Mit den Eltern im schwulen Sexschuppen
SIEGESSÄULE-Autor Jeff Mannes nahm neulich mit seinen Eltern und seinem Partner an einer Tour durch den Regenbogenkiez teil, inklusive aller sexpositiven Stationen. In unserer neuen Sex-Kolumne erzählt er von der Situationskomik und bedingungslosen Akzeptanz seiner Eltern
Mit der Beziehung von Queers zu ihren Eltern ist das ja so eine Sache … Nicht umsonst spricht man im queeren Kontext oft von Wahlfamilien, die ein schöneres Familienerlebnis bieten sollen, als das in der Ursprungsfamilie manchmal der Fall ist. In meinem Umfeld gibt es durchaus auch glückliche Beziehungen von Queers zu ihren Eltern. Aber leider auch Geschichten von Streit, Diskriminierung, Enttäuschung und gar Stigmatisierung durch die Eltern an ihren queeren Kindern.
Bei den traurigen Storys, die ich in meinem Umfeld dann und wann mitbekomme, habe ich manchmal schon fast ein schlechtes Gewissen, dass das Verhältnis meiner Eltern zu mir so sehr von Unterstützung geprägt ist. Mit 16 Jahren haben sie mich zum Coming-out gebracht, als sie merkten, dass es mir damit nicht gut ging.
„Was machen wir jetzt?”, fragten sie sich damals nachdem es raus war.
„Naja, es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder schmeißen wir ihn raus, oder wir akzeptieren ihn so wie er ist. Rausschmeißen ist keine Option. Also akzeptieren und unterstützen wir ihn.”
Das war das nüchtern-pragmatische Ergebnis. Und das haben sie auch konsequent durchgezogen. Als ich mein schwules Coming-out hatte. Als ich mit einem elf Jahre älteren Mann eine offene Beziehung begann. Als ich der erste Veganer in einer Jägerfamilie wurde. Als ich politisch links in einer eher konservativen Familie auftrat. Als ich mit meinem zweiten Partner zusammenkam, der 17 Jahre älter und HIV-positiv war. Als wir bei einer Veranstaltung auf der Bühne standen und wir erzählten, dass wir dank Schutz durch Therapie ohne Kondom Sex haben. Da machte mein Vater sogar Fotos von uns.
Und dann zog ich nach Berlin, wo ich mittlerweile seit zehn Jahren lebe. Einer meiner ersten Sexdates in Berlin war eine weltberühmte Person. Nur hatte ich damals keine Ahnung, dass die Person berühmt ist. Vor ein paar Jahren war er verstorben und es wurde überall in den Nachrichten vermeldet. Erst dann merkte ich: „Oha, ich hatte ja Sex mit ihm!”
Als ich abends mit meiner Mutter am Telefon war, fragte ich sie, ob sie die Nachricht über seinen Tod gesehen hatte.
„Ja, habe ich!”
„Ich wusste gar nicht, wer er war, aber ich hatte Sex mit ihm.”
Meine Mutter fragte ruhig: „Hast du denn Post von seinem Erbschaftsanwalt bekommen?”
„Nein!”
Trocken-sarkastisch meinte sie: „Tja, dann hast du wohl keine gute Arbeit geleistet!”
Gisela Sommer und Inge Borg hätten mich beim Kiezbingo im SO36 kaum besser grillen können!
Vor Kurzem besuchten meine Eltern mich in Berlin und meine Mutter hatte sich schon länger gewünscht, bei der queeren Kieztour von Jurassica Parka und Margot Schlönzke mitzulaufen. Also buchten wir vier Tickets: für meine Eltern, meinen Partner und mich. Unser Guide war die bezaubernde Rachel Intervention. Bereits beim zweiten Stopp, im Bruno’s, gab es dann schon den ersten Lacher: Mein Vater gewann einen Cockring! Verwundert betrachtete er seinen Gewinn und fragte mich, wie man das Teil denn benutzt? „Wenn wir es nicht mehr abbekommen, rufen wir dich”, scherzte daraufhin meine Mutter.
Weiter ging’s zum Fetischladen Butcherei Lindinger. Während wir zwischen den maßgeschneiderten Gummi- und Latex-Outfits standen und den Ausführungen des Besitzers lauschten, beugte sich meine Mutter plötzlich zu mir rüber, zeigte auf einen gigantischen Dildo und fragte mich mit ungläubigen Augen: „Sowas wird aber nicht wirklich benutzt, oder?!”
„Natürlich!”
„Aber … wo passt das denn hin?!”
„Also wenn manche einen ganzen Arm schaffen, dann schaffen sie auch das Teil!“
Nächste Station: Das Pornokino Jaxx! Der Mitarbeiter erklärte den Gästen anhand eines fiktiven Sohns, der das Jaxx besucht, wie es von innen aussieht. „Wie viele Gloryholes kann er denn im Jaxx vorfinden?” Ich musste schmunzeln … Vor einigen Jahren war der Sohn meiner Eltern auch bereits im Jaxx. Allerdings nicht sehr lange. Denn ein dort anwesender Kerl hatte wohl einen Furzfetisch und fand es geil, meinen Arsch wie einen Luftballon aufzublasen. Mit unangenehmen Blähungen fluchend und furzend verließ ich das Etablissement und lief nach Hause.
Hätte man mir vor 20 Jahren gesagt, dass ich mal mit meinem Vater in einem der berüchtigsten schwulen Darkrooms Berlins stehen würde, ich hätte es nicht geglaubt.
Direkt neben dem Jaxx ging es dann bei der Tour zur Scheune. Mein Lover, mein Vater und ich stiegen gemeinsam nach unten in den Darkroom. „PISS” stand in großen, fetten, gelben Buchstaben auf einer der schwarzen Wände. „Hätte man mir vor 20 Jahren gesagt, dass ich mal mit meinem Vater in einem der berüchtigsten schwulen Darkrooms Berlins stehen würde”, dachte ich, „ich hätte es nicht geglaubt.”
Meine Mutter blieb aufgrund ihrer Gehbehinderung oben an der Bar und unterhielt sich mit dem Barkeeper. „Ihr Mann kommt ja gar nicht mehr aus dem Darkroom raus”, scherzte er.
„Och, der ist da mit meinem Sohn”, erwiderte sie dem verdutzten Scheunenmann.
Einige schwule Freunde von mir konnten es nicht glauben, als ich ihnen von diesem Abend bei der Kieztour erzählte. Doch dass meine Eltern so unglaublich unterstützend sind, ist auch das Ergebnis eines langen Prozesses. So wie ich viel Queerfeindlichkeit und Sexnegativität verlernen musste, damit ich mich selbst akzeptieren kann, mussten auch sie einen ähnlichen Prozess durchgehen. Während dies bei mir auch durch mein akademisches Interesse an Sexualwissenschaften unterstützt wurde, geschah dies bei meinen nicht-akademischen Eltern über eine viel einfachere und berührende Art: Bedingungslose Liebe zum eigenen Kind.
Dass meine Eltern so unglaublich unterstützend sind, ist auch das Ergebnis eines langen Prozesses.
Die Kehrseite davon ist, dass sie sich teils von ihrem Umfeld in ihrem Heimatland Luxemburg entfremdet fühlen. Denn dieses Umfeld hat diesen Prozess nicht durchgemacht. Nicht selten kommt es vor, dass sie mir aufgebracht von problematischen Äußerungen aus ihrem Freundschafts- und Bekanntenkreis erzählen. Und so mischt sich unter meine grenzenlose Dankbarkeit und mein unfassbares Glück für solch bedingungslos liebende Eltern auch ein weiteres Gefühl. Nämlich die Angst, dass durch diesen Prozess – oder besser: durch die fehlende Bereitschaft ihres Umfelds, diesen Prozess ebenfalls zu vollziehen – Freundschaften zu Bruch gehen und meine Eltern vereinsamen werden.
In der Kolumne „Sex-Positionen“ beleuchten unsere Kolumnist*innen jeden Monat verschiedene Themen rund um Sex, Lust, Fetisch oder sexuelle Gesundheit.
Jeff Mannes ist Soziologe, Geschlechterwissenschaftler, Sexualpädagoge und bietet in Berlin Stadtführungen zu Sexualgeschichte, Clubkultur sowie queerer Geschichte an.
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