Mary Ocher: „Your Guide To Revolution“
Mary Ocher veröffentlicht am 14. Juni ihr neues Album „Your Guide To Revolution“. Gefeiert wird mit einem Release-Konzert in der Kantine am Berghain. Christina Mohr hat mit der Musikerin über ihre neue Platte, die aktuelle Weltlage und Ochers Survival-Tipps gesprochen
Seit gut zwanzig Jahren überschreitet Mary Ocher die Grenzen zwischen Pop- und Avantgarde-Musik. Die Songwriterin, Multiinstrumentalistin, bildende Künstlerin und Regisseurin wurde 1986 in Moskau geboren, ihre jüdisch-ukrainischen Eltern zogen mit ihr während des Golfkriegs nach Tel Aviv. Die Erfahrungen als Heranwachsende in der Diaspora machten Mary früh zur leidenschaftlichen Aktivistin gegen Nationalismus, Machtmissbrauch und Autoritäten überhaupt – Themen, die ihre Kunst von Anfang an bestimmen. Als sie 2007 nach Berlin zog, avancierte sie in kürzester Zeit zur festen Größe des Undergrounds, zunächst mit ihrer Band „The Baby Cheeses“, aber auch solo und als Trio mit zwei Schlagzeugern („Your Government“). Mary Ocher hat mit Künstler:innen wie King Khan, Die Tödliche Doris, Felix Kubin und Hans Unstern zusammengearbeitet und tourt unermüdlich durch die Welt. Darüberhinaus ist sie Gründerin von „The Underground Institute“, einer Veranstaltungs- und Veröffentlichungsplattform, stellte einen Benefiz-Sampler für Mädchenbildung in Afghanistan zusammen und engagiert sich für den Wiederaufbau zerstörter Gebäude in der Ukraine.
Dass Ocher neben ihrem vielfältigen Engagement stetig Musik produziert, scheint unglaublich – aber so ist es. Alles, was sie zum Arbeiten brauche, sei die Abwesenheit von Stress. Nicht mit Reiseplänen, neuen Veröffentlichungen, Merch-Logistik, Arbeitsvisa und ähnlichem belastet zu sein. Das bedeutet, dass Ocher die Zeit zwischen Tourneen und Platten-Promo nutzt, um an neuem Material zu arbeiten. Multi-Tasking würde immer schwieriger, sagt Ocher und kündigt eine kleine Pause für den Sommer an, um Kraft zu schöpfen. Zurzeit stehen die Zeichen allerdings definitiv auf Aktion: Mary Ochers neues Album „Your Guide To Revolution“ folgt auf die im November 2023 veröffentlichte Vorgängerplatte „Approaching Singularity“ und hätte aufgrund der Weltlage düster und deprimiert ausfallen können. Aber Ocher verpackt schwere Themen in vielfältige, abwechslungsreiche, experimentierfreudige Musik, u.a. unterstützt von der Harfenistin Serafina Steer. Auf die Frage, wie sie ihre Musik jemand beschreiben würde, der* noch nichts von ihr gehört hat, antwortet Ocher, „dass sie nischig oder Avantgarde ist. Wenn es sich um Musikliebhaber*innen handelt - z.B. in einem Plattenladen -, würde ich zuerst versuchen zu erraten, was sie vielleicht mögen, und dementsprechend ein paar Genres auswählen, die sie am meisten ansprechen könnten. Die Auswahl ist groß: Ambient, Psych-Folk, Post-Punk, Industrial, Kraut, Klavierstücke, sogar ein bisschen Cumbia und experimenteller Techno sind dabei!“
Revolutionäre Zustände
Ocher fordert dazu auf, sich nicht vereinnahmen zu lassen, sondern die Regeln – soweit möglich – selbst zu bestimmen.
Weil Ocher ihren musikalischen Output regelmäßig mit Essays ergänzt, erscheint auch zum neuen Album eine Begleittext: „A Guide to Radical Living“ versteht sich als Leitfaden für Künstler:innen und generell für prekär lebende Menschen im Hyperkapitalismus. Der „Survival Guide“ wirkt mit Ratschlägen wie z.B., dass man aus Kostengründen lieber selbst kochen soll anstatt essen zu gehen, teilweise naiv. Doch das Gegenteil ist der Fall: Ocher fordert dazu auf, sich nicht vereinnahmen zu lassen, sondern die Regeln – soweit möglich – selbst zu bestimmen. Dazu gehört auch, nicht abhängig zu werden – und ja, sie meint ganz konkrete Substanzen wie Alkohol, Nikotin und Drogen, die nicht nur Geld wie Sand zwischen den Fingern verrinnen lassen, sondern den Durchblick vernebeln. Ocher propagiert gemeinschaftliches Leben in selbstbestimmten Strukturen als konkrete und durchführbare Utopie. Auch der Leitfaden selbst, aufrufbar über Mary Ochers Website, ist als Gemeinschaftsprojekt konzipiert, zu dem Fans und Freund:innen ihre eigenen Überlebenstipps beitragen sollen.
„Wir müssen uns darauf konzentrieren, wie wir kooperieren und den Hass stoppen.“
Über die persönlichen Lebensumstände hinaus besorgt sie auch der Zustand der Welt, die herrschenden Kriege. Es seien sehr dunkle Zeiten, so Ocher im Gespräch. Die Stimmen derer, die uns an die Schrecken des letzten Jahrhunderts wie den Holocaust und Atombombenabwürfe erinnert haben, würden immer leiser. Trotzdem ist Ocher nicht verzweifelt, sie appelliert: „Wir müssen praktisch vorgehen. Wir müssen uns darauf konzentrieren, wie wir uns erholen und wieder aufbauen. Wie wir kooperieren und den Hass stoppen.“ Gut möglich, dass die Revolution am 14. Juni bei Marys Release-Konzert in der Berghain-Kantine beginnt!
Mary Ocher: „Your Guide To Revolution“
Album Release 14.06. (Underground Institute)
Release-Party, 14.06., 20:00, Kantine am Berghain
www.maryocher.com
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