Netz verwischen. Trotzdem zeigt das Hamburger Beispiel: Wenn politischer Wille da ist, passiert auch was.
Ihr hattet in einem Rundschreiben kritisiert, dass wenig Solidaritätsbekundungen aus der Zivilbevölkerung und Politik kamen. Wie erklärt ihr euch das? Ich glaube, viele Menschen, die es gut meinen, haben die Sorge: Wenn wir das ansprechen, bedienen wir islamfeindliche Narrative. Sie haben Angst, mit ihrer Kritik an islamistischer Hetze den Rechten zuzuspielen. Aber das ist falsch, denn wir spielen den Rechten eher zu, wenn wir nichts sagen und ihnen das Thema überlassen. Wir sind kein homogener muslimischer Haufen, sondern Menschen mit ganz verschiedenen Kulturen, Lebensweisen und Weltanschauungen. Innerhalb dieser Weltanschauungen gibt es Inkompatibilitäten und demokratiefeindliche Ideologien. Darüber muss gesprochen werden. Der deutsche Staat muss sich in der Verantwortung sehen, uns als Teil der deutschen Gesellschaft zu beschützen – und das lautstark.
Hat die ausbleibende Solidarität vielleicht auch damit zu tun, dass Seyran Ateş als eine der entscheidenden Figuren der Moschee umstritten ist? Leider hat sich wegen ihrer Positionen zur Kopftuchdebatte das Gerücht verbreitet, man dürfe hier in der Moschee kein Kopftuch tragen. Das stimmt überhaupt nicht. Wir wollen innerhalb der islamischen Community darüber diskutieren: Muss eine Frau ein Kopftuch tragen? Ich bin der Meinung, sie muss es nicht und wenn sie es doch möchte, dann ist sie bei uns herzlich willkommen dies zu tun. Das ist unsere Position. Was Seyran Ateş über das Neutralitätsgesetz sagt, ist eine andere Geschichte und hat mit der Praxis in dieser Moschee nichts zu tun. Es kann natürlich sein, dass einige Menschen zwischen diesen zwei Dingen nicht differenzieren wollen und uns alle für Kopftuch-Gegner*innen halten.
„Da war eine sehr konkrete Angst davor da, dass ein Anschlag passieren könnte."
Welche Ängste resultieren aus der Hetze, die ihr erlebt? Um ein Beispiel zu nennen: Wir hatten auf dem CSD auf der Spree ein eigenes Boot. Da waren wir ganz stolz drauf. Aber gleichzeitig fühlten wir uns wie auf einem Präsentierteller und es war inmitten der heißen Phase nach der Regenbogenflaggenhissung. Und dann war da noch der Anschlag in Oslo … Das heißt, da war eine sehr konkrete Angst davor da, dass ein Anschlag passieren könnte. Mit dieser Sorge und diesem psychischen Druck gehen wir tagtäglich um.
Welche Unterstützung und Solidarität wünscht ihr euch? Was uns fehlt, ist politische Unterstützung. Wir haben uns bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und Ferda Ataman gemeldet, und sie gebeten, sich öffentlich zu äußern. Wir haben ihr eine umfangreiche Liste geschickt, um ihr die Gelegenheit zu geben, unseren Fall bekannt zu machen. Das hat sie ausdrücklich abgelehnt, obwohl sie selbst sagte, es ginge darum die Fälle bekanntzumachen. Wir haben diverse Beratungsangebote bekommen und den Hinweis, dass wir die Nachrichten zur Anzeige bringen sollen. Das hilft uns nicht weiter. Was wir brauchen ist öffentliche Solidarität, auch von Frau Ataman und anderen Politiker*innen. Sie können ein Zeichen setzen und eine Atmosphäre erzeugen, in der es nicht so leicht möglich scheint, anderen Menschen Gewalt anzutun.
Drohungen gegen die Moschee
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