Mavi Phoenix: „Vor der Transition war bei mir die Handbremse angezogen."
Mit „Marlon“ veröffentlicht Rapper und Indiemusiker Mavi Phoenix nun das erste Album nach seiner Transition. SIEGESSÄULE bat ihn zum Interview
Mavi Phoenix‘ neues Album ist ein echtes Statement: „Marlon“ entstand während der Transition des österreichischen Musikers und Rappers, nachdem er sich 2020 von Social Media verabschiedet hatte und auch sonst eine Auszeit machte. Musikalisch wagt Mavi mehr als früher, spielt Gitarre und präsentiert seine „neue“, durch den Stimmbruch entsprechend tiefer gewordene Stimme. Die Bandbreite der Songs auf Album Nummer zwei reicht von Indiepop-Balladen bis zu tanzbarem R’n’B. Und ja, Mavi rappt natürlich auch noch! „Marlon“ spiegelt den Veränderungsprozess, der für Mavi in erster Linie ein Ankommen bedeutet: nämlich endlich die Person sein zu können, die er schon immer war.
Mavi, einige deiner neuen Tracks sind sehr gitarrenbetont, du selbst hast kürzlich gesagt, du wärst gern der neue „Main Indie Boy“ – wie kommt es zu diesem Stilwechsel? Der hat schon immer in mir geschlummert! Ich spiele seit fünfzehn Jahren E-Gitarre – übrigens seit zehn Jahren auf derselben! Aber ich konnte das vorher nicht forcieren, ich musste erst mehr Selbstbewusstsein entwickeln.
Welche Künstler*innen sind Vorbilder für dich? Ach, ganz viele, Tyler The Creator zum Beispiel, weil er alles selbst macht, den Produktionsprozess selber directed. Aber ich finde auch viele ältere Künstler wie David Bowie oder Freddie Mercury gut, die immer aus ihrer Komfortzone raus sind, sich nicht irgendwo sicher eingerichtet haben. Mercury hatte diese unglaubliche Bühnenpräsenz, obwohl er privat eher unsicher war. Auf der Bühne konnte er in einen anderen Modus umschalten. Generell stehe ich sehr auf Popmusik, ich habe nicht so einen strengen Zugang zu Musik – sie ist für mich Gefühl und Spaß.
Auf deinem neuen Album sind fünfzehn Stücke drauf, das ist eine ganze Menge! Dabei habe ich ganz viel gestrichen – auch weil das Album auch auf Vinyl erscheint und dort der Platz begrenzt ist. Ich hatte eine kurze Phase, in der ich gar nichts schreiben konnte, alles liegen gelassen habe, weil ich nicht auf Teufel komm raus produzieren wollte. Aber der Hunger war schnell wieder da!
„Marlon repräsentiert für mich Hoffnung, das Licht am Ende des Tunnels."
Einer der neuen Songs heißt „So Happy I‘m Useless“ – wie ist das gemeint? In dem Song spiele ich mit der Frage, was ist, wenn es mir so gut geht, dass mir der Drive abhanden kommt? Davor fürchte ich mich.
Ich habe mir noch ein paar Stücke notiert: Worum geht es in „Only God“? Bist du ein gläubiger Mensch? Ich glaube schon an irgendwas ... aber nicht an einen Gott. Der Song handelt davon, wie es ist, wenn man verliebt ist und die betreffende Person gottgleich stilisiert. Das ist nicht gesund!
Der „F-Song“ ist sehr explizit ... Ein solches Stück hätte ich früher nie schreiben können – bei mir war vor der Transition in vielen Bereichen die Handbremse angezogen. Jetzt kann ich auch über Sex schreiben. Aber ich verstehe mich als Künstler nicht als „abgeschlossen“ oder vollendet. Man ist ja immer im Wandel.
Willst du was zum Albumtitel „Marlon“ sagen? Meine Freund*innen haben mich früher schon Marlon genannt. Der Name fängt alles gut ein, auch meine neue Identität. Ich habe das Album ja während meiner Transition aufgenommen, habe mit den Hormonen angefangen und bin direkt in die Albumproduktion gegangen. Marlon repräsentiert für mich Hoffnung, das Licht am Ende des Tunnels. Ich hatte so lange keine Ahnung. Weißt du, ich komme aus einer Kleinstadt, dort kannte man keine trans* Personen. Als mir bewusst wurde, dass ich diesen Weg, meinen Weg gehen kann, bevor ich sterbe, hat mir das unglaublich viel Hoffnung gegeben. Aber Marlon ist nicht das Ende von irgendwas, ich habe noch viele Stationen abzugehen!
„Vor allem für die Familie ist eine Transition nicht immer leicht zu verdauen, auch für meine nicht."
Du sprichst deine Transition selbst an: Fremdelst du noch mit deinem „neuen“ Leben? Letztens habe ich das Video von meiner Abiturfeier angeschaut und konnte kaum fassen, wie weit weg das von mir ist – so nach dem Motto: „Was, das soll ich sein?“ Ich kann mich aber schon mit der Person identifizieren, die ich da sehe, sie ist ja ein Teil von mir. Ich habe mich eben weiterentwickelt ... ich denke, dass es im Grunde allen Menschen so geht, alle verändern sich, alle sind im Wandel. Bei trans* Personen ist es natürlich etwas krasser, vor allem aber für die anderen. Leute von außen tun sich schwerer mit der Transition von jemand anderem, sie hatten ja nicht so viel Zeit, sich darauf einzustellen. Die trans* Person selber weiß ja, was sie ändern will. „Fremdeln“ ist aber ein ganz guter Begriff: Vor allem für die Familie ist eine Transition nicht immer leicht zu verdauen, auch für meine nicht. Aber sie haben begriffen, dass es mir jetzt gut geht und ich glücklich bin. Ich hatte ja auch Angst und Zweifel, dachte mir aber auch: „Ich bin erwachsen, ihr könnt mir gar nichts sagen!“ Die anderen müssen klarkommen.
Begegnet man dir als Mann anders? Auf jeden Fall. Unter Männern gibt es schon so ein Bruder-Kumpel-Ding, das manchmal auch aggressiv werden kann. Oder die Platzhirsche kämpfen untereinander. Ich versuche, nicht zu stark darauf einzugehen, sondern mein eigenes Ding zu machen.
„Schwarzer negiert meine Existenz, fuck it!"
Dein erster Auftritt nach deinem öffentlichen trans Coming-out fand im Mai 2021 in Jan Böhmermanns TV-Sendung „Magazin Royale“ statt – wie war das? Das war total aufregend. Ich hab mich schon gefragt, wie werde ich ankommen. Aber dann dachte ich: Das ist jetzt so.
Kennst du Alice Schwarzers neues Buch, in dem sie und die Journalistin Chantal Louis über Transgeschlechtlichkeit behaupten, dass das nur ein „Trend“ sei? Kennst du den Begriff TERF (trans exclusive radical feminism)? Ich finde es sehr schade, dass Schwarzer Transphobie schürt, aber ich habe keine Lust, groß darüber nachzudenken. Ich muss mich auf mich konzentrieren. Ich diskutiere gerne, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Schwarzer negiert meine Existenz, fuck it! Leute wie sie schließen nur von sich auf andere – Ignoranz ist aber nie gut.
Mavi Phoenix: Marlon (LLT Records), jetzt erhältlich
Mavi Phoenix live, 09.04., 20:00, Frannz Club (Termin wurde auf den 01.12.2022 verschoben!)
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Spendenaktion Queere Nothilfe Ukraine
Zahlreiche Organisationen der deutschen LGBTIQ*-Community haben sich zum Bündnis Queere Nothilfe Ukraine zusammengeschlossen. Es werden Spenden gesammelt, die für die notwendige Versorgung oder Evakuierung queerer Menschen in der Ukraine verwendet werden. Link zur Spendenseite: https://altruja.de/nothilfe-ukraine/spende
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