Neue Single

Mariybu – Berlins aufgehender Hyperpop-Star

7. März 2025 Selina Hellfritsch
Bild: Karolina Jackowska
Mariybu beim SIEGESSÄULE-Fotoshooting bei Club Athleten auf dem RAW-Gelände

Die Berliner Musikerin Mariybu veröffentlichte gerade ihr zweites Album „Ein Tag Göttin“ und geht damit ab April auf Tour. Obendrauf setzt sie eine neue Single zum Feministischen Kampftag. In der queeren Hyperpop-Szene hat sie sich einen Namen gemacht mit schnellen Tracks, frechen Texten, politischer Haltung und einer Prise Humor

Glitzernde Outfits, schwitzende Körper und Ekstase gepaart mit elektronischen Beats, Y2K-Rave-Sound und Trance-Elementen. Mittendrin Mariybu, die singt: „Ein Tag Göttin, drei Tage Opfer, meine Depris misch ich gerne mit 'nem Wodka.“ Das Musikvideo zeigt lachende, tanzende Menschen, die sich in den Armen liegen und verschiedene Substanzen konsumieren. Am 14. Februar erschien das gleichnamige Album „Ein Tag Göttin“ der Berliner Sängerin und Produzentin. „Das Album beschreibt mein erstes Jahr in Berlin – eine Mischung aus mega geil und mega lost“, erklärt sie im Interview mit SIEGESSÄULE und lacht.

Auf den ersten Blick sei es ein Partyalbum, aber es stecke viel mehr dahinter. So erzählt der ersten Track „8 Uhr“ von einer durchgetanzten Partynacht, die damit endet, dass Mariybu mit ihrer besten Freundin morgens nach Sonnenaufgang verballert durch Berlin läuft. Einerseits ein berauschender Moment, andererseits auch „lost“ – wie so oft in Berlin. „Das zieht sich durchs ganze Album: Einsamkeit versteckt hinter einem ekstatischen Sound.“

„Das zieht sich durchs ganze Album: Einsamkeit versteckt hinter einem ekstatischen Sound.“

Mittlerweile hat sich viel in Mariybus Leben verändert. Sie hat eine Therapie angefangen und nimmt keine chemischen Drogen mehr – feiern geht sie trotzdem gerne. „Ich liebe es, nachts unterwegs zu sein, mir davor Zeit für mein Outfit und Make-up zu nehmen und dann zu tanzen. Der Unterschied zu früher: Ich mache das nicht mehr, um meine Gefühle zu betäuben.“

Vor zwei Jahren ist sie von Hamburg nach Berlin gezogen. „In Hamburg bin ich musikalisch an Grenzen gestoßen – andere haben meine Musik oft nicht verstanden.“ In Berlin habe sie hingegen direkt Anschluss in der queeren Hyperpop-Szene gefunden. „Hyperpop ist nicht klar verortet und kann immer neu definiert werden. Außerdem ist es von Extremen geprägt: schneller, lauter, verzerrter, übertrieben.“ Hyper eben.

Von Authentizität und Imperfektion

Hyperpop hat sich in den 2010er-Jahren vor allem in der Londoner Musikszene um den Künstler und Produzenten A. G. Cook und sein Label etabliert. Geprägt wurde es dabei von der trans Künstlerin Sophie, die auch für Madonna und Charli xcx Lieder produzierte. Ihr Wiedererkennungswert waren prägnante Pophooks, gemischt mit stechendem Synthesizer und einer Art Happy-Hardcore. Vor vier Jahren verstab die schottische Musikerin, aber ihr Sound prägt die Hyperpop-Szene bis heute.

Ein Album wie „Brat“, das im letzten Sommer den Mainstream eroberte, gäbe es kaum ohne ihren Einfluss – wie Charli xcx in dem Lied „So I“ berührend darstellt. Das Genre ist besonders für trans* und nicht binäre Künstler*innen interessant, da die Gesangsstimme oft verzerrt bzw. verfremdet wird. Dadurch entstehen unendliche Möglichkeiten, Gendernormen zu brechen.

„Ich liebe Hyperpop-Partys! Glitzer, Glamour und gleichzeitig eine liebevolle, durchdachte Atmosphäre. Es geht dabei nicht nur um die Musik, sondern vielmehr um das Erlebnis“, so Mariybu. Ein Beispiel dafür ist die neue Partyreihe Vroom Vroom, die seit September 2024 im SchwuZ stattfindet, bei der auch sie schon aufgetreten ist. Der Name der Party zollt dabei seinen Tribut an die EP „Vroom Vroom“ von Charlie xcx, die 2016 ihren Umschwung von Pop in den Hyperpop markierte.

„Ich kann am besten meine Visionen umsetzen, wenn keine cis hetero Männer über mich bestimmen.“

Die späten 90er und der Beginn der 2000er-Jahre inspirieren sowohl den musikalischen, graphischen als auch modischen Stil von Hyperpop. Dazu gehört auch eine DIY-Attitude, die die Sounds teils trashy, roh und ungeschliffen klingen lässt. Genau das ist aber gewollt, steht in gewisser Weise für Authentizität und zelebriert Imperfektion. „Das macht das Genre niederschwellig und leichter zugänglich für FLINTA*-Artists“, so Mariybu.

Gegenseitiger Support und Empowerment wird in der Szene groß geschrieben. Um komplett unabhängig zu werden, setzt die Sängerin und Produzentin noch eins drauf und gründet im vergangenen Jahr ihr eigenes Label „Tanga Tunes“. „Ich kann am besten meine Visionen umsetzen, wenn keine cis hetero Männer über mich bestimmen“, sagt sie und grinst. „Ich möchte wieder Spaß an der Musik haben und mein eigenes Ding durchziehen, ohne dass mir jemand reinredet.“

Politisch, queer, Hyperpop

„Ich habe den Anspruch meine Reichweite zu nutzen und politische Arbeit und Songs zu machen“, erklärt Mariybu. Ihre musikalischen Anfänge hatte sie in autonomen Zentren und auf queerfeministischen Demos – das prägt sie bis heute. Passend zum Feministischen Kampftag veröffentlichte sie abgesondert von ihrem Album die neue Single „Kein Ponyhof“. Gekonnt dreht sie den Spieß um und singt darüber, wie sie sexistische Handlungen und Ansichten von Männern nun gegen sie verwendet. Absurde Aussagen wie „das hat mich provoziert", „ich konnte nicht anders" und „er hat das doch gewollt“ werden vorgeführt.

Auch in den Tracks „lass mich gehen“, „Laut & Queer“ und „wie du mich mochtest“ auf ihrem neuen Album lassen sich Gesellschaftskritik, das Anprangern toxischer Männlichkeit und queeres Selbstbewusstsein heraushören.

„Die Line ‚Ich spreiz meine Beine, zeig die Fotze, lass mich gehen‘ ist so heftig, dass viele sie nicht hören wollen und genau deshalb muss ich es sagen.“

Besonders mit dem Track „lass mich gehen“, den sie bereits im August 2024 veröffentlichte, erregte sie viel Aufmerksamkeit – leider nicht nur im Positiven. Er bezieht sich auf den sexistischen Song „Lass dich gehen“ (2002) vom Berliner Rapper Frauenarzt, in dem er darüber rappt, wie er eine Frau vergewaltigen will. „Mit meinem Song habe ich alte Muster und Erinnerungen aus der Schulzeit aufgearbeitet. Solche frauenfeindlichen Texte waren damals normal.

Auch Mariybu bedient sich nun vulgärer Sprache, bezeichnet sich selbst als „Fotze“ und singt darüber, wie sie sich einer anderen Person hingibt. Damit entzieht sie allerdings dem Schimpfwort jegliche Macht und reclaimt es. „Die Line ‚Ich spreiz meine Beine, zeig die Fotze, lass mich gehen‘ ist so heftig, dass viele sie nicht hören wollen und genau deshalb muss ich es sagen.“

In ihrer Single „Laut & Queer“, die sie zusammen mit der Berliner Rapperin Reeza produzierte, zeigt sie sich unerschrocken. Die Lines „Wir sind laut, wir sind queer / Alle rasten aus, alle eskalier’n / Lieb, wen du willst und bums, wen du magst / Baby, sei wie du bist, ob du’s darfst? Ja, du darfst!“ versprechen dabei nicht nur einen Ohrwurm, sondern auch das Potenzial einer neuen queeren Hymne.

Noch immer schlage ihr Unverständnis von verschiedensten Seiten entgegen, warum sie denn immer wieder betonen müsse, dass sie queer sei. „Solange es noch queerfeindliche Strukturen gibt, muss ich dagegen rebellieren, bis es sie eben nicht mehr gibt. So lange bleibe ich laut.“ Und um laut zu bleiben, muss man auch manchmal leise sein. So zeigt sich Mariybu in ihrem Song „einsam“ von einer ungekannten, intimen Seite. „Von Künstler*innen wird erwartet, dass sie immer diese starken, shiny Persönlichkeiten sind. Aber es gibt viel mehr Seiten“, so die Berlinerin. Ob laut und fordernd oder leise und nahbar – Mariybu stellt sich gegen Erwartungshaltungen und bleibt vor allem eins: ehrlich.

Mariybu: „Ein Tag Göttin“
seit 14.02. erhältlich, Tanga Tunes
Konzert: 03.05., 20:00, SO36

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